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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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die hohe lange Fensterflucht des Saales über ein
sattgrünes Wiesenthal, durch welches sich der Fluß
in vielen Armen und Windungen buchstäblich
silbern schlängelte, da er höchstens zwei Fuß tief
war und wie Brunnenwasser in lebendigen hefti¬
gen Wellen über weißes Geschiebe floß. Jenseits
dieses Wiesengrundes stieg eine waldige Berg¬
halde oder ein haldiger Bergwald auf, an wel¬
chem alle Laubarten durcheinander wogten, von
düsteren Felswänden und Kuppen unterbrochen.
Die untergehende Sonne aber hatte einen freien
Eingang über fernere Blauberge in das Thal
und übergoß es alle Abend mit Gluth, daß man
an den Fenstern des Saales im Rothen saß, ja
die Röthe drang durch diesen hin, wenn seine
Thüren geöffnet, in's Innere des Hauses und
überzog Gänge und Wände. Gemüse- und Blu¬
mengärten, vernachlässigte Zwischenräume, Hol¬
lunderbüsche und eingefaßte Quellen, alles von
Bäumen überschattet, bildeten eine reizende Wild¬
niß weit herum und dehnten sich noch mittelst
einer kleinen Brücke über das Wasser hinaus.
Die etwas weiter oben liegende Mühle aber gab

die hohe lange Fenſterflucht des Saales uͤber ein
ſattgruͤnes Wieſenthal, durch welches ſich der Fluß
in vielen Armen und Windungen buchſtaͤblich
ſilbern ſchlaͤngelte, da er hoͤchſtens zwei Fuß tief
war und wie Brunnenwaſſer in lebendigen hefti¬
gen Wellen uͤber weißes Geſchiebe floß. Jenſeits
dieſes Wieſengrundes ſtieg eine waldige Berg¬
halde oder ein haldiger Bergwald auf, an wel¬
chem alle Laubarten durcheinander wogten, von
duͤſteren Felswaͤnden und Kuppen unterbrochen.
Die untergehende Sonne aber hatte einen freien
Eingang uͤber fernere Blauberge in das Thal
und uͤbergoß es alle Abend mit Gluth, daß man
an den Fenſtern des Saales im Rothen ſaß, ja
die Roͤthe drang durch dieſen hin, wenn ſeine
Thuͤren geoͤffnet, in's Innere des Hauſes und
uͤberzog Gaͤnge und Waͤnde. Gemuͤſe- und Blu¬
mengaͤrten, vernachlaͤſſigte Zwiſchenraͤume, Hol¬
lunderbuͤſche und eingefaßte Quellen, alles von
Baͤumen uͤberſchattet, bildeten eine reizende Wild¬
niß weit herum und dehnten ſich noch mittelſt
einer kleinen Bruͤcke uͤber das Waſſer hinaus.
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[23/0033] die hohe lange Fenſterflucht des Saales uͤber ein ſattgruͤnes Wieſenthal, durch welches ſich der Fluß in vielen Armen und Windungen buchſtaͤblich ſilbern ſchlaͤngelte, da er hoͤchſtens zwei Fuß tief war und wie Brunnenwaſſer in lebendigen hefti¬ gen Wellen uͤber weißes Geſchiebe floß. Jenſeits dieſes Wieſengrundes ſtieg eine waldige Berg¬ halde oder ein haldiger Bergwald auf, an wel¬ chem alle Laubarten durcheinander wogten, von duͤſteren Felswaͤnden und Kuppen unterbrochen. Die untergehende Sonne aber hatte einen freien Eingang uͤber fernere Blauberge in das Thal und uͤbergoß es alle Abend mit Gluth, daß man an den Fenſtern des Saales im Rothen ſaß, ja die Roͤthe drang durch dieſen hin, wenn ſeine Thuͤren geoͤffnet, in's Innere des Hauſes und uͤberzog Gaͤnge und Waͤnde. Gemuͤſe- und Blu¬ mengaͤrten, vernachlaͤſſigte Zwiſchenraͤume, Hol¬ lunderbuͤſche und eingefaßte Quellen, alles von Baͤumen uͤberſchattet, bildeten eine reizende Wild¬ niß weit herum und dehnten ſich noch mittelſt einer kleinen Bruͤcke uͤber das Waſſer hinaus. Die etwas weiter oben liegende Muͤhle aber gab

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/33>, abgerufen am 24.04.2024.