schwinden, suchten ihn überall, traten an den Rand des Abgrundes, aber Niemand hat ihn wie¬ der gesehen.
Dies krankhafte Beispiel von den wunderba¬ ren Gängen, welche die Entstehung des "Glau¬ bens" in den Menschen verfolgt, mag nun frei¬ lich sehr vereinzelt dastehen; doch wenn sie auch bei der Mehrzahl einen edleren Grund und Bo¬ den hat, so werden ihre Schneckenlinien doch nicht grad. Ich würde mich schämen, wenn ich je¬ mals dahin kommen würde, Jemanden seines Glaubens wegen zu verachten oder zu verhöhnen, oder den Gegenstand desselben nicht zu ehren, wenn der Gläubige darin seinen Trost findet; aber die nackte und gewaltsame Forderung des Glaubens, so zu sagen die Theorie des Glau¬ bens selbst, ist eine so mißliche Sache für mich, daß ich, indem ich diese meine geheime Schrei¬ berei übersehe, mein Herz durch die lange Kund¬ gebung gegen den Glauben beinahe so stau¬ big, trocken und unangenehm fühle, als wenn ich ein ehrbarer Theologe wäre und für den Glauben polemisirt hätte, und ich muß mich be¬
ſchwinden, ſuchten ihn uͤberall, traten an den Rand des Abgrundes, aber Niemand hat ihn wie¬ der geſehen.
Dies krankhafte Beiſpiel von den wunderba¬ ren Gaͤngen, welche die Entſtehung des »Glau¬ bens« in den Menſchen verfolgt, mag nun frei¬ lich ſehr vereinzelt daſtehen; doch wenn ſie auch bei der Mehrzahl einen edleren Grund und Bo¬ den hat, ſo werden ihre Schneckenlinien doch nicht grad. Ich wuͤrde mich ſchaͤmen, wenn ich je¬ mals dahin kommen wuͤrde, Jemanden ſeines Glaubens wegen zu verachten oder zu verhoͤhnen, oder den Gegenſtand deſſelben nicht zu ehren, wenn der Glaͤubige darin ſeinen Troſt findet; aber die nackte und gewaltſame Forderung des Glaubens, ſo zu ſagen die Theorie des Glau¬ bens ſelbſt, iſt eine ſo mißliche Sache fuͤr mich, daß ich, indem ich dieſe meine geheime Schrei¬ berei uͤberſehe, mein Herz durch die lange Kund¬ gebung gegen den Glauben beinahe ſo ſtau¬ big, trocken und unangenehm fuͤhle, als wenn ich ein ehrbarer Theologe waͤre und fuͤr den Glauben polemiſirt haͤtte, und ich muß mich be¬
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ſchwinden, ſuchten ihn uͤberall, traten an den
Rand des Abgrundes, aber Niemand hat ihn wie¬
der geſehen.
Dies krankhafte Beiſpiel von den wunderba¬
ren Gaͤngen, welche die Entſtehung des »Glau¬
bens« in den Menſchen verfolgt, mag nun frei¬
lich ſehr vereinzelt daſtehen; doch wenn ſie auch
bei der Mehrzahl einen edleren Grund und Bo¬
den hat, ſo werden ihre Schneckenlinien doch nicht
grad. Ich wuͤrde mich ſchaͤmen, wenn ich je¬
mals dahin kommen wuͤrde, Jemanden ſeines
Glaubens wegen zu verachten oder zu verhoͤhnen,
oder den Gegenſtand deſſelben nicht zu ehren,
wenn der Glaͤubige darin ſeinen Troſt findet;
aber die nackte und gewaltſame Forderung des
Glaubens, ſo zu ſagen die Theorie des Glau¬
bens ſelbſt, iſt eine ſo mißliche Sache fuͤr mich,
daß ich, indem ich dieſe meine geheime Schrei¬
berei uͤberſehe, mein Herz durch die lange Kund¬
gebung gegen den Glauben beinahe ſo ſtau¬
big, trocken und unangenehm fuͤhle, als wenn
ich ein ehrbarer Theologe waͤre und fuͤr den
Glauben polemiſirt haͤtte, und ich muß mich be¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/326>, abgerufen am 26.11.2024.
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