gegen den christlichen Geist verstieß und man ihm dies durch das neue Testament bewies, so sagte er, er pfeife auf das neue Testament, er habe seinen eigenen Kopf, im gleichen Augenblicke, wo er es das Buch des Lebens genannt hatte. Trotz alledem glaubte er aufrichtig, denn nach irgend einer Seite hin muß jeder Mensch sich ergeben, und er glaubte um so aufrichtiger, als eines Theils der Gegenstand des Glaubens unerwiesen, unbegreiflich und überirdisch war, anderentheils ihn das innere Gefühl seines verunglückten Witzes sentimental und weinerlich machte.
Eines Tages ging er mit einer lustigen Ge¬ sellschaft über eine Felsenhöhe am Seeufer. Er war ursprünglich gut gewachsen, doch die andau¬ ernde Verdrehtheit seiner Seele hatte seinen Kör¬ per ganz windschief gemacht, daß er aussah wie ein verbogener Wetterhahn. Sein schöner Wuchs war aber ein Lieblingsthema seiner Rede und jeden Augenblick war er bereit, sich auszukleiden und ihn zu zeigen, während er an allen Sterbli¬ chen etwas auszusetzen hatte, ungefragt diesem einen Höcker andichtete, jenem krumme Beine
20 *
gegen den chriſtlichen Geiſt verſtieß und man ihm dies durch das neue Teſtament bewies, ſo ſagte er, er pfeife auf das neue Teſtament, er habe ſeinen eigenen Kopf, im gleichen Augenblicke, wo er es das Buch des Lebens genannt hatte. Trotz alledem glaubte er aufrichtig, denn nach irgend einer Seite hin muß jeder Menſch ſich ergeben, und er glaubte um ſo aufrichtiger, als eines Theils der Gegenſtand des Glaubens unerwieſen, unbegreiflich und uͤberirdiſch war, anderentheils ihn das innere Gefuͤhl ſeines verungluͤckten Witzes ſentimental und weinerlich machte.
Eines Tages ging er mit einer luſtigen Ge¬ ſellſchaft uͤber eine Felſenhoͤhe am Seeufer. Er war urſpruͤnglich gut gewachſen, doch die andau¬ ernde Verdrehtheit ſeiner Seele hatte ſeinen Koͤr¬ per ganz windſchief gemacht, daß er ausſah wie ein verbogener Wetterhahn. Sein ſchoͤner Wuchs war aber ein Lieblingsthema ſeiner Rede und jeden Augenblick war er bereit, ſich auszukleiden und ihn zu zeigen, waͤhrend er an allen Sterbli¬ chen etwas auszuſetzen hatte, ungefragt dieſem einen Hoͤcker andichtete, jenem krumme Beine
20 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0323"n="313"/>
gegen den chriſtlichen Geiſt verſtieß und man ihm<lb/>
dies durch das neue Teſtament bewies, ſo ſagte<lb/>
er, er pfeife auf das neue Teſtament, er habe<lb/>ſeinen eigenen Kopf, im gleichen Augenblicke, wo<lb/>
er es das Buch des Lebens genannt hatte. Trotz<lb/>
alledem glaubte er aufrichtig, denn nach irgend<lb/>
einer Seite hin muß jeder Menſch ſich ergeben,<lb/>
und er glaubte um ſo aufrichtiger, als eines<lb/>
Theils der Gegenſtand des Glaubens unerwieſen,<lb/>
unbegreiflich und uͤberirdiſch war, anderentheils<lb/>
ihn das innere Gefuͤhl ſeines verungluͤckten Witzes<lb/><choice><sic>ſentimal</sic><corr>ſentimental</corr></choice> und weinerlich machte.</p><lb/><p>Eines Tages ging er mit einer luſtigen Ge¬<lb/>ſellſchaft uͤber eine Felſenhoͤhe am Seeufer. Er<lb/>
war urſpruͤnglich gut gewachſen, doch die andau¬<lb/>
ernde Verdrehtheit ſeiner Seele hatte ſeinen Koͤr¬<lb/>
per ganz windſchief gemacht, daß er ausſah wie<lb/>
ein verbogener Wetterhahn. Sein ſchoͤner Wuchs<lb/>
war aber ein Lieblingsthema ſeiner Rede und<lb/>
jeden Augenblick war er bereit, ſich auszukleiden<lb/>
und ihn zu zeigen, waͤhrend er an allen Sterbli¬<lb/>
chen etwas auszuſetzen hatte, ungefragt dieſem<lb/>
einen Hoͤcker andichtete, jenem krumme Beine<lb/><fwplace="bottom"type="sig">20 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[313/0323]
gegen den chriſtlichen Geiſt verſtieß und man ihm
dies durch das neue Teſtament bewies, ſo ſagte
er, er pfeife auf das neue Teſtament, er habe
ſeinen eigenen Kopf, im gleichen Augenblicke, wo
er es das Buch des Lebens genannt hatte. Trotz
alledem glaubte er aufrichtig, denn nach irgend
einer Seite hin muß jeder Menſch ſich ergeben,
und er glaubte um ſo aufrichtiger, als eines
Theils der Gegenſtand des Glaubens unerwieſen,
unbegreiflich und uͤberirdiſch war, anderentheils
ihn das innere Gefuͤhl ſeines verungluͤckten Witzes
ſentimental und weinerlich machte.
Eines Tages ging er mit einer luſtigen Ge¬
ſellſchaft uͤber eine Felſenhoͤhe am Seeufer. Er
war urſpruͤnglich gut gewachſen, doch die andau¬
ernde Verdrehtheit ſeiner Seele hatte ſeinen Koͤr¬
per ganz windſchief gemacht, daß er ausſah wie
ein verbogener Wetterhahn. Sein ſchoͤner Wuchs
war aber ein Lieblingsthema ſeiner Rede und
jeden Augenblick war er bereit, ſich auszukleiden
und ihn zu zeigen, waͤhrend er an allen Sterbli¬
chen etwas auszuſetzen hatte, ungefragt dieſem
einen Hoͤcker andichtete, jenem krumme Beine
20 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/323>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.