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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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nicht um sie, daher er auch nie in einer Kirche
oder religiösen Gemeinschaft gesehen wurde. Da¬
gegen hatte er es um so mehr mit denen zu thun,
welche nicht glaubten. Nicht daß er sich um das
Seelenheil derselben viel gekümmert hatte, obgleich
er die Sache mit ängstlicher Hast verfolgte; seine
Angst war die: Hatte er einmal gesagt, daß Er
glaube, so mußten für ihn Alle, welche nicht
glaubten, Esel sein, und wenn dies auf sein Wort
hin nicht angenommen wurde, so glaubte Er selbst
als ein Esel dazustehen. Er hatte sich im Mut¬
terleibe schon gesagt: Wenn du nun an's Licht
kommst, so wird die Frage deiner Existenz die
sein: Entweder bist du ein Esel, oder alle An¬
deren sind Esel! Er verrieth dies in schwachen
Augenblicken des Streites, wenn er sich in eine
Sackgasse verrannt, indem ihm alsdann das Wort
entschlüpfte: Nun, da müßte ich also ein Esel sein,
wenn ich so was glaubte, was nicht wahr wäre!
und er bezeichnete damit, ohne es zu wollen,
seinen Standpunkt und auch das Herz, welches
er für seine Sache hatte. In der That könnte man
den unseligen Streit die Eselfrage nennen, da

nicht um ſie, daher er auch nie in einer Kirche
oder religioͤſen Gemeinſchaft geſehen wurde. Da¬
gegen hatte er es um ſo mehr mit denen zu thun,
welche nicht glaubten. Nicht daß er ſich um das
Seelenheil derſelben viel gekuͤmmert hatte, obgleich
er die Sache mit aͤngſtlicher Haſt verfolgte; ſeine
Angſt war die: Hatte er einmal geſagt, daß Er
glaube, ſo mußten fuͤr ihn Alle, welche nicht
glaubten, Eſel ſein, und wenn dies auf ſein Wort
hin nicht angenommen wurde, ſo glaubte Er ſelbſt
als ein Eſel dazuſtehen. Er hatte ſich im Mut¬
terleibe ſchon geſagt: Wenn du nun an's Licht
kommſt, ſo wird die Frage deiner Exiſtenz die
ſein: Entweder biſt du ein Eſel, oder alle An¬
deren ſind Eſel! Er verrieth dies in ſchwachen
Augenblicken des Streites, wenn er ſich in eine
Sackgaſſe verrannt, indem ihm alsdann das Wort
entſchluͤpfte: Nun, da muͤßte ich alſo ein Eſel ſein,
wenn ich ſo was glaubte, was nicht wahr waͤre!
und er bezeichnete damit, ohne es zu wollen,
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er fuͤr ſeine Sache hatte. In der That koͤnnte man
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[311/0321] nicht um ſie, daher er auch nie in einer Kirche oder religioͤſen Gemeinſchaft geſehen wurde. Da¬ gegen hatte er es um ſo mehr mit denen zu thun, welche nicht glaubten. Nicht daß er ſich um das Seelenheil derſelben viel gekuͤmmert hatte, obgleich er die Sache mit aͤngſtlicher Haſt verfolgte; ſeine Angſt war die: Hatte er einmal geſagt, daß Er glaube, ſo mußten fuͤr ihn Alle, welche nicht glaubten, Eſel ſein, und wenn dies auf ſein Wort hin nicht angenommen wurde, ſo glaubte Er ſelbſt als ein Eſel dazuſtehen. Er hatte ſich im Mut¬ terleibe ſchon geſagt: Wenn du nun an's Licht kommſt, ſo wird die Frage deiner Exiſtenz die ſein: Entweder biſt du ein Eſel, oder alle An¬ deren ſind Eſel! Er verrieth dies in ſchwachen Augenblicken des Streites, wenn er ſich in eine Sackgaſſe verrannt, indem ihm alsdann das Wort entſchluͤpfte: Nun, da muͤßte ich alſo ein Eſel ſein, wenn ich ſo was glaubte, was nicht wahr waͤre! und er bezeichnete damit, ohne es zu wollen, ſeinen Standpunkt und auch das Herz, welches er fuͤr ſeine Sache hatte. In der That koͤnnte man den unſeligen Streit die Eſelfrage nennen, da

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/321>, abgerufen am 25.11.2024.