Was unter fernen östlichen Palmen vor Jahr¬ tausenden theils sich begeben, theils von heiligen Träumern geträumt und niedergeschrieben worden war, ein Buch der Sage, zart und luftig und weise wie alle Sage, das wurde hier als das höchste und ernsthafteste Lebenserforderniß, als die erste Bedingung, Bürger zu sein, Wort für Wort durchsprechen und der Glaube daran auf das Genaueste regulirt. Die wunderbarsten Aus¬ geburten menschlicher Phantasie, bald heiter und reizend, bald finster, brennend und blutig, aber immer durch den Duft einer entlegenen Ferne gleichmäßig umschleiert, mußten als das wirk¬ lichste und festeste Fundament unseres ganzen Da¬ seins angesehen werden und wurden uns nun zum letzten Male und ohne allen Spaß bestimmt erklärt und erläutert, zu dem Zwecke, im Sinne jener Phantasieen ein wenig Wein und ein wenig Brot am richtigsten genießen zu können; und wenn dies nicht geschah, wenn wir uns dieser fremden wunderbaren Disciplin nicht mit oder ohne Ueberzeugung unterwarfen, so waren wir ungültig im Staate, und es durfte Keiner nur
Was unter fernen oͤſtlichen Palmen vor Jahr¬ tauſenden theils ſich begeben, theils von heiligen Traͤumern getraͤumt und niedergeſchrieben worden war, ein Buch der Sage, zart und luftig und weiſe wie alle Sage, das wurde hier als das hoͤchſte und ernſthafteſte Lebenserforderniß, als die erſte Bedingung, Buͤrger zu ſein, Wort fuͤr Wort durchſprechen und der Glaube daran auf das Genaueſte regulirt. Die wunderbarſten Aus¬ geburten menſchlicher Phantaſie, bald heiter und reizend, bald finſter, brennend und blutig, aber immer durch den Duft einer entlegenen Ferne gleichmaͤßig umſchleiert, mußten als das wirk¬ lichſte und feſteſte Fundament unſeres ganzen Da¬ ſeins angeſehen werden und wurden uns nun zum letzten Male und ohne allen Spaß beſtimmt erklaͤrt und erlaͤutert, zu dem Zwecke, im Sinne jener Phantaſieen ein wenig Wein und ein wenig Brot am richtigſten genießen zu koͤnnen; und wenn dies nicht geſchah, wenn wir uns dieſer fremden wunderbaren Disciplin nicht mit oder ohne Ueberzeugung unterwarfen, ſo waren wir unguͤltig im Staate, und es durfte Keiner nur
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Was unter fernen oͤſtlichen Palmen vor Jahr¬
tauſenden theils ſich begeben, theils von heiligen
Traͤumern getraͤumt und niedergeſchrieben worden
war, ein Buch der Sage, zart und luftig und
weiſe wie alle Sage, das wurde hier als das
hoͤchſte und ernſthafteſte Lebenserforderniß, als
die erſte Bedingung, Buͤrger zu ſein, Wort fuͤr
Wort durchſprechen und der Glaube daran auf
das Genaueſte regulirt. Die wunderbarſten Aus¬
geburten menſchlicher Phantaſie, bald heiter und
reizend, bald finſter, brennend und blutig, aber
immer durch den Duft einer entlegenen Ferne
gleichmaͤßig umſchleiert, mußten als das wirk¬
lichſte und feſteſte Fundament unſeres ganzen Da¬
ſeins angeſehen werden und wurden uns nun
zum letzten Male und ohne allen Spaß beſtimmt
erklaͤrt und erlaͤutert, zu dem Zwecke, im Sinne
jener Phantaſieen ein wenig Wein und ein wenig
Brot am richtigſten genießen zu koͤnnen; und
wenn dies nicht geſchah, wenn wir uns dieſer
fremden wunderbaren Disciplin nicht mit oder
ohne Ueberzeugung unterwarfen, ſo waren wir
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/304>, abgerufen am 24.11.2024.
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