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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Was unter fernen östlichen Palmen vor Jahr¬
tausenden theils sich begeben, theils von heiligen
Träumern geträumt und niedergeschrieben worden
war, ein Buch der Sage, zart und luftig und
weise wie alle Sage, das wurde hier als das
höchste und ernsthafteste Lebenserforderniß, als
die erste Bedingung, Bürger zu sein, Wort für
Wort durchsprechen und der Glaube daran auf
das Genaueste regulirt. Die wunderbarsten Aus¬
geburten menschlicher Phantasie, bald heiter und
reizend, bald finster, brennend und blutig, aber
immer durch den Duft einer entlegenen Ferne
gleichmäßig umschleiert, mußten als das wirk¬
lichste und festeste Fundament unseres ganzen Da¬
seins angesehen werden und wurden uns nun
zum letzten Male und ohne allen Spaß bestimmt
erklärt und erläutert, zu dem Zwecke, im Sinne
jener Phantasieen ein wenig Wein und ein wenig
Brot am richtigsten genießen zu können; und
wenn dies nicht geschah, wenn wir uns dieser
fremden wunderbaren Disciplin nicht mit oder
ohne Ueberzeugung unterwarfen, so waren wir
ungültig im Staate, und es durfte Keiner nur

Was unter fernen oͤſtlichen Palmen vor Jahr¬
tauſenden theils ſich begeben, theils von heiligen
Traͤumern getraͤumt und niedergeſchrieben worden
war, ein Buch der Sage, zart und luftig und
weiſe wie alle Sage, das wurde hier als das
hoͤchſte und ernſthafteſte Lebenserforderniß, als
die erſte Bedingung, Buͤrger zu ſein, Wort fuͤr
Wort durchſprechen und der Glaube daran auf
das Genaueſte regulirt. Die wunderbarſten Aus¬
geburten menſchlicher Phantaſie, bald heiter und
reizend, bald finſter, brennend und blutig, aber
immer durch den Duft einer entlegenen Ferne
gleichmaͤßig umſchleiert, mußten als das wirk¬
lichſte und feſteſte Fundament unſeres ganzen Da¬
ſeins angeſehen werden und wurden uns nun
zum letzten Male und ohne allen Spaß beſtimmt
erklaͤrt und erlaͤutert, zu dem Zwecke, im Sinne
jener Phantaſieen ein wenig Wein und ein wenig
Brot am richtigſten genießen zu koͤnnen; und
wenn dies nicht geſchah, wenn wir uns dieſer
fremden wunderbaren Disciplin nicht mit oder
ohne Ueberzeugung unterwarfen, ſo waren wir
unguͤltig im Staate, und es durfte Keiner nur

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[294/0304] Was unter fernen oͤſtlichen Palmen vor Jahr¬ tauſenden theils ſich begeben, theils von heiligen Traͤumern getraͤumt und niedergeſchrieben worden war, ein Buch der Sage, zart und luftig und weiſe wie alle Sage, das wurde hier als das hoͤchſte und ernſthafteſte Lebenserforderniß, als die erſte Bedingung, Buͤrger zu ſein, Wort fuͤr Wort durchſprechen und der Glaube daran auf das Genaueſte regulirt. Die wunderbarſten Aus¬ geburten menſchlicher Phantaſie, bald heiter und reizend, bald finſter, brennend und blutig, aber immer durch den Duft einer entlegenen Ferne gleichmaͤßig umſchleiert, mußten als das wirk¬ lichſte und feſteſte Fundament unſeres ganzen Da¬ ſeins angeſehen werden und wurden uns nun zum letzten Male und ohne allen Spaß beſtimmt erklaͤrt und erlaͤutert, zu dem Zwecke, im Sinne jener Phantaſieen ein wenig Wein und ein wenig Brot am richtigſten genießen zu koͤnnen; und wenn dies nicht geſchah, wenn wir uns dieſer fremden wunderbaren Disciplin nicht mit oder ohne Ueberzeugung unterwarfen, ſo waren wir unguͤltig im Staate, und es durfte Keiner nur

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/304>, abgerufen am 24.11.2024.