ein Gegenstand der Bewunderung sein, wenn ich ihn mir durch ein ähnliches Gefühl der Freude und der Schönheit geschaffen dachte. "Sehen Sie diese Blume," sagte ich zum Philosophen, "es ist gar nicht möglich, daß diese Symmetrie mit diesen abgezählten Punkten und Zacken, diese weiß und rothen Streifchen, dies goldene Krön¬ chen in der Mitte nicht vorher gedacht seien! Und wie schön und lieblich ist sie, ein Gedicht, ein Kunstwerk, ein Witz, ein bunter und duften¬ der Scherz! So was macht sich nicht selbst!" -- "Auf jeden Fall ist sie schön," sagte der Phi¬ losoph, "sei sie gemacht oder nicht gemacht! Fra¬ gen Sie einmal! Sie sagt nichts, sie hat auch nicht Zeit dazu, denn sie muß blühen und kann sich nicht um Ihre Zweifel kümmern! Denn das sind alles Zweifel, was Sie vorbringen, Zweifel an Gott und schnöde Zweifel an der Natur, und es wird mir übel, wenn ich nur einen Zweifler höre, einen empfindsamen Zweifler! O weh!" Er hatte diesen Trumpf beim Disputiren älte¬ rer Leute gehört und brachte denselben wie ähn¬ liche Gewandtheiten, die er sich angeeignet, ge¬
ein Gegenſtand der Bewunderung ſein, wenn ich ihn mir durch ein aͤhnliches Gefuͤhl der Freude und der Schoͤnheit geſchaffen dachte. »Sehen Sie dieſe Blume,« ſagte ich zum Philoſophen, »es iſt gar nicht moͤglich, daß dieſe Symmetrie mit dieſen abgezaͤhlten Punkten und Zacken, dieſe weiß und rothen Streifchen, dies goldene Kroͤn¬ chen in der Mitte nicht vorher gedacht ſeien! Und wie ſchoͤn und lieblich iſt ſie, ein Gedicht, ein Kunſtwerk, ein Witz, ein bunter und duften¬ der Scherz! So was macht ſich nicht ſelbſt!« — »Auf jeden Fall iſt ſie ſchoͤn,« ſagte der Phi¬ loſoph, »ſei ſie gemacht oder nicht gemacht! Fra¬ gen Sie einmal! Sie ſagt nichts, ſie hat auch nicht Zeit dazu, denn ſie muß bluͤhen und kann ſich nicht um Ihre Zweifel kuͤmmern! Denn das ſind alles Zweifel, was Sie vorbringen, Zweifel an Gott und ſchnoͤde Zweifel an der Natur, und es wird mir uͤbel, wenn ich nur einen Zweifler hoͤre, einen empfindſamen Zweifler! O weh!« Er hatte dieſen Trumpf beim Disputiren aͤlte¬ rer Leute gehoͤrt und brachte denſelben wie aͤhn¬ liche Gewandtheiten, die er ſich angeeignet, ge¬
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ein Gegenſtand der Bewunderung ſein, wenn ich
ihn mir durch ein aͤhnliches Gefuͤhl der Freude
und der Schoͤnheit geſchaffen dachte. »Sehen
Sie dieſe Blume,« ſagte ich zum Philoſophen, »es
iſt gar nicht moͤglich, daß dieſe Symmetrie mit
dieſen abgezaͤhlten Punkten und Zacken, dieſe
weiß und rothen Streifchen, dies goldene Kroͤn¬
chen in der Mitte nicht vorher gedacht ſeien!
Und wie ſchoͤn und lieblich iſt ſie, ein Gedicht,
ein Kunſtwerk, ein Witz, ein bunter und duften¬
der Scherz! So was macht ſich nicht ſelbſt!« —
»Auf jeden Fall iſt ſie ſchoͤn,« ſagte der Phi¬
loſoph, »ſei ſie gemacht oder nicht gemacht! Fra¬
gen Sie einmal! Sie ſagt nichts, ſie hat auch
nicht Zeit dazu, denn ſie muß bluͤhen und kann
ſich nicht um Ihre Zweifel kuͤmmern! Denn das
ſind alles Zweifel, was Sie vorbringen, Zweifel
an Gott und ſchnoͤde Zweifel an der Natur, und
es wird mir uͤbel, wenn ich nur einen Zweifler
hoͤre, einen empfindſamen Zweifler! O weh!«
Er hatte dieſen Trumpf beim Disputiren aͤlte¬
rer Leute gehoͤrt und brachte denſelben wie aͤhn¬
liche Gewandtheiten, die er ſich angeeignet, ge¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/271>, abgerufen am 23.11.2024.
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