sich für einen Atheisten ausgab, konnte ihn der Gunst des weiblichen Dorfes nicht berauben.
Er fand sich auch im Hause meines Oheims ein, wo eine gute Anzahl Mädchen und junger Bur¬ sche, die durch vielfältigen Besuch noch verstärkt wurde, für seine Aufführungen empfänglich war. Ich gesellte mich dem Philosophen bei, einestheils von seinem Philosophiren angezogen, anderntheils von seinem Weiberkriege, da dieser gerade mit meiner schiefen Lage zu den Mädchen zusammen¬ traf. Wir machten große Spaziergänge, auf welchen er mir die Systeme der Reihe nach vor¬ trug, wie er sie im Kopfe hatte und wie ich sie verstehen konnte. Es kam mir Alles äußerst wichtig und erbaulich vor und ich ehrte bald, gleich ihm, jede Lehre und jeden Denker, gleich¬ viel, ob wir sie billigten oder nicht. Ueber den christlichen Glauben waren wir bald einig und machten in die Wette unsern Krieg gegen Pfaffen und Autoritätsleute jeder Art; als ich aber den lieben Gott und die Unsterblichkeit auf¬ geben sollte und der Philosoph dieses mit höchst unbefangenen Auseinandersetzungen verlangte, da
ſich fuͤr einen Atheiſten ausgab, konnte ihn der Gunſt des weiblichen Dorfes nicht berauben.
Er fand ſich auch im Hauſe meines Oheims ein, wo eine gute Anzahl Maͤdchen und junger Bur¬ ſche, die durch vielfaͤltigen Beſuch noch verſtaͤrkt wurde, fuͤr ſeine Auffuͤhrungen empfaͤnglich war. Ich geſellte mich dem Philoſophen bei, einestheils von ſeinem Philoſophiren angezogen, anderntheils von ſeinem Weiberkriege, da dieſer gerade mit meiner ſchiefen Lage zu den Maͤdchen zuſammen¬ traf. Wir machten große Spaziergaͤnge, auf welchen er mir die Syſteme der Reihe nach vor¬ trug, wie er ſie im Kopfe hatte und wie ich ſie verſtehen konnte. Es kam mir Alles aͤußerſt wichtig und erbaulich vor und ich ehrte bald, gleich ihm, jede Lehre und jeden Denker, gleich¬ viel, ob wir ſie billigten oder nicht. Ueber den chriſtlichen Glauben waren wir bald einig und machten in die Wette unſern Krieg gegen Pfaffen und Autoritaͤtsleute jeder Art; als ich aber den lieben Gott und die Unſterblichkeit auf¬ geben ſollte und der Philoſoph dieſes mit hoͤchſt unbefangenen Auseinanderſetzungen verlangte, da
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0269"n="259"/>ſich fuͤr einen Atheiſten ausgab, konnte ihn der<lb/>
Gunſt des weiblichen Dorfes nicht berauben.</p><lb/><p>Er fand ſich auch im Hauſe meines Oheims ein,<lb/>
wo eine gute Anzahl Maͤdchen und junger Bur¬<lb/>ſche, die durch vielfaͤltigen Beſuch noch verſtaͤrkt<lb/>
wurde, fuͤr ſeine Auffuͤhrungen empfaͤnglich war.<lb/>
Ich geſellte mich dem Philoſophen bei, einestheils<lb/>
von ſeinem Philoſophiren angezogen, anderntheils<lb/>
von ſeinem Weiberkriege, da dieſer gerade mit<lb/>
meiner ſchiefen Lage zu den Maͤdchen zuſammen¬<lb/>
traf. Wir machten große Spaziergaͤnge, auf<lb/>
welchen er mir die Syſteme der Reihe nach vor¬<lb/>
trug, wie er ſie im Kopfe hatte und wie ich ſie<lb/>
verſtehen konnte. Es kam mir Alles aͤußerſt<lb/>
wichtig und erbaulich vor und ich ehrte bald,<lb/>
gleich ihm, jede Lehre und jeden Denker, gleich¬<lb/>
viel, ob wir ſie billigten oder nicht. Ueber den<lb/>
chriſtlichen Glauben waren wir bald einig und<lb/>
machten in die Wette unſern Krieg gegen<lb/>
Pfaffen und Autoritaͤtsleute jeder Art; als ich<lb/>
aber den lieben Gott und die Unſterblichkeit auf¬<lb/>
geben ſollte und der Philoſoph dieſes mit hoͤchſt<lb/>
unbefangenen Auseinanderſetzungen verlangte, da<lb/></p></div></body></text></TEI>
[259/0269]
ſich fuͤr einen Atheiſten ausgab, konnte ihn der
Gunſt des weiblichen Dorfes nicht berauben.
Er fand ſich auch im Hauſe meines Oheims ein,
wo eine gute Anzahl Maͤdchen und junger Bur¬
ſche, die durch vielfaͤltigen Beſuch noch verſtaͤrkt
wurde, fuͤr ſeine Auffuͤhrungen empfaͤnglich war.
Ich geſellte mich dem Philoſophen bei, einestheils
von ſeinem Philoſophiren angezogen, anderntheils
von ſeinem Weiberkriege, da dieſer gerade mit
meiner ſchiefen Lage zu den Maͤdchen zuſammen¬
traf. Wir machten große Spaziergaͤnge, auf
welchen er mir die Syſteme der Reihe nach vor¬
trug, wie er ſie im Kopfe hatte und wie ich ſie
verſtehen konnte. Es kam mir Alles aͤußerſt
wichtig und erbaulich vor und ich ehrte bald,
gleich ihm, jede Lehre und jeden Denker, gleich¬
viel, ob wir ſie billigten oder nicht. Ueber den
chriſtlichen Glauben waren wir bald einig und
machten in die Wette unſern Krieg gegen
Pfaffen und Autoritaͤtsleute jeder Art; als ich
aber den lieben Gott und die Unſterblichkeit auf¬
geben ſollte und der Philoſoph dieſes mit hoͤchſt
unbefangenen Auseinanderſetzungen verlangte, da
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/269>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.