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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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den Trank genießen wollten. Bei Kant hörte man
das göttliche Postulat so leibhaftig und zierlich
erklingen, wie ein Posthörnchen, aus der tiefen
Ferne der innersten Brust; bei Fichte verschwand
wieder alle Wirklichkeit gleich den Trauben in
Auerbach's Keller, nur daß wir nicht einmal
an unsere Nasen glauben durften, welche wir
in den Händen hielten; wenn Feuerbach sagte:
Gott ist nichts Anderes, als was der Mensch
aus seinem eigenen Wesen und nach seinen Be¬
dürfnissen abgezogen und zu Gott gemacht hat,
folglich ist Niemand als der Mensch dieser Gott
selbst, so versetzte sich der Philosoph sogleich in
einen mystischen Nimbus und betrachtete sich
selbst mit anbetender Verehrung, so daß bei ihm,
indem er die religiöse Bedeutung des Wortes
immer beibehielt, zu einer komischen Blasphemie
wurde, was im Buche die strengste Entsagung
und Selbstbeschränkung war. Am drolligsten
nahm er sich jedoch aus in seiner Anwendung
der alten Schulen, deren Lebensregeln er in sei¬
nem äußeren Behaben vereinigte. Als Cyniker
schnitt er alle überflüssigen Knöpfe von seinem

den Trank genießen wollten. Bei Kant hoͤrte man
das goͤttliche Poſtulat ſo leibhaftig und zierlich
erklingen, wie ein Poſthoͤrnchen, aus der tiefen
Ferne der innerſten Bruſt; bei Fichte verſchwand
wieder alle Wirklichkeit gleich den Trauben in
Auerbach's Keller, nur daß wir nicht einmal
an unſere Naſen glauben durften, welche wir
in den Haͤnden hielten; wenn Feuerbach ſagte:
Gott iſt nichts Anderes, als was der Menſch
aus ſeinem eigenen Weſen und nach ſeinen Be¬
duͤrfniſſen abgezogen und zu Gott gemacht hat,
folglich iſt Niemand als der Menſch dieſer Gott
ſelbſt, ſo verſetzte ſich der Philoſoph ſogleich in
einen myſtiſchen Nimbus und betrachtete ſich
ſelbſt mit anbetender Verehrung, ſo daß bei ihm,
indem er die religioͤſe Bedeutung des Wortes
immer beibehielt, zu einer komiſchen Blasphemie
wurde, was im Buche die ſtrengſte Entſagung
und Selbſtbeſchraͤnkung war. Am drolligſten
nahm er ſich jedoch aus in ſeiner Anwendung
der alten Schulen, deren Lebensregeln er in ſei¬
nem aͤußeren Behaben vereinigte. Als Cyniker
ſchnitt er alle uͤberfluͤſſigen Knoͤpfe von ſeinem

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[256/0266] den Trank genießen wollten. Bei Kant hoͤrte man das goͤttliche Poſtulat ſo leibhaftig und zierlich erklingen, wie ein Poſthoͤrnchen, aus der tiefen Ferne der innerſten Bruſt; bei Fichte verſchwand wieder alle Wirklichkeit gleich den Trauben in Auerbach's Keller, nur daß wir nicht einmal an unſere Naſen glauben durften, welche wir in den Haͤnden hielten; wenn Feuerbach ſagte: Gott iſt nichts Anderes, als was der Menſch aus ſeinem eigenen Weſen und nach ſeinen Be¬ duͤrfniſſen abgezogen und zu Gott gemacht hat, folglich iſt Niemand als der Menſch dieſer Gott ſelbſt, ſo verſetzte ſich der Philoſoph ſogleich in einen myſtiſchen Nimbus und betrachtete ſich ſelbſt mit anbetender Verehrung, ſo daß bei ihm, indem er die religioͤſe Bedeutung des Wortes immer beibehielt, zu einer komiſchen Blasphemie wurde, was im Buche die ſtrengſte Entſagung und Selbſtbeſchraͤnkung war. Am drolligſten nahm er ſich jedoch aus in ſeiner Anwendung der alten Schulen, deren Lebensregeln er in ſei¬ nem aͤußeren Behaben vereinigte. Als Cyniker ſchnitt er alle uͤberfluͤſſigen Knoͤpfe von ſeinem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/266>, abgerufen am 17.05.2024.