dem Hause, wie auf einem Jahrmarkte, daß an kein Durchkommen zu denken war. Unschlüssig und ängstlich blieb ich stehen, doch ein empfind¬ licher Stich auf die Wange bedeutete mir, daß meine Liebeserklärung für einmal der bewaffneten Obhut dieses Bienenstaates anheimgegeben sei. Für einige Monate lag sie allerdings sicher hinter dem Korbe; wenn aber der Honig ausgenommen wurde, so kam sicher auch mein Blatt zu Tage, und was dann? Indessen betrachtete ich diesen Vorfall als eine höhere Fügung und war halb und halb froh, meine Erklärung aus dem Be¬ reiche meines Willens einer allfälligen Entdeckung ausgesetzt zu wissen, gleich einem verlornen Sa¬ menkorn des Aufblühens harrend. Meine gesto¬ chene Wange reibend verließ ich endlich die Bie¬ nen, nicht ohne genau nachzusehen, ob nirgends ein Zipfelchen des weißen Blattes hervorgucke. Der Gesang in der Kirche ertönte wieder, die Glocken läuteten und die Gesellschaft kam in ein¬ zelnen Gruppen zerstreut nach Hause. Ich stand wieder oben am Fenster und sah Anna's Gestalt durch das Grüne allmälig herannahen. Ihren
dem Hauſe, wie auf einem Jahrmarkte, daß an kein Durchkommen zu denken war. Unſchluͤſſig und aͤngſtlich blieb ich ſtehen, doch ein empfind¬ licher Stich auf die Wange bedeutete mir, daß meine Liebeserklaͤrung fuͤr einmal der bewaffneten Obhut dieſes Bienenſtaates anheimgegeben ſei. Fuͤr einige Monate lag ſie allerdings ſicher hinter dem Korbe; wenn aber der Honig ausgenommen wurde, ſo kam ſicher auch mein Blatt zu Tage, und was dann? Indeſſen betrachtete ich dieſen Vorfall als eine hoͤhere Fuͤgung und war halb und halb froh, meine Erklaͤrung aus dem Be¬ reiche meines Willens einer allfaͤlligen Entdeckung ausgeſetzt zu wiſſen, gleich einem verlornen Sa¬ menkorn des Aufbluͤhens harrend. Meine geſto¬ chene Wange reibend verließ ich endlich die Bie¬ nen, nicht ohne genau nachzuſehen, ob nirgends ein Zipfelchen des weißen Blattes hervorgucke. Der Geſang in der Kirche ertoͤnte wieder, die Glocken laͤuteten und die Geſellſchaft kam in ein¬ zelnen Gruppen zerſtreut nach Hauſe. Ich ſtand wieder oben am Fenſter und ſah Anna's Geſtalt durch das Gruͤne allmaͤlig herannahen. Ihren
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0248"n="238"/>
dem Hauſe, wie auf einem Jahrmarkte, daß an<lb/>
kein Durchkommen zu denken war. Unſchluͤſſig<lb/>
und aͤngſtlich blieb ich ſtehen, doch ein empfind¬<lb/>
licher Stich auf die Wange bedeutete mir, daß<lb/>
meine Liebeserklaͤrung fuͤr einmal der bewaffneten<lb/>
Obhut dieſes Bienenſtaates anheimgegeben ſei.<lb/>
Fuͤr einige Monate lag ſie allerdings ſicher hinter<lb/>
dem Korbe; wenn aber der Honig ausgenommen<lb/>
wurde, ſo kam ſicher auch mein Blatt zu Tage,<lb/>
und was dann? Indeſſen betrachtete ich dieſen<lb/>
Vorfall als eine hoͤhere Fuͤgung und war halb<lb/>
und halb froh, meine Erklaͤrung aus dem Be¬<lb/>
reiche meines Willens einer allfaͤlligen Entdeckung<lb/>
ausgeſetzt zu wiſſen, gleich einem verlornen Sa¬<lb/>
menkorn des Aufbluͤhens harrend. Meine geſto¬<lb/>
chene Wange reibend verließ ich endlich die Bie¬<lb/>
nen, nicht ohne genau nachzuſehen, ob nirgends<lb/>
ein Zipfelchen des weißen Blattes hervorgucke.<lb/>
Der Geſang in der Kirche ertoͤnte wieder, die<lb/>
Glocken laͤuteten und die Geſellſchaft kam in ein¬<lb/>
zelnen Gruppen zerſtreut nach Hauſe. Ich ſtand<lb/>
wieder oben am Fenſter und ſah Anna's Geſtalt<lb/>
durch das Gruͤne allmaͤlig herannahen. Ihren<lb/></p></div></body></text></TEI>
[238/0248]
dem Hauſe, wie auf einem Jahrmarkte, daß an
kein Durchkommen zu denken war. Unſchluͤſſig
und aͤngſtlich blieb ich ſtehen, doch ein empfind¬
licher Stich auf die Wange bedeutete mir, daß
meine Liebeserklaͤrung fuͤr einmal der bewaffneten
Obhut dieſes Bienenſtaates anheimgegeben ſei.
Fuͤr einige Monate lag ſie allerdings ſicher hinter
dem Korbe; wenn aber der Honig ausgenommen
wurde, ſo kam ſicher auch mein Blatt zu Tage,
und was dann? Indeſſen betrachtete ich dieſen
Vorfall als eine hoͤhere Fuͤgung und war halb
und halb froh, meine Erklaͤrung aus dem Be¬
reiche meines Willens einer allfaͤlligen Entdeckung
ausgeſetzt zu wiſſen, gleich einem verlornen Sa¬
menkorn des Aufbluͤhens harrend. Meine geſto¬
chene Wange reibend verließ ich endlich die Bie¬
nen, nicht ohne genau nachzuſehen, ob nirgends
ein Zipfelchen des weißen Blattes hervorgucke.
Der Geſang in der Kirche ertoͤnte wieder, die
Glocken laͤuteten und die Geſellſchaft kam in ein¬
zelnen Gruppen zerſtreut nach Hauſe. Ich ſtand
wieder oben am Fenſter und ſah Anna's Geſtalt
durch das Gruͤne allmaͤlig herannahen. Ihren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/248>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.