Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

einst auch also in die Erde gelegt werde, da ver¬
gegenwärtigte sich mir wieder mein Zusammen¬
hang mit diesem Grabe und das harte Wort:
"Ein Geschlecht vergeht und das andere entsteht!"
verlor die scheinbare Kälte seiner Nothwendigkeit.

Der eingeladene Theil der Versammlung be¬
gab sich nun wieder nach dem Trauerhause, des¬
sen Räume alle mit den Vorrichtungen des Lei¬
chenmahles erfüllt waren. Als man zu Tische
saß, versetzte mich die Sitte wieder an die Seite
des finstern Wittwers, wo ich zwei volle Stun¬
den aushalten mußte, ohne mit Jemandem spre¬
chen zu können, so lange die erste herkömmliche
Essenszeit mit allen ihren unvermeidlichen Ge¬
richten dauerte. Ich sah die lange Tafel hinunter
und suchte den Schulmeister und sein Kind,
welche auch anwesend waren; sie mußten aber
im anstoßenden Zimmer sein, denn ich fand sie
nicht.

Anfänglich wurde mäßig und bedächtig ge¬
sprochen und die Speisen in großer Ehrbarkeit
eingenommen. Die Bauern saßen aufrecht an
ihre Stühle oder an die Wand gelehnt, in be¬

einſt auch alſo in die Erde gelegt werde, da ver¬
gegenwaͤrtigte ſich mir wieder mein Zuſammen¬
hang mit dieſem Grabe und das harte Wort:
»Ein Geſchlecht vergeht und das andere entſteht!«
verlor die ſcheinbare Kaͤlte ſeiner Nothwendigkeit.

Der eingeladene Theil der Verſammlung be¬
gab ſich nun wieder nach dem Trauerhauſe, deſ¬
ſen Raͤume alle mit den Vorrichtungen des Lei¬
chenmahles erfuͤllt waren. Als man zu Tiſche
ſaß, verſetzte mich die Sitte wieder an die Seite
des finſtern Wittwers, wo ich zwei volle Stun¬
den aushalten mußte, ohne mit Jemandem ſpre¬
chen zu koͤnnen, ſo lange die erſte herkoͤmmliche
Eſſenszeit mit allen ihren unvermeidlichen Ge¬
richten dauerte. Ich ſah die lange Tafel hinunter
und ſuchte den Schulmeiſter und ſein Kind,
welche auch anweſend waren; ſie mußten aber
im anſtoßenden Zimmer ſein, denn ich fand ſie
nicht.

Anfaͤnglich wurde maͤßig und bedaͤchtig ge¬
ſprochen und die Speiſen in großer Ehrbarkeit
eingenommen. Die Bauern ſaßen aufrecht an
ihre Stuͤhle oder an die Wand gelehnt, in be¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0146" n="136"/>
ein&#x017F;t auch al&#x017F;o in die Erde gelegt werde, da ver¬<lb/>
gegenwa&#x0364;rtigte &#x017F;ich mir wieder mein Zu&#x017F;ammen¬<lb/>
hang mit die&#x017F;em Grabe und das harte Wort:<lb/>
»Ein Ge&#x017F;chlecht vergeht und das andere ent&#x017F;teht!«<lb/>
verlor die &#x017F;cheinbare Ka&#x0364;lte &#x017F;einer Nothwendigkeit.</p><lb/>
        <p>Der eingeladene Theil der Ver&#x017F;ammlung be¬<lb/>
gab &#x017F;ich nun wieder nach dem Trauerhau&#x017F;e, de&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en Ra&#x0364;ume alle mit den Vorrichtungen des Lei¬<lb/>
chenmahles erfu&#x0364;llt waren. Als man zu Ti&#x017F;che<lb/>
&#x017F;aß, ver&#x017F;etzte mich die Sitte wieder an die Seite<lb/>
des fin&#x017F;tern Wittwers, wo ich zwei volle Stun¬<lb/>
den aushalten mußte, ohne mit Jemandem &#x017F;pre¬<lb/>
chen zu ko&#x0364;nnen, &#x017F;o lange die er&#x017F;te herko&#x0364;mmliche<lb/>
E&#x017F;&#x017F;enszeit mit allen ihren unvermeidlichen Ge¬<lb/>
richten dauerte. Ich &#x017F;ah die lange Tafel hinunter<lb/>
und &#x017F;uchte den Schulmei&#x017F;ter und &#x017F;ein Kind,<lb/>
welche auch anwe&#x017F;end waren; &#x017F;ie mußten aber<lb/>
im an&#x017F;toßenden Zimmer &#x017F;ein, denn ich fand &#x017F;ie<lb/>
nicht.</p><lb/>
        <p>Anfa&#x0364;nglich wurde ma&#x0364;ßig und beda&#x0364;chtig ge¬<lb/>
&#x017F;prochen und die Spei&#x017F;en in großer Ehrbarkeit<lb/>
eingenommen. Die Bauern &#x017F;aßen aufrecht an<lb/>
ihre Stu&#x0364;hle oder an die Wand gelehnt, in be¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0146] einſt auch alſo in die Erde gelegt werde, da ver¬ gegenwaͤrtigte ſich mir wieder mein Zuſammen¬ hang mit dieſem Grabe und das harte Wort: »Ein Geſchlecht vergeht und das andere entſteht!« verlor die ſcheinbare Kaͤlte ſeiner Nothwendigkeit. Der eingeladene Theil der Verſammlung be¬ gab ſich nun wieder nach dem Trauerhauſe, deſ¬ ſen Raͤume alle mit den Vorrichtungen des Lei¬ chenmahles erfuͤllt waren. Als man zu Tiſche ſaß, verſetzte mich die Sitte wieder an die Seite des finſtern Wittwers, wo ich zwei volle Stun¬ den aushalten mußte, ohne mit Jemandem ſpre¬ chen zu koͤnnen, ſo lange die erſte herkoͤmmliche Eſſenszeit mit allen ihren unvermeidlichen Ge¬ richten dauerte. Ich ſah die lange Tafel hinunter und ſuchte den Schulmeiſter und ſein Kind, welche auch anweſend waren; ſie mußten aber im anſtoßenden Zimmer ſein, denn ich fand ſie nicht. Anfaͤnglich wurde maͤßig und bedaͤchtig ge¬ ſprochen und die Speiſen in großer Ehrbarkeit eingenommen. Die Bauern ſaßen aufrecht an ihre Stuͤhle oder an die Wand gelehnt, in be¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/146
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/146>, abgerufen am 05.05.2024.