gerufen und festgehalten worden. Nach der Weise der aufopfernden und nimmermüden alten Frauen und auch aus unentbehrlicher Gewohnheit befand sich ihre Mutter beinahe immer auf dem warmen Felde, während die kräftige Tochter das leichtere Theil erwählte und im kühlen Haus und Garten gemächlich und halb müßig waltete. Deswegen war diese bei gutem Wetter fast immer allein zu Hause und sah es gern, wenn Jemand, den sie leiden mochte, bei ihr vorkehrte und mit ihr plauderte. Als sie meine Malerkünste entdeckt hatte, trug sie mir sogleich auf, ihr ein Blumen¬ sträuschen zu malen, welches sie mit Zufrieden¬ heit in ihr Gesangbuch legte. Sie besaß ein kleines Stammbüchelchen von der Stadt her, das nur zwei oder drei Inschriften und eine Menge leerer Blätter mit Goldschnitt enthielt; von die¬ sen gab sie mir bei jedem Besuche einige, daß ich eine Blume oder ein Kränzchen darauf male (Farben und Pinsel hatte ich schon bei ihr depo¬ nirt und sie verwahrte dieselben sorgfältig), dann wurde ein Vers oder verliebter Spruch darunter geschrieben und ihr Kirchenbuch mit solchen Bild¬
gerufen und feſtgehalten worden. Nach der Weiſe der aufopfernden und nimmermuͤden alten Frauen und auch aus unentbehrlicher Gewohnheit befand ſich ihre Mutter beinahe immer auf dem warmen Felde, waͤhrend die kraͤftige Tochter das leichtere Theil erwaͤhlte und im kuͤhlen Haus und Garten gemaͤchlich und halb muͤßig waltete. Deswegen war dieſe bei gutem Wetter faſt immer allein zu Hauſe und ſah es gern, wenn Jemand, den ſie leiden mochte, bei ihr vorkehrte und mit ihr plauderte. Als ſie meine Malerkuͤnſte entdeckt hatte, trug ſie mir ſogleich auf, ihr ein Blumen¬ ſtraͤuſchen zu malen, welches ſie mit Zufrieden¬ heit in ihr Geſangbuch legte. Sie beſaß ein kleines Stammbuͤchelchen von der Stadt her, das nur zwei oder drei Inſchriften und eine Menge leerer Blaͤtter mit Goldſchnitt enthielt; von die¬ ſen gab ſie mir bei jedem Beſuche einige, daß ich eine Blume oder ein Kraͤnzchen darauf male (Farben und Pinſel hatte ich ſchon bei ihr depo¬ nirt und ſie verwahrte dieſelben ſorgfaͤltig), dann wurde ein Vers oder verliebter Spruch darunter geſchrieben und ihr Kirchenbuch mit ſolchen Bild¬
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gerufen und feſtgehalten worden. Nach der Weiſe
der aufopfernden und nimmermuͤden alten Frauen
und auch aus unentbehrlicher Gewohnheit befand
ſich ihre Mutter beinahe immer auf dem warmen
Felde, waͤhrend die kraͤftige Tochter das leichtere
Theil erwaͤhlte und im kuͤhlen Haus und Garten
gemaͤchlich und halb muͤßig waltete. Deswegen
war dieſe bei gutem Wetter faſt immer allein zu
Hauſe und ſah es gern, wenn Jemand, den ſie
leiden mochte, bei ihr vorkehrte und mit ihr
plauderte. Als ſie meine Malerkuͤnſte entdeckt
hatte, trug ſie mir ſogleich auf, ihr ein Blumen¬
ſtraͤuſchen zu malen, welches ſie mit Zufrieden¬
heit in ihr Geſangbuch legte. Sie beſaß ein
kleines Stammbuͤchelchen von der Stadt her, das
nur zwei oder drei Inſchriften und eine Menge
leerer Blaͤtter mit Goldſchnitt enthielt; von die¬
ſen gab ſie mir bei jedem Beſuche einige, daß
ich eine Blume oder ein Kraͤnzchen darauf male
(Farben und Pinſel hatte ich ſchon bei ihr depo¬
nirt und ſie verwahrte dieſelben ſorgfaͤltig), dann
wurde ein Vers oder verliebter Spruch darunter
geſchrieben und ihr Kirchenbuch mit ſolchen Bild¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/105>, abgerufen am 05.05.2024.
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