wie wenn irgend einer zarten und bisher unbe¬ rührten Saite meines Innern plötzlich Gewalt angethan wäre; jeder Stein, jeder Baum scheint hier einen Stempel zu tragen, noch neben dem der Gottheit und der Natur. Jedes Postschild scheint mir zuzurufen: Du mußt Dich auch zeich¬ nen lassen, wie ich, hier ist Alles das erste und letzte Eigenthum eines einzelnen Menschen! Und je weniger das Wort in Wirklichkeit wahr ist, besonders in einer gesetzlich eingerichteten Monar¬ chie, desto mehr kommt es mir als ein unwürdi¬ ger Spaß, als ein blauer Dunst vor, den man sich mit ernsthaftem Gesicht vormacht: je weniger ich, wenn ich recht thue, nach Jemandem zu fra¬ gen habe, desto lästiger ist es mir, wenn ich mich doch so anstellen soll, vor einer Namenschiffer den Hut abzuziehen und den Nachbar dabei zu versichern, daß dies mein höchster Ernst sei. Ei¬ gentlich regieren überall doch diejenigen, welche die nöthige Einsicht und Ueberlegenheit im Guten wie im Bösen dazu haben; manchmal ist es der Fürst, manchmal der letzte Hirtensohn seines Rei¬ ches, zuletzt fast immer die öffentliche Meinung
wie wenn irgend einer zarten und bisher unbe¬ ruͤhrten Saite meines Innern ploͤtzlich Gewalt angethan waͤre; jeder Stein, jeder Baum ſcheint hier einen Stempel zu tragen, noch neben dem der Gottheit und der Natur. Jedes Poſtſchild ſcheint mir zuzurufen: Du mußt Dich auch zeich¬ nen laſſen, wie ich, hier iſt Alles das erſte und letzte Eigenthum eines einzelnen Menſchen! Und je weniger das Wort in Wirklichkeit wahr iſt, beſonders in einer geſetzlich eingerichteten Monar¬ chie, deſto mehr kommt es mir als ein unwuͤrdi¬ ger Spaß, als ein blauer Dunſt vor, den man ſich mit ernſthaftem Geſicht vormacht: je weniger ich, wenn ich recht thue, nach Jemandem zu fra¬ gen habe, deſto laͤſtiger iſt es mir, wenn ich mich doch ſo anſtellen ſoll, vor einer Namenschiffer den Hut abzuziehen und den Nachbar dabei zu verſichern, daß dies mein hoͤchſter Ernſt ſei. Ei¬ gentlich regieren uͤberall doch diejenigen, welche die noͤthige Einſicht und Ueberlegenheit im Guten wie im Boͤſen dazu haben; manchmal iſt es der Fuͤrſt, manchmal der letzte Hirtenſohn ſeines Rei¬ ches, zuletzt faſt immer die oͤffentliche Meinung
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wie wenn irgend einer zarten und bisher unbe¬
ruͤhrten Saite meines Innern ploͤtzlich Gewalt
angethan waͤre; jeder Stein, jeder Baum ſcheint
hier einen Stempel zu tragen, noch neben dem
der Gottheit und der Natur. Jedes Poſtſchild
ſcheint mir zuzurufen: Du mußt Dich auch zeich¬
nen laſſen, wie ich, hier iſt Alles das erſte und
letzte Eigenthum eines einzelnen Menſchen! Und
je weniger das Wort in Wirklichkeit wahr iſt,
beſonders in einer geſetzlich eingerichteten Monar¬
chie, deſto mehr kommt es mir als ein unwuͤrdi¬
ger Spaß, als ein blauer Dunſt vor, den man
ſich mit ernſthaftem Geſicht vormacht: je weniger
ich, wenn ich recht thue, nach Jemandem zu fra¬
gen habe, deſto laͤſtiger iſt es mir, wenn ich mich
doch ſo anſtellen ſoll, vor einer Namenschiffer
den Hut abzuziehen und den Nachbar dabei zu
verſichern, daß dies mein hoͤchſter Ernſt ſei. Ei¬
gentlich regieren uͤberall doch diejenigen, welche
die noͤthige Einſicht und Ueberlegenheit im Guten
wie im Boͤſen dazu haben; manchmal iſt es der
Fuͤrſt, manchmal der letzte Hirtenſohn ſeines Rei¬
ches, zuletzt faſt immer die oͤffentliche Meinung
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/86>, abgerufen am 22.11.2024.
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