nicht mehr fort, bis Du so rothe Backen hast, wie Dein seliger Vater! Wie geht's der Mutter, was ist das, warum kommt sie nicht mit?" So¬ gleich richtete sie mir an der Tafel ein vorläufiges Mal zu und trug mich, als ich zögerte, ohne wei¬ teres wie ein Kind auf den Stuhl und befahl mir, stracks zu essen und zu trinken. Indessen näherte sich Geräusch dem Hause, der hohe Garben¬ wagen schwankte unter den Nußbäumen heran, daß er die untersten Aeste streifte, die Söhne und Töchter mit einer Menge anderer Schnitter und Schnitterinnen gingen nebenher unter Gelächter und Gesang, der Oheim, seine Flinte reinigend, schrie ihnen zu, ich wäre da, und bald fand ich mich mitten im fröhlichen Getümmel. Erst spät in der Nacht legte ich mich zu Bette bei offenem Fenster; das Wasser rauschte dicht unter demselben, jenseits klapperte eine Mühle, ein majestätisches Gewitter zog durch das Thal, der Regen klang wie Musik und der Wind in den Forsten der nahen Berge wie Gesang, und die kühle erfrischende Luft athmend schlief ich so zu sagen an der Brust der gewaltigen Natur ein.
nicht mehr fort, bis Du ſo rothe Backen haſt, wie Dein ſeliger Vater! Wie geht's der Mutter, was iſt das, warum kommt ſie nicht mit?« So¬ gleich richtete ſie mir an der Tafel ein vorlaͤufiges Mal zu und trug mich, als ich zoͤgerte, ohne wei¬ teres wie ein Kind auf den Stuhl und befahl mir, ſtracks zu eſſen und zu trinken. Indeſſen naͤherte ſich Geraͤuſch dem Hauſe, der hohe Garben¬ wagen ſchwankte unter den Nußbaͤumen heran, daß er die unterſten Aeſte ſtreifte, die Soͤhne und Toͤchter mit einer Menge anderer Schnitter und Schnitterinnen gingen nebenher unter Gelaͤchter und Geſang, der Oheim, ſeine Flinte reinigend, ſchrie ihnen zu, ich waͤre da, und bald fand ich mich mitten im froͤhlichen Getuͤmmel. Erſt ſpaͤt in der Nacht legte ich mich zu Bette bei offenem Fenſter; das Waſſer rauſchte dicht unter demſelben, jenſeits klapperte eine Muͤhle, ein majeſtaͤtiſches Gewitter zog durch das Thal, der Regen klang wie Muſik und der Wind in den Forſten der nahen Berge wie Geſang, und die kuͤhle erfriſchende Luft athmend ſchlief ich ſo zu ſagen an der Bruſt der gewaltigen Natur ein.
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nicht mehr fort, bis Du ſo rothe Backen haſt,
wie Dein ſeliger Vater! Wie geht's der Mutter,
was iſt das, warum kommt ſie nicht mit?« So¬
gleich richtete ſie mir an der Tafel ein vorlaͤufiges
Mal zu und trug mich, als ich zoͤgerte, ohne wei¬
teres wie ein Kind auf den Stuhl und befahl
mir, ſtracks zu eſſen und zu trinken. Indeſſen
naͤherte ſich Geraͤuſch dem Hauſe, der hohe Garben¬
wagen ſchwankte unter den Nußbaͤumen heran,
daß er die unterſten Aeſte ſtreifte, die Soͤhne und
Toͤchter mit einer Menge anderer Schnitter und
Schnitterinnen gingen nebenher unter Gelaͤchter
und Geſang, der Oheim, ſeine Flinte reinigend,
ſchrie ihnen zu, ich waͤre da, und bald fand ich
mich mitten im froͤhlichen Getuͤmmel. Erſt ſpaͤt
in der Nacht legte ich mich zu Bette bei offenem
Fenſter; das Waſſer rauſchte dicht unter demſelben,
jenſeits klapperte eine Muͤhle, ein majeſtaͤtiſches
Gewitter zog durch das Thal, der Regen klang
wie Muſik und der Wind in den Forſten der
nahen Berge wie Geſang, und die kuͤhle erfriſchende
Luft athmend ſchlief ich ſo zu ſagen an der Bruſt
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/410>, abgerufen am 25.11.2024.
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