Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Volksbewegungen und Revolutionsscenen vor.
"Wir müssen uns in gleichmäßigere Glieder ab¬
theilen," sagte ich zu den Rädelsführern, "und in
ernstem Zuge ein Vaterlandslied singen!" Dieser
Vorschlag wurde beliebt und sogleich ausgeführt;
so durchzogen wir mehrere Straßen, die Leute
sahen uns mit Staunen nach, ich schlug vor, noch
einen Umweg zu machen und dies Vergnügen
so lange als möglich andauern zu lassen. Auch
dies geschah, allein zuletzt langten wir doch am
Ziele an. "Was wollen wir nun eigentlich be¬
ginnen?" fragte ich, "ich dächte, wir sängen hier
ein Lied und zögen dann wieder mit einem Hur¬
rah davon!" "In's Haus! in's Haus!" tönte
es zur Antwort, "wir wollen ihm eine Dankrede
für sein Wirken abstatten!" "So sollen wenig¬
stens Alle für Einen stehen und Keiner davon
laufen, damit Alle die gleiche Strafe tragen,
wenn es Etwas absetzt!" rief ich, worauf der
ganze Schwarm in das kleine enge Haus ein¬
strömte und die Treppen hinantobte. Ich blieb
an der Hausthür stehen, theils um nicht dem
Manne vor das Angesicht treten zu müssen, weil

Volksbewegungen und Revolutionsſcenen vor.
»Wir muͤſſen uns in gleichmaͤßigere Glieder ab¬
theilen,« ſagte ich zu den Raͤdelsfuͤhrern, »und in
ernſtem Zuge ein Vaterlandslied ſingen!« Dieſer
Vorſchlag wurde beliebt und ſogleich ausgefuͤhrt;
ſo durchzogen wir mehrere Straßen, die Leute
ſahen uns mit Staunen nach, ich ſchlug vor, noch
einen Umweg zu machen und dies Vergnuͤgen
ſo lange als moͤglich andauern zu laſſen. Auch
dies geſchah, allein zuletzt langten wir doch am
Ziele an. »Was wollen wir nun eigentlich be¬
ginnen?« fragte ich, »ich daͤchte, wir ſaͤngen hier
ein Lied und zoͤgen dann wieder mit einem Hur¬
rah davon!« »In's Haus! in's Haus!« toͤnte
es zur Antwort, »wir wollen ihm eine Dankrede
fuͤr ſein Wirken abſtatten!« »So ſollen wenig¬
ſtens Alle fuͤr Einen ſtehen und Keiner davon
laufen, damit Alle die gleiche Strafe tragen,
wenn es Etwas abſetzt!« rief ich, worauf der
ganze Schwarm in das kleine enge Haus ein¬
ſtroͤmte und die Treppen hinantobte. Ich blieb
an der Hausthuͤr ſtehen, theils um nicht dem
Manne vor das Angeſicht treten zu muͤſſen, weil

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0392" n="378"/>
Volksbewegungen und Revolutions&#x017F;cenen vor.<lb/>
»Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en uns in gleichma&#x0364;ßigere Glieder ab¬<lb/>
theilen,« &#x017F;agte ich zu den Ra&#x0364;delsfu&#x0364;hrern, »und in<lb/>
ern&#x017F;tem Zuge ein Vaterlandslied &#x017F;ingen!« Die&#x017F;er<lb/>
Vor&#x017F;chlag wurde beliebt und &#x017F;ogleich ausgefu&#x0364;hrt;<lb/>
&#x017F;o durchzogen wir mehrere Straßen, die Leute<lb/>
&#x017F;ahen uns mit Staunen nach, ich &#x017F;chlug vor, noch<lb/>
einen Umweg zu machen und dies Vergnu&#x0364;gen<lb/>
&#x017F;o lange als mo&#x0364;glich andauern zu la&#x017F;&#x017F;en. Auch<lb/>
dies ge&#x017F;chah, allein zuletzt langten wir doch am<lb/>
Ziele an. »Was wollen wir nun eigentlich be¬<lb/>
ginnen?« fragte ich, »ich da&#x0364;chte, wir &#x017F;a&#x0364;ngen hier<lb/>
ein Lied und zo&#x0364;gen dann wieder mit einem Hur¬<lb/>
rah davon!« »In's Haus! in's Haus!« to&#x0364;nte<lb/>
es zur Antwort, »wir wollen ihm eine Dankrede<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ein Wirken ab&#x017F;tatten!« »So &#x017F;ollen wenig¬<lb/>
&#x017F;tens Alle fu&#x0364;r Einen &#x017F;tehen und Keiner davon<lb/>
laufen, damit Alle die gleiche Strafe tragen,<lb/>
wenn es Etwas ab&#x017F;etzt!« rief ich, worauf der<lb/>
ganze Schwarm in das kleine enge Haus ein¬<lb/>
&#x017F;tro&#x0364;mte und die Treppen hinantobte. Ich blieb<lb/>
an der Hausthu&#x0364;r &#x017F;tehen, theils um nicht dem<lb/>
Manne vor das Ange&#x017F;icht treten zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, weil<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0392] Volksbewegungen und Revolutionsſcenen vor. »Wir muͤſſen uns in gleichmaͤßigere Glieder ab¬ theilen,« ſagte ich zu den Raͤdelsfuͤhrern, »und in ernſtem Zuge ein Vaterlandslied ſingen!« Dieſer Vorſchlag wurde beliebt und ſogleich ausgefuͤhrt; ſo durchzogen wir mehrere Straßen, die Leute ſahen uns mit Staunen nach, ich ſchlug vor, noch einen Umweg zu machen und dies Vergnuͤgen ſo lange als moͤglich andauern zu laſſen. Auch dies geſchah, allein zuletzt langten wir doch am Ziele an. »Was wollen wir nun eigentlich be¬ ginnen?« fragte ich, »ich daͤchte, wir ſaͤngen hier ein Lied und zoͤgen dann wieder mit einem Hur¬ rah davon!« »In's Haus! in's Haus!« toͤnte es zur Antwort, »wir wollen ihm eine Dankrede fuͤr ſein Wirken abſtatten!« »So ſollen wenig¬ ſtens Alle fuͤr Einen ſtehen und Keiner davon laufen, damit Alle die gleiche Strafe tragen, wenn es Etwas abſetzt!« rief ich, worauf der ganze Schwarm in das kleine enge Haus ein¬ ſtroͤmte und die Treppen hinantobte. Ich blieb an der Hausthuͤr ſtehen, theils um nicht dem Manne vor das Angeſicht treten zu muͤſſen, weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/392
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/392>, abgerufen am 22.11.2024.