Volksbewegungen und Revolutionsscenen vor. "Wir müssen uns in gleichmäßigere Glieder ab¬ theilen," sagte ich zu den Rädelsführern, "und in ernstem Zuge ein Vaterlandslied singen!" Dieser Vorschlag wurde beliebt und sogleich ausgeführt; so durchzogen wir mehrere Straßen, die Leute sahen uns mit Staunen nach, ich schlug vor, noch einen Umweg zu machen und dies Vergnügen so lange als möglich andauern zu lassen. Auch dies geschah, allein zuletzt langten wir doch am Ziele an. "Was wollen wir nun eigentlich be¬ ginnen?" fragte ich, "ich dächte, wir sängen hier ein Lied und zögen dann wieder mit einem Hur¬ rah davon!" "In's Haus! in's Haus!" tönte es zur Antwort, "wir wollen ihm eine Dankrede für sein Wirken abstatten!" "So sollen wenig¬ stens Alle für Einen stehen und Keiner davon laufen, damit Alle die gleiche Strafe tragen, wenn es Etwas absetzt!" rief ich, worauf der ganze Schwarm in das kleine enge Haus ein¬ strömte und die Treppen hinantobte. Ich blieb an der Hausthür stehen, theils um nicht dem Manne vor das Angesicht treten zu müssen, weil
Volksbewegungen und Revolutionsſcenen vor. »Wir muͤſſen uns in gleichmaͤßigere Glieder ab¬ theilen,« ſagte ich zu den Raͤdelsfuͤhrern, »und in ernſtem Zuge ein Vaterlandslied ſingen!« Dieſer Vorſchlag wurde beliebt und ſogleich ausgefuͤhrt; ſo durchzogen wir mehrere Straßen, die Leute ſahen uns mit Staunen nach, ich ſchlug vor, noch einen Umweg zu machen und dies Vergnuͤgen ſo lange als moͤglich andauern zu laſſen. Auch dies geſchah, allein zuletzt langten wir doch am Ziele an. »Was wollen wir nun eigentlich be¬ ginnen?« fragte ich, »ich daͤchte, wir ſaͤngen hier ein Lied und zoͤgen dann wieder mit einem Hur¬ rah davon!« »In's Haus! in's Haus!« toͤnte es zur Antwort, »wir wollen ihm eine Dankrede fuͤr ſein Wirken abſtatten!« »So ſollen wenig¬ ſtens Alle fuͤr Einen ſtehen und Keiner davon laufen, damit Alle die gleiche Strafe tragen, wenn es Etwas abſetzt!« rief ich, worauf der ganze Schwarm in das kleine enge Haus ein¬ ſtroͤmte und die Treppen hinantobte. Ich blieb an der Hausthuͤr ſtehen, theils um nicht dem Manne vor das Angeſicht treten zu muͤſſen, weil
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Volksbewegungen und Revolutionsſcenen vor.
»Wir muͤſſen uns in gleichmaͤßigere Glieder ab¬
theilen,« ſagte ich zu den Raͤdelsfuͤhrern, »und in
ernſtem Zuge ein Vaterlandslied ſingen!« Dieſer
Vorſchlag wurde beliebt und ſogleich ausgefuͤhrt;
ſo durchzogen wir mehrere Straßen, die Leute
ſahen uns mit Staunen nach, ich ſchlug vor, noch
einen Umweg zu machen und dies Vergnuͤgen
ſo lange als moͤglich andauern zu laſſen. Auch
dies geſchah, allein zuletzt langten wir doch am
Ziele an. »Was wollen wir nun eigentlich be¬
ginnen?« fragte ich, »ich daͤchte, wir ſaͤngen hier
ein Lied und zoͤgen dann wieder mit einem Hur¬
rah davon!« »In's Haus! in's Haus!« toͤnte
es zur Antwort, »wir wollen ihm eine Dankrede
fuͤr ſein Wirken abſtatten!« »So ſollen wenig¬
ſtens Alle fuͤr Einen ſtehen und Keiner davon
laufen, damit Alle die gleiche Strafe tragen,
wenn es Etwas abſetzt!« rief ich, worauf der
ganze Schwarm in das kleine enge Haus ein¬
ſtroͤmte und die Treppen hinantobte. Ich blieb
an der Hausthuͤr ſtehen, theils um nicht dem
Manne vor das Angeſicht treten zu muͤſſen, weil
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/392>, abgerufen am 22.11.2024.
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