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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Wichtigkeit verhandelt, daß es mir angst und
bange ward, Allem zu genügen. Zwar war ich
einer der Ersten, welcher Handschuhe aufzuweisen
hatte, indem meine Mutter auf meine Klage aus
den begrabenen Vorräthen ihrer Jugend ein Paar
lange Handschuhe von feinem weißem Leder her¬
vorzog und unbedenklich die Hände vorn ab¬
schnitt, welche mir vortrefflich paßten. Hingegen
in Betreff des Geldes lebte ich der betrübten
Aussicht, jedenfalls eine gedrückte und enthalt¬
same Rolle spielen zu müssen. In solchen Be¬
trachtungen saß ich am Vorabend der Freuden¬
tage in einem Winkel, als mir plötzlich ein Ge¬
danke durch den Kopf fuhr, ich das Hinausgehen
der Mutter abwartete und dann zu dem Schranke
eilte, in welchem mein Schatzkästchen lag. Ich
öffnete es zur Hälfte und nahm unbesehen ein
großes Geldstück heraus, das zu oberst lag; die
anderen rückten alle ein klein wenig von der
Stelle und machten ein leises Silbergeräusch, in
dessen klangvoller Reinheit jedoch eine gewisse
Gewalt lag, die mich schauern machte. Schnell
brachte ich meine Beute zur Seite, befand mich

Wichtigkeit verhandelt, daß es mir angſt und
bange ward, Allem zu genuͤgen. Zwar war ich
einer der Erſten, welcher Handſchuhe aufzuweiſen
hatte, indem meine Mutter auf meine Klage aus
den begrabenen Vorraͤthen ihrer Jugend ein Paar
lange Handſchuhe von feinem weißem Leder her¬
vorzog und unbedenklich die Haͤnde vorn ab¬
ſchnitt, welche mir vortrefflich paßten. Hingegen
in Betreff des Geldes lebte ich der betruͤbten
Ausſicht, jedenfalls eine gedruͤckte und enthalt¬
ſame Rolle ſpielen zu muͤſſen. In ſolchen Be¬
trachtungen ſaß ich am Vorabend der Freuden¬
tage in einem Winkel, als mir ploͤtzlich ein Ge¬
danke durch den Kopf fuhr, ich das Hinausgehen
der Mutter abwartete und dann zu dem Schranke
eilte, in welchem mein Schatzkaͤſtchen lag. Ich
oͤffnete es zur Haͤlfte und nahm unbeſehen ein
großes Geldſtuͤck heraus, das zu oberſt lag; die
anderen ruͤckten alle ein klein wenig von der
Stelle und machten ein leiſes Silbergeraͤuſch, in
deſſen klangvoller Reinheit jedoch eine gewiſſe
Gewalt lag, die mich ſchauern machte. Schnell
brachte ich meine Beute zur Seite, befand mich

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[307/0321] Wichtigkeit verhandelt, daß es mir angſt und bange ward, Allem zu genuͤgen. Zwar war ich einer der Erſten, welcher Handſchuhe aufzuweiſen hatte, indem meine Mutter auf meine Klage aus den begrabenen Vorraͤthen ihrer Jugend ein Paar lange Handſchuhe von feinem weißem Leder her¬ vorzog und unbedenklich die Haͤnde vorn ab¬ ſchnitt, welche mir vortrefflich paßten. Hingegen in Betreff des Geldes lebte ich der betruͤbten Ausſicht, jedenfalls eine gedruͤckte und enthalt¬ ſame Rolle ſpielen zu muͤſſen. In ſolchen Be¬ trachtungen ſaß ich am Vorabend der Freuden¬ tage in einem Winkel, als mir ploͤtzlich ein Ge¬ danke durch den Kopf fuhr, ich das Hinausgehen der Mutter abwartete und dann zu dem Schranke eilte, in welchem mein Schatzkaͤſtchen lag. Ich oͤffnete es zur Haͤlfte und nahm unbeſehen ein großes Geldſtuͤck heraus, das zu oberſt lag; die anderen ruͤckten alle ein klein wenig von der Stelle und machten ein leiſes Silbergeraͤuſch, in deſſen klangvoller Reinheit jedoch eine gewiſſe Gewalt lag, die mich ſchauern machte. Schnell brachte ich meine Beute zur Seite, befand mich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/321>, abgerufen am 25.11.2024.