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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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andern Sprung gethan, den ich mit Vorsatz nicht
zu wiederholen vermochte. Mein Temperament
aber hatte mich nicht dazu getrieben, wie etwa
die Söhne anderer Wittwen, da ich keinen Werth
darauf legte und viel zu beschaulich war. Meine
jetzigen Schulgenossen hingegen bis auf den Klein¬
sten herab schwammen alle wie die Fische im
See herum, sprangen und kletterten wie Katzen,
und es war hauptsächlich ihr Spott, welcher mich
zwang, mir einige Haltung und Gewandtheit zu
erwerben, da sonst wohl mein Eifer bald erkaltet
wäre. Denn es ist nicht zu läugnen, daß das
allzu pedantische Betreiben solcher Dinge nicht
nur gedankenreichen Erwachsenen, sondern auch
einem Kinde, dessen Phantasie öfters spazieren
geht, unbequem werden kann.

Aber noch viel tiefer sollten die Veränderun¬
gen in mein Leben einschneiden. Ich war nun
in eine Umgebung gerathen, welche sämmtlich
mit einem mehr oder minder genugsamen Ta¬
schengelde versehen war, theils in Folge häus¬
licher Wohlhabenheit, theils auch nur in Folge
herkömmlichen städtischen Wohllebens und sorg¬

andern Sprung gethan, den ich mit Vorſatz nicht
zu wiederholen vermochte. Mein Temperament
aber hatte mich nicht dazu getrieben, wie etwa
die Soͤhne anderer Wittwen, da ich keinen Werth
darauf legte und viel zu beſchaulich war. Meine
jetzigen Schulgenoſſen hingegen bis auf den Klein¬
ſten herab ſchwammen alle wie die Fiſche im
See herum, ſprangen und kletterten wie Katzen,
und es war hauptſaͤchlich ihr Spott, welcher mich
zwang, mir einige Haltung und Gewandtheit zu
erwerben, da ſonſt wohl mein Eifer bald erkaltet
waͤre. Denn es iſt nicht zu laͤugnen, daß das
allzu pedantiſche Betreiben ſolcher Dinge nicht
nur gedankenreichen Erwachſenen, ſondern auch
einem Kinde, deſſen Phantaſie oͤfters ſpazieren
geht, unbequem werden kann.

Aber noch viel tiefer ſollten die Veraͤnderun¬
gen in mein Leben einſchneiden. Ich war nun
in eine Umgebung gerathen, welche ſaͤmmtlich
mit einem mehr oder minder genugſamen Ta¬
ſchengelde verſehen war, theils in Folge haͤus¬
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[302/0316] andern Sprung gethan, den ich mit Vorſatz nicht zu wiederholen vermochte. Mein Temperament aber hatte mich nicht dazu getrieben, wie etwa die Soͤhne anderer Wittwen, da ich keinen Werth darauf legte und viel zu beſchaulich war. Meine jetzigen Schulgenoſſen hingegen bis auf den Klein¬ ſten herab ſchwammen alle wie die Fiſche im See herum, ſprangen und kletterten wie Katzen, und es war hauptſaͤchlich ihr Spott, welcher mich zwang, mir einige Haltung und Gewandtheit zu erwerben, da ſonſt wohl mein Eifer bald erkaltet waͤre. Denn es iſt nicht zu laͤugnen, daß das allzu pedantiſche Betreiben ſolcher Dinge nicht nur gedankenreichen Erwachſenen, ſondern auch einem Kinde, deſſen Phantaſie oͤfters ſpazieren geht, unbequem werden kann. Aber noch viel tiefer ſollten die Veraͤnderun¬ gen in mein Leben einſchneiden. Ich war nun in eine Umgebung gerathen, welche ſaͤmmtlich mit einem mehr oder minder genugſamen Ta¬ ſchengelde verſehen war, theils in Folge haͤus¬ licher Wohlhabenheit, theils auch nur in Folge herkoͤmmlichen ſtaͤdtiſchen Wohllebens und ſorg¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/316>, abgerufen am 26.07.2024.