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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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und mich selbst nicht zu erkennen geben konnte
in meiner vollen Natur, so daß die weisen Er¬
zieher vor mir standen, als vor einem Räthsel,
und sagten: Dieses ist ein seltsames Gewächs,
man weiß nicht viel damit anzufangen!

Desto eifriger verkehrte ich im Stillen mit
mir selbst, in der Welt, die ich mir allein zu
bauen gezwungen war. Meine Mutter kaufte
mir nur äußerst wenig Spielzeug, immer und
einzig darauf bedacht, jeden Heller für meine
Zukunft zu sparen, und erachtete in ihrem Sinne
jede Ausgabe für überflüssig, welche nicht un¬
mittelbar für das Nothwendigste geopfert wurde.
Sie suchte mich dafür durch fortwährende münd¬
liche Unterhaltungen zu beschäftigen, und erzählte
mir tausend Dinge aus ihrem vergangenen Leben
sowohl, wie aus dem Leben anderer Leute, indem
sie in unserer Einsamkeit selbst eine süße Ge¬
wohnheit darin fand. Aber diese Unterhaltung,
so wie das Treiben im wunderlichen Nachbar¬
hause konnte doch zuletzt meine Stunden nicht
ausfüllen, und ich bedürfte eines sinnlichen
Stoffes, welcher meiner schaffenden Gewalt an¬

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und mich ſelbſt nicht zu erkennen geben konnte
in meiner vollen Natur, ſo daß die weiſen Er¬
zieher vor mir ſtanden, als vor einem Raͤthſel,
und ſagten: Dieſes iſt ein ſeltſames Gewaͤchs,
man weiß nicht viel damit anzufangen!

Deſto eifriger verkehrte ich im Stillen mit
mir ſelbſt, in der Welt, die ich mir allein zu
bauen gezwungen war. Meine Mutter kaufte
mir nur aͤußerſt wenig Spielzeug, immer und
einzig darauf bedacht, jeden Heller fuͤr meine
Zukunft zu ſparen, und erachtete in ihrem Sinne
jede Ausgabe fuͤr uͤberfluͤſſig, welche nicht un¬
mittelbar fuͤr das Nothwendigſte geopfert wurde.
Sie ſuchte mich dafuͤr durch fortwaͤhrende muͤnd¬
liche Unterhaltungen zu beſchaͤftigen, und erzaͤhlte
mir tauſend Dinge aus ihrem vergangenen Leben
ſowohl, wie aus dem Leben anderer Leute, indem
ſie in unſerer Einſamkeit ſelbſt eine ſuͤße Ge¬
wohnheit darin fand. Aber dieſe Unterhaltung,
ſo wie das Treiben im wunderlichen Nachbar¬
hauſe konnte doch zuletzt meine Stunden nicht
ausfuͤllen, und ich beduͤrfte eines ſinnlichen
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[243/0257] und mich ſelbſt nicht zu erkennen geben konnte in meiner vollen Natur, ſo daß die weiſen Er¬ zieher vor mir ſtanden, als vor einem Raͤthſel, und ſagten: Dieſes iſt ein ſeltſames Gewaͤchs, man weiß nicht viel damit anzufangen! Deſto eifriger verkehrte ich im Stillen mit mir ſelbſt, in der Welt, die ich mir allein zu bauen gezwungen war. Meine Mutter kaufte mir nur aͤußerſt wenig Spielzeug, immer und einzig darauf bedacht, jeden Heller fuͤr meine Zukunft zu ſparen, und erachtete in ihrem Sinne jede Ausgabe fuͤr uͤberfluͤſſig, welche nicht un¬ mittelbar fuͤr das Nothwendigſte geopfert wurde. Sie ſuchte mich dafuͤr durch fortwaͤhrende muͤnd¬ liche Unterhaltungen zu beſchaͤftigen, und erzaͤhlte mir tauſend Dinge aus ihrem vergangenen Leben ſowohl, wie aus dem Leben anderer Leute, indem ſie in unſerer Einſamkeit ſelbſt eine ſuͤße Ge¬ wohnheit darin fand. Aber dieſe Unterhaltung, ſo wie das Treiben im wunderlichen Nachbar¬ hauſe konnte doch zuletzt meine Stunden nicht ausfuͤllen, und ich beduͤrfte eines ſinnlichen Stoffes, welcher meiner ſchaffenden Gewalt an¬ 16 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/257>, abgerufen am 22.11.2024.