zu der nothwendigen, aber nüchternen und schul¬ meisterlichen Wirklichkeit wurde, zu welcher ich nur zurückkehrte, wie ein müdgetummelter, hun¬ griger Knabe zur alltäglichen Haussuppe, und mit der ich so schnell fertig zu werden suchte als möglich. Solches bewirkte die Art und Weise, wie die Religion und meine Kinderzeit zusam¬ mengekuppelt wurden. Wenigstens kann ich mich trotz dem, daß jene ganze Zeit wie ein heller Spiegel vor mir liegt, nicht entsinnen, daß ich vor dem Erwachen der Vernunft je einen An¬ dachtschauer, wenn auch noch so kindlich, empfun¬ den hätte.
Selbst die biblischen Geschichten, welche wir lasen, verschmolzen sich ganz mit den weltlichen Unterhaltungen, und ich gewann an der Ge¬ schichte Josephs und seiner Brüder und andern prächtigen Episoden nur einen Stoff mehr für meine profanen Compositionen. Aus diesem Grunde waren die biblischen Erzählungen, wie sie gewöhnlich für Kinder ausgezogen werden, lange Zeit mein Hauptbuch neben der Bibliothek der Frau Margreth, und nur selten führte mich
I. 16
zu der nothwendigen, aber nuͤchternen und ſchul¬ meiſterlichen Wirklichkeit wurde, zu welcher ich nur zuruͤckkehrte, wie ein muͤdgetummelter, hun¬ griger Knabe zur alltaͤglichen Hausſuppe, und mit der ich ſo ſchnell fertig zu werden ſuchte als moͤglich. Solches bewirkte die Art und Weiſe, wie die Religion und meine Kinderzeit zuſam¬ mengekuppelt wurden. Wenigſtens kann ich mich trotz dem, daß jene ganze Zeit wie ein heller Spiegel vor mir liegt, nicht entſinnen, daß ich vor dem Erwachen der Vernunft je einen An¬ dachtſchauer, wenn auch noch ſo kindlich, empfun¬ den haͤtte.
Selbſt die bibliſchen Geſchichten, welche wir laſen, verſchmolzen ſich ganz mit den weltlichen Unterhaltungen, und ich gewann an der Ge¬ ſchichte Joſephs und ſeiner Bruͤder und andern praͤchtigen Epiſoden nur einen Stoff mehr fuͤr meine profanen Compoſitionen. Aus dieſem Grunde waren die bibliſchen Erzaͤhlungen, wie ſie gewoͤhnlich fuͤr Kinder ausgezogen werden, lange Zeit mein Hauptbuch neben der Bibliothek der Frau Margreth, und nur ſelten fuͤhrte mich
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zu der nothwendigen, aber nuͤchternen und ſchul¬
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nur zuruͤckkehrte, wie ein muͤdgetummelter, hun¬
griger Knabe zur alltaͤglichen Hausſuppe, und
mit der ich ſo ſchnell fertig zu werden ſuchte als
moͤglich. Solches bewirkte die Art und Weiſe,
wie die Religion und meine Kinderzeit zuſam¬
mengekuppelt wurden. Wenigſtens kann ich mich
trotz dem, daß jene ganze Zeit wie ein heller
Spiegel vor mir liegt, nicht entſinnen, daß ich
vor dem Erwachen der Vernunft je einen An¬
dachtſchauer, wenn auch noch ſo kindlich, empfun¬
den haͤtte.
Selbſt die bibliſchen Geſchichten, welche wir
laſen, verſchmolzen ſich ganz mit den weltlichen
Unterhaltungen, und ich gewann an der Ge¬
ſchichte Joſephs und ſeiner Bruͤder und andern
praͤchtigen Epiſoden nur einen Stoff mehr fuͤr
meine profanen Compoſitionen. Aus dieſem
Grunde waren die bibliſchen Erzaͤhlungen, wie
ſie gewoͤhnlich fuͤr Kinder ausgezogen werden,
lange Zeit mein Hauptbuch neben der Bibliothek
der Frau Margreth, und nur ſelten fuͤhrte mich
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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