Es war ein Kind aus einer unglücklichen ersten Ehe und mochte sonst schon ein Stein des An¬ stoßes sein. So beschloß man, als es durch keine Mittel von der unerklärlichen Unart abgebracht werden konnte, das Kind jenem wegen seiner Frömmigkeit und Strenggläubigkeit berühmten Pfarrherrn versuchsweise in Pflege zu geben. Wenn schon die Familie die Sache als ein be¬ fremdliches und ihrem Rufe Unehre bringendes Unglück auffaßte, so betrachtete der dumpfe, harte Mann dieselbe vollends als eine unheilvolle infer¬ nalische Erscheinung, welcher mit aller Kraft ent¬ gegen zu treten sei. Demgemäß nahm er seine Maßregeln, und ein altes vergilbtes "diarium", von ihm herrührend und im Pfarrhause aufbe¬ wahrt, enthält einige Notizen, welche über sein Verfahren, so wie das weitere Schicksal des un¬ glücklichen Geschöpfes hinreichenden Aufschluß ge¬ ben. Folgende Stellen habe ich mir ihres selt¬ samen Inhaltes wegen abgeschrieben und will sie diesen Blättern einverleiben und so die Erinne¬ rung an jenes Kind in meinen eigenen Erinnerungen aufbewahren da sie sonst verloren gehen würde.
Es war ein Kind aus einer ungluͤcklichen erſten Ehe und mochte ſonſt ſchon ein Stein des An¬ ſtoßes ſein. So beſchloß man, als es durch keine Mittel von der unerklaͤrlichen Unart abgebracht werden konnte, das Kind jenem wegen ſeiner Froͤmmigkeit und Strengglaͤubigkeit beruͤhmten Pfarrherrn verſuchsweiſe in Pflege zu geben. Wenn ſchon die Familie die Sache als ein be¬ fremdliches und ihrem Rufe Unehre bringendes Ungluͤck auffaßte, ſo betrachtete der dumpfe, harte Mann dieſelbe vollends als eine unheilvolle infer¬ naliſche Erſcheinung, welcher mit aller Kraft ent¬ gegen zu treten ſei. Demgemaͤß nahm er ſeine Maßregeln, und ein altes vergilbtes „diarium“, von ihm herruͤhrend und im Pfarrhauſe aufbe¬ wahrt, enthaͤlt einige Notizen, welche uͤber ſein Verfahren, ſo wie das weitere Schickſal des un¬ gluͤcklichen Geſchoͤpfes hinreichenden Aufſchluß ge¬ ben. Folgende Stellen habe ich mir ihres ſelt¬ ſamen Inhaltes wegen abgeſchrieben und will ſie dieſen Blaͤttern einverleiben und ſo die Erinne¬ rung an jenes Kind in meinen eigenen Erinnerungen aufbewahren da ſie ſonſt verloren gehen wuͤrde.
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Es war ein Kind aus einer ungluͤcklichen erſten
Ehe und mochte ſonſt ſchon ein Stein des An¬
ſtoßes ſein. So beſchloß man, als es durch keine
Mittel von der unerklaͤrlichen Unart abgebracht
werden konnte, das Kind jenem wegen ſeiner
Froͤmmigkeit und Strengglaͤubigkeit beruͤhmten
Pfarrherrn verſuchsweiſe in Pflege zu geben.
Wenn ſchon die Familie die Sache als ein be¬
fremdliches und ihrem Rufe Unehre bringendes
Ungluͤck auffaßte, ſo betrachtete der dumpfe, harte
Mann dieſelbe vollends als eine unheilvolle infer¬
naliſche Erſcheinung, welcher mit aller Kraft ent¬
gegen zu treten ſei. Demgemaͤß nahm er ſeine
Maßregeln, und ein altes vergilbtes „diarium“,
von ihm herruͤhrend und im Pfarrhauſe aufbe¬
wahrt, enthaͤlt einige Notizen, welche uͤber ſein
Verfahren, ſo wie das weitere Schickſal des un¬
gluͤcklichen Geſchoͤpfes hinreichenden Aufſchluß ge¬
ben. Folgende Stellen habe ich mir ihres ſelt¬
ſamen Inhaltes wegen abgeſchrieben und will ſie
dieſen Blaͤttern einverleiben und ſo die Erinne¬
rung an jenes Kind in meinen eigenen Erinnerungen
aufbewahren da ſie ſonſt verloren gehen wuͤrde.
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/170>, abgerufen am 05.05.2024.
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