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Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wohl, aber ich sehe sie nicht! -- Doch, paß nur auf, dort wo das weiße Wölkchen steht, ein wenig rechts davon! -- Und beide sahen eifrig hin und sperrten vorläufig ihre Schnäbel auf, wie die jungen Wachteln im Neste, um sie unverzüglich auf einander zu heften, wenn sie sich einbildeten, die Lerche gesehen zu haben. Auf einmal hielt Vrenchen inne und sagte: Dies ist also eine ausgemachte Sache, daß Jedes von uns einen Schatz hat, dünkt es dich nicht so? --Ja, sagte Sali, es scheint mir fast auch! -- Wie gefällt dir denn dein Schätzchen, sagte Vrenchen, was ist es für ein Ding, was hast du von ihm zu melden? -- Es ist ein gar feines Ding, sagte Sali, es hat zwei braune Augen, einen rothen Mund und läuft auf zwei Füßen; aber seinen Sinn kenn' ich weniger, als den Papst zu Rom! Und was kannst du von deinem Schatz berichten? -- Er hat zwei braune Augen, einen nichtsnutzigen Mund und braucht zwei verwegene starke Arme; aber seine Gedanken sind mir unbekannter, als der türkische Kaiser! -- Es ist eigentlich wahr, sagte Sali, daß wir uns weniger kennen, als wenn wir uns nie gesehen hätten, so fremd hat uns die lange Zeit gemacht, seit wir groß geworden sind! Was ist alles vorgegangen in deinem Köpfchen, mein liebes Kind? -- Ach, nicht viel! tausend Narrenspossen haben sich wollen regen, aber es ist mir immer so trübselig ergangen, daß sie nicht aufkommen konnten! -- Du armes Schätzchen! sagte Sali, ich glaube aber, du hast es hinter den Ohren, nicht? -- Das kannst

wohl, aber ich sehe sie nicht! — Doch, paß nur auf, dort wo das weiße Wölkchen steht, ein wenig rechts davon! — Und beide sahen eifrig hin und sperrten vorläufig ihre Schnäbel auf, wie die jungen Wachteln im Neste, um sie unverzüglich auf einander zu heften, wenn sie sich einbildeten, die Lerche gesehen zu haben. Auf einmal hielt Vrenchen inne und sagte: Dies ist also eine ausgemachte Sache, daß Jedes von uns einen Schatz hat, dünkt es dich nicht so? —Ja, sagte Sali, es scheint mir fast auch! — Wie gefällt dir denn dein Schätzchen, sagte Vrenchen, was ist es für ein Ding, was hast du von ihm zu melden? — Es ist ein gar feines Ding, sagte Sali, es hat zwei braune Augen, einen rothen Mund und läuft auf zwei Füßen; aber seinen Sinn kenn' ich weniger, als den Papst zu Rom! Und was kannst du von deinem Schatz berichten? — Er hat zwei braune Augen, einen nichtsnutzigen Mund und braucht zwei verwegene starke Arme; aber seine Gedanken sind mir unbekannter, als der türkische Kaiser! — Es ist eigentlich wahr, sagte Sali, daß wir uns weniger kennen, als wenn wir uns nie gesehen hätten, so fremd hat uns die lange Zeit gemacht, seit wir groß geworden sind! Was ist alles vorgegangen in deinem Köpfchen, mein liebes Kind? — Ach, nicht viel! tausend Narrenspossen haben sich wollen regen, aber es ist mir immer so trübselig ergangen, daß sie nicht aufkommen konnten! — Du armes Schätzchen! sagte Sali, ich glaube aber, du hast es hinter den Ohren, nicht? — Das kannst

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[0065] wohl, aber ich sehe sie nicht! — Doch, paß nur auf, dort wo das weiße Wölkchen steht, ein wenig rechts davon! — Und beide sahen eifrig hin und sperrten vorläufig ihre Schnäbel auf, wie die jungen Wachteln im Neste, um sie unverzüglich auf einander zu heften, wenn sie sich einbildeten, die Lerche gesehen zu haben. Auf einmal hielt Vrenchen inne und sagte: Dies ist also eine ausgemachte Sache, daß Jedes von uns einen Schatz hat, dünkt es dich nicht so? —Ja, sagte Sali, es scheint mir fast auch! — Wie gefällt dir denn dein Schätzchen, sagte Vrenchen, was ist es für ein Ding, was hast du von ihm zu melden? — Es ist ein gar feines Ding, sagte Sali, es hat zwei braune Augen, einen rothen Mund und läuft auf zwei Füßen; aber seinen Sinn kenn' ich weniger, als den Papst zu Rom! Und was kannst du von deinem Schatz berichten? — Er hat zwei braune Augen, einen nichtsnutzigen Mund und braucht zwei verwegene starke Arme; aber seine Gedanken sind mir unbekannter, als der türkische Kaiser! — Es ist eigentlich wahr, sagte Sali, daß wir uns weniger kennen, als wenn wir uns nie gesehen hätten, so fremd hat uns die lange Zeit gemacht, seit wir groß geworden sind! Was ist alles vorgegangen in deinem Köpfchen, mein liebes Kind? — Ach, nicht viel! tausend Narrenspossen haben sich wollen regen, aber es ist mir immer so trübselig ergangen, daß sie nicht aufkommen konnten! — Du armes Schätzchen! sagte Sali, ich glaube aber, du hast es hinter den Ohren, nicht? — Das kannst

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:34:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:34:29Z)

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/65>, abgerufen am 24.11.2024.