Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ein novellistisches Talent allerersten Ranges, ein Meister des epischen Stils von so eigenthümlicher Bedeutung, daß es schwer ist, mit den wenigen Strichen, die hier vergönnt sind, das Charakteristische seiner Art und Kunst zu bezeichnen. Gleich auf den ersten Blick erkennt selbst ein ungeübtes Auge in seinem Roman wie in den Erzählungen eine Darstellungsweise, die ohne jede gezierte Alterthümelei von allem Modernen himmelweit verschieden ist und doch wieder überall an das Modernste erinnert; die ächte behagliche Gelassenheit und Gelindigkeit des erzählenden Vortrags, die in ruhig hingleitendem Strome den Hörer an wechselnden Bildern vorüberführt, ohne ihn in jähe dramatische Strudel und athembeklemmende Cascaden hineinzureißen; einen Ton, der durch seine maßvolle Objectivität dem Goethe'schen verwandt ist, und sich doch wieder durch ein viel bunteres subjectives Farbenspiel und die Fülle humoristischer Reflexe von jenem unterscheidet. Zu diesem stilistischen Reiz, der im Grunde auf dem Geheimnisse des Kontrastes beruht, indem die größte Schlichtheit mit der feinsten Kunst und Mannigfaltigkeit gepaart ist -- die Naivetät eines Dürer'schen Holzschnittes mit dem Zauber von Correggios helldunklen Farbeneffecten --, zu dieser meisterhaften Beherrschung der Darstellungsmittel gesellt sich ein verwandter Zug in der Wahl der Stoffe und Charaktere, in denen sich ebenfalls eine Neigung zum Contrast erkennen läßt. Das Liebliche steht dicht neben dem Sonderbaren, das Ein novellistisches Talent allerersten Ranges, ein Meister des epischen Stils von so eigenthümlicher Bedeutung, daß es schwer ist, mit den wenigen Strichen, die hier vergönnt sind, das Charakteristische seiner Art und Kunst zu bezeichnen. Gleich auf den ersten Blick erkennt selbst ein ungeübtes Auge in seinem Roman wie in den Erzählungen eine Darstellungsweise, die ohne jede gezierte Alterthümelei von allem Modernen himmelweit verschieden ist und doch wieder überall an das Modernste erinnert; die ächte behagliche Gelassenheit und Gelindigkeit des erzählenden Vortrags, die in ruhig hingleitendem Strome den Hörer an wechselnden Bildern vorüberführt, ohne ihn in jähe dramatische Strudel und athembeklemmende Cascaden hineinzureißen; einen Ton, der durch seine maßvolle Objectivität dem Goethe'schen verwandt ist, und sich doch wieder durch ein viel bunteres subjectives Farbenspiel und die Fülle humoristischer Reflexe von jenem unterscheidet. Zu diesem stilistischen Reiz, der im Grunde auf dem Geheimnisse des Kontrastes beruht, indem die größte Schlichtheit mit der feinsten Kunst und Mannigfaltigkeit gepaart ist — die Naivetät eines Dürer‘schen Holzschnittes mit dem Zauber von Correggios helldunklen Farbeneffecten —, zu dieser meisterhaften Beherrschung der Darstellungsmittel gesellt sich ein verwandter Zug in der Wahl der Stoffe und Charaktere, in denen sich ebenfalls eine Neigung zum Contrast erkennen läßt. Das Liebliche steht dicht neben dem Sonderbaren, das <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <pb facs="#f0006"/> <p>Ein novellistisches Talent allerersten Ranges, ein Meister des epischen Stils von so eigenthümlicher Bedeutung, daß es schwer ist, mit den wenigen Strichen, die hier vergönnt sind, das Charakteristische seiner Art und Kunst zu bezeichnen. Gleich auf den ersten Blick erkennt selbst ein ungeübtes Auge in seinem Roman wie in den Erzählungen eine Darstellungsweise, die ohne jede gezierte Alterthümelei von allem Modernen himmelweit verschieden ist und doch wieder überall an das Modernste erinnert; die ächte behagliche Gelassenheit und Gelindigkeit des erzählenden Vortrags, die in ruhig hingleitendem Strome den Hörer an wechselnden Bildern vorüberführt, ohne ihn in jähe dramatische Strudel und athembeklemmende Cascaden hineinzureißen; einen Ton, der durch seine maßvolle Objectivität dem Goethe'schen verwandt ist, und sich doch wieder durch ein viel bunteres subjectives Farbenspiel und die Fülle humoristischer Reflexe von jenem unterscheidet. Zu diesem stilistischen Reiz, der im Grunde auf dem Geheimnisse des Kontrastes beruht, indem die größte Schlichtheit mit der feinsten Kunst und Mannigfaltigkeit gepaart ist — die Naivetät eines Dürer‘schen Holzschnittes mit dem Zauber von Correggios helldunklen Farbeneffecten —, zu dieser meisterhaften Beherrschung der Darstellungsmittel gesellt sich ein verwandter Zug in der Wahl der Stoffe und Charaktere, in denen sich ebenfalls eine Neigung zum Contrast erkennen läßt. Das Liebliche steht dicht neben dem Sonderbaren, das<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0006]
Ein novellistisches Talent allerersten Ranges, ein Meister des epischen Stils von so eigenthümlicher Bedeutung, daß es schwer ist, mit den wenigen Strichen, die hier vergönnt sind, das Charakteristische seiner Art und Kunst zu bezeichnen. Gleich auf den ersten Blick erkennt selbst ein ungeübtes Auge in seinem Roman wie in den Erzählungen eine Darstellungsweise, die ohne jede gezierte Alterthümelei von allem Modernen himmelweit verschieden ist und doch wieder überall an das Modernste erinnert; die ächte behagliche Gelassenheit und Gelindigkeit des erzählenden Vortrags, die in ruhig hingleitendem Strome den Hörer an wechselnden Bildern vorüberführt, ohne ihn in jähe dramatische Strudel und athembeklemmende Cascaden hineinzureißen; einen Ton, der durch seine maßvolle Objectivität dem Goethe'schen verwandt ist, und sich doch wieder durch ein viel bunteres subjectives Farbenspiel und die Fülle humoristischer Reflexe von jenem unterscheidet. Zu diesem stilistischen Reiz, der im Grunde auf dem Geheimnisse des Kontrastes beruht, indem die größte Schlichtheit mit der feinsten Kunst und Mannigfaltigkeit gepaart ist — die Naivetät eines Dürer‘schen Holzschnittes mit dem Zauber von Correggios helldunklen Farbeneffecten —, zu dieser meisterhaften Beherrschung der Darstellungsmittel gesellt sich ein verwandter Zug in der Wahl der Stoffe und Charaktere, in denen sich ebenfalls eine Neigung zum Contrast erkennen läßt. Das Liebliche steht dicht neben dem Sonderbaren, das
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