Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zeitig auf die schmale, unter ihren Tritten schwankende Brücke stürzten, sich gegenseitig packten und die Fäuste in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen, zitternden Gesichter schlugen. Es ist nichts Unmuthiges und nichts weniger als artig, wenn sonst gesetzte Menschen noch in den Fall kommen, aus Uebermuth, Unbedacht oder Nothwehr unter allerhand Volk, das sie nicht näher berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu bekommen; allein dies ist eine harmlose Spielerei gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menschen überwältigt, die sich wohl kennen und seit lange kennen, wenn diese aus innerster Feindschaft und aus dem Gange einer ganzen Lebensgeschichte heraus sich mit nackten Händen anfassen und mit Fäusten schlagen. So thaten jetzt diese beiden ergrauten Männer; vor vierzig Jahren vielleicht hatten sie sich als Buben zum letzten Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo sie sich etwa zum Gruße die Hände geschüttelt, und auch dies nur selten, bei ihrem trockenen und sicheren Wesen. Nachdem sie ein oder zweimal geschlagen, hielten sie inne und rangen still zitternd mit einander, nur zuweilen aufstöhnend und elendiglich knirschend, und Einer suchte den Andern über das knackende Geländer ins Wasser zu werfen. Jetzt waren aber auch ihre Kinder nachgekommen und sahen den erbärmlichen Austritt. Sali sprang eines Satzes heran, um seinem Vater beizustehen und ihm zu helfen, dem zeitig auf die schmale, unter ihren Tritten schwankende Brücke stürzten, sich gegenseitig packten und die Fäuste in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen, zitternden Gesichter schlugen. Es ist nichts Unmuthiges und nichts weniger als artig, wenn sonst gesetzte Menschen noch in den Fall kommen, aus Uebermuth, Unbedacht oder Nothwehr unter allerhand Volk, das sie nicht näher berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu bekommen; allein dies ist eine harmlose Spielerei gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menschen überwältigt, die sich wohl kennen und seit lange kennen, wenn diese aus innerster Feindschaft und aus dem Gange einer ganzen Lebensgeschichte heraus sich mit nackten Händen anfassen und mit Fäusten schlagen. So thaten jetzt diese beiden ergrauten Männer; vor vierzig Jahren vielleicht hatten sie sich als Buben zum letzten Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo sie sich etwa zum Gruße die Hände geschüttelt, und auch dies nur selten, bei ihrem trockenen und sicheren Wesen. Nachdem sie ein oder zweimal geschlagen, hielten sie inne und rangen still zitternd mit einander, nur zuweilen aufstöhnend und elendiglich knirschend, und Einer suchte den Andern über das knackende Geländer ins Wasser zu werfen. Jetzt waren aber auch ihre Kinder nachgekommen und sahen den erbärmlichen Austritt. Sali sprang eines Satzes heran, um seinem Vater beizustehen und ihm zu helfen, dem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0046"/> zeitig auf die schmale, unter ihren Tritten schwankende Brücke stürzten, sich gegenseitig packten und die Fäuste in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen, zitternden Gesichter schlugen. Es ist nichts Unmuthiges und nichts weniger als artig, wenn sonst gesetzte Menschen noch in den Fall kommen, aus Uebermuth, Unbedacht oder Nothwehr unter allerhand Volk, das sie nicht näher berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu bekommen; allein dies ist eine harmlose Spielerei gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menschen überwältigt, die sich wohl kennen und seit lange kennen, wenn diese aus innerster Feindschaft und aus dem Gange einer ganzen Lebensgeschichte heraus sich mit nackten Händen anfassen und mit Fäusten schlagen. So thaten jetzt diese beiden ergrauten Männer; vor vierzig Jahren vielleicht hatten sie sich als Buben zum letzten Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo sie sich etwa zum Gruße die Hände geschüttelt, und auch dies nur selten, bei ihrem trockenen und sicheren Wesen. Nachdem sie ein oder zweimal geschlagen, hielten sie inne und rangen still zitternd mit einander, nur zuweilen aufstöhnend und elendiglich knirschend, und Einer suchte den Andern über das knackende Geländer ins Wasser zu werfen. Jetzt waren aber auch ihre Kinder nachgekommen und sahen den erbärmlichen Austritt. Sali sprang eines Satzes heran, um seinem Vater beizustehen und ihm zu helfen, dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
zeitig auf die schmale, unter ihren Tritten schwankende Brücke stürzten, sich gegenseitig packten und die Fäuste in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen, zitternden Gesichter schlugen. Es ist nichts Unmuthiges und nichts weniger als artig, wenn sonst gesetzte Menschen noch in den Fall kommen, aus Uebermuth, Unbedacht oder Nothwehr unter allerhand Volk, das sie nicht näher berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu bekommen; allein dies ist eine harmlose Spielerei gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menschen überwältigt, die sich wohl kennen und seit lange kennen, wenn diese aus innerster Feindschaft und aus dem Gange einer ganzen Lebensgeschichte heraus sich mit nackten Händen anfassen und mit Fäusten schlagen. So thaten jetzt diese beiden ergrauten Männer; vor vierzig Jahren vielleicht hatten sie sich als Buben zum letzten Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo sie sich etwa zum Gruße die Hände geschüttelt, und auch dies nur selten, bei ihrem trockenen und sicheren Wesen. Nachdem sie ein oder zweimal geschlagen, hielten sie inne und rangen still zitternd mit einander, nur zuweilen aufstöhnend und elendiglich knirschend, und Einer suchte den Andern über das knackende Geländer ins Wasser zu werfen. Jetzt waren aber auch ihre Kinder nachgekommen und sahen den erbärmlichen Austritt. Sali sprang eines Satzes heran, um seinem Vater beizustehen und ihm zu helfen, dem
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Zitationshilfe: | Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/46>, abgerufen am 27.07.2024. |