Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gezogen als Grenzscheide und belastete nun dies Fleckchen Erde mit allen Steinen, welche beide Männer seit unvordenklichen Zeiten herübergeworfen, so daß eine gewaltige Pyramide entstand, welche wegzubringen Marti wohl bleiben lassen würde, dachte er. Marti hatte dies am wenigsten erwartet; er glaubte, sein Gegner werde nach alter Weise mit dem Pfluge zu Werke gehen wollen, und hatte daher abgewartet, bis er ihn als Pflüger ausziehen sähe. Erst als die Sache schon beinahe fertig, hörte er von dem schönen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wuth hinaus, sah die Beschwerung, rannte zurück und holte den Gemeindeamman, um vorläufig gegen den Steinhaufen zu protestiren, um den Fleck gerichtlich in Beschlag nehmen zu lassen, und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Proceß mit einander und ruhten nicht eher, bis sie beide zu Grunde gerichtet waren.

Die Gedanken der sonst so wohlweisen Männer waren nun so kurz geschnitten wie Häcksel; der beschränkteste Rechtssinn von der Welt erfüllte Jeden von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar unrechtmäßig und willkürlich den fraglichen unbedeutenden Ackerzipfel an sich reißen könne. Bei Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für Symmetrie und parallele Linien hinzu, und er fühlte sich wahrhaft gekränkt durch den aberwitzigen Eigensinn, mit welchem Marti auf dem Dasein des unsinnigsten und muthwilligsten Schnörkels beharrte.

gezogen als Grenzscheide und belastete nun dies Fleckchen Erde mit allen Steinen, welche beide Männer seit unvordenklichen Zeiten herübergeworfen, so daß eine gewaltige Pyramide entstand, welche wegzubringen Marti wohl bleiben lassen würde, dachte er. Marti hatte dies am wenigsten erwartet; er glaubte, sein Gegner werde nach alter Weise mit dem Pfluge zu Werke gehen wollen, und hatte daher abgewartet, bis er ihn als Pflüger ausziehen sähe. Erst als die Sache schon beinahe fertig, hörte er von dem schönen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wuth hinaus, sah die Beschwerung, rannte zurück und holte den Gemeindeamman, um vorläufig gegen den Steinhaufen zu protestiren, um den Fleck gerichtlich in Beschlag nehmen zu lassen, und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Proceß mit einander und ruhten nicht eher, bis sie beide zu Grunde gerichtet waren.

Die Gedanken der sonst so wohlweisen Männer waren nun so kurz geschnitten wie Häcksel; der beschränkteste Rechtssinn von der Welt erfüllte Jeden von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar unrechtmäßig und willkürlich den fraglichen unbedeutenden Ackerzipfel an sich reißen könne. Bei Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für Symmetrie und parallele Linien hinzu, und er fühlte sich wahrhaft gekränkt durch den aberwitzigen Eigensinn, mit welchem Marti auf dem Dasein des unsinnigsten und muthwilligsten Schnörkels beharrte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0027"/>
gezogen                als Grenzscheide und belastete nun dies Fleckchen Erde mit allen Steinen, welche                beide Männer seit unvordenklichen Zeiten herübergeworfen, so daß eine gewaltige                Pyramide entstand, welche wegzubringen Marti wohl bleiben lassen würde, dachte er.                Marti hatte dies am wenigsten erwartet; er glaubte, sein Gegner werde nach alter                Weise mit dem Pfluge zu Werke gehen wollen, und hatte daher abgewartet, bis er ihn                als Pflüger ausziehen sähe. Erst als die Sache schon beinahe fertig, hörte er von dem                schönen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wuth hinaus, sah die                Beschwerung, rannte zurück und holte den Gemeindeamman, um vorläufig gegen den                Steinhaufen zu protestiren, um den Fleck gerichtlich in Beschlag nehmen zu lassen,                und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Proceß mit einander und ruhten nicht                eher, bis sie beide zu Grunde gerichtet waren.</p><lb/>
        <p> Die Gedanken der sonst so wohlweisen Männer waren nun so kurz geschnitten wie                Häcksel; der beschränkteste Rechtssinn von der Welt erfüllte Jeden von ihnen, indem                keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar unrechtmäßig und                willkürlich den fraglichen unbedeutenden Ackerzipfel an sich reißen könne. Bei Manz                kam noch ein wunderbarer Sinn für Symmetrie und parallele Linien hinzu, und er fühlte                sich wahrhaft gekränkt durch den aberwitzigen Eigensinn, mit welchem Marti auf dem                Dasein des unsinnigsten und muthwilligsten Schnörkels beharrte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] gezogen als Grenzscheide und belastete nun dies Fleckchen Erde mit allen Steinen, welche beide Männer seit unvordenklichen Zeiten herübergeworfen, so daß eine gewaltige Pyramide entstand, welche wegzubringen Marti wohl bleiben lassen würde, dachte er. Marti hatte dies am wenigsten erwartet; er glaubte, sein Gegner werde nach alter Weise mit dem Pfluge zu Werke gehen wollen, und hatte daher abgewartet, bis er ihn als Pflüger ausziehen sähe. Erst als die Sache schon beinahe fertig, hörte er von dem schönen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wuth hinaus, sah die Beschwerung, rannte zurück und holte den Gemeindeamman, um vorläufig gegen den Steinhaufen zu protestiren, um den Fleck gerichtlich in Beschlag nehmen zu lassen, und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Proceß mit einander und ruhten nicht eher, bis sie beide zu Grunde gerichtet waren. Die Gedanken der sonst so wohlweisen Männer waren nun so kurz geschnitten wie Häcksel; der beschränkteste Rechtssinn von der Welt erfüllte Jeden von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar unrechtmäßig und willkürlich den fraglichen unbedeutenden Ackerzipfel an sich reißen könne. Bei Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für Symmetrie und parallele Linien hinzu, und er fühlte sich wahrhaft gekränkt durch den aberwitzigen Eigensinn, mit welchem Marti auf dem Dasein des unsinnigsten und muthwilligsten Schnörkels beharrte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:34:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:34:29Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/27
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/27>, abgerufen am 24.11.2024.