Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht nur auf den Thronen, sondern zuweilen auch in den niedersten Hütten und langen ganz am entgegengesetzten Ende an, als wohin sie zu kommen trachteten, und der Schild der Ehre ist im Umsehen eine Tafel der Schande. Sali und Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hauses gesehen in zarten Kinderjahren und erinnerten sich, wie wohlgepflegte Kinderchen sie gewesen, und wie ihre Väter ausgesehen wie andere Männer, geachtet und sicher. Dann waren sie auf lange getrennt worden, und als sie sich wiederfanden, sahen sie in sich zugleich das verschwundene Glück des Hauses, und Beider Neigung klammerte sich nur um so heftiger in einander. Sie mochten so gern fröhlich und glücklich sein, aber nur auf einem guten Grund und Boden, und dieser schien ihnen unerreichbar, während ihr wallendes Blut am liebsten gleich zusammengeströmt wäre. Nun ist es Nacht, rief Vrenchen, und wir sollen uns trennen! -- Ich soll nach Hause gehen und dich allein lassen? rief Sali, nein, das kann ich nicht! Dann wird es Tag werden und nicht besser um uns stehen!

Ich will euch einen Rath geben, ihr närrischen Dinger! tönte eine schrille Stimme hinter ihnen, und der Geiger trat vor sie hin. Da steht ihr, sagte er, und wißt nicht wo aus, und hättet euch gern. Ich rathe euch, nehmt euch, wie ihr seid, und säumet nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden in die Berge, da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine

nicht nur auf den Thronen, sondern zuweilen auch in den niedersten Hütten und langen ganz am entgegengesetzten Ende an, als wohin sie zu kommen trachteten, und der Schild der Ehre ist im Umsehen eine Tafel der Schande. Sali und Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hauses gesehen in zarten Kinderjahren und erinnerten sich, wie wohlgepflegte Kinderchen sie gewesen, und wie ihre Väter ausgesehen wie andere Männer, geachtet und sicher. Dann waren sie auf lange getrennt worden, und als sie sich wiederfanden, sahen sie in sich zugleich das verschwundene Glück des Hauses, und Beider Neigung klammerte sich nur um so heftiger in einander. Sie mochten so gern fröhlich und glücklich sein, aber nur auf einem guten Grund und Boden, und dieser schien ihnen unerreichbar, während ihr wallendes Blut am liebsten gleich zusammengeströmt wäre. Nun ist es Nacht, rief Vrenchen, und wir sollen uns trennen! — Ich soll nach Hause gehen und dich allein lassen? rief Sali, nein, das kann ich nicht! Dann wird es Tag werden und nicht besser um uns stehen!

Ich will euch einen Rath geben, ihr närrischen Dinger! tönte eine schrille Stimme hinter ihnen, und der Geiger trat vor sie hin. Da steht ihr, sagte er, und wißt nicht wo aus, und hättet euch gern. Ich rathe euch, nehmt euch, wie ihr seid, und säumet nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden in die Berge, da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0109"/>
nicht nur auf den Thronen, sondern zuweilen auch in den niedersten                Hütten und langen ganz am entgegengesetzten Ende an, als wohin sie zu kommen                trachteten, und der Schild der Ehre ist im Umsehen eine Tafel der Schande. Sali und                Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hauses gesehen in zarten Kinderjahren und                erinnerten sich, wie wohlgepflegte Kinderchen sie gewesen, und wie ihre Väter                ausgesehen wie andere Männer, geachtet und sicher. Dann waren sie auf lange getrennt                worden, und als sie sich wiederfanden, sahen sie in sich zugleich das verschwundene                Glück des Hauses, und Beider Neigung klammerte sich nur um so heftiger in einander.                Sie mochten so gern fröhlich und glücklich sein, aber nur auf einem guten Grund und                Boden, und dieser schien ihnen unerreichbar, während ihr wallendes Blut am liebsten                gleich zusammengeströmt wäre. Nun ist es Nacht, rief Vrenchen, und wir sollen uns                trennen! &#x2014; Ich soll nach Hause gehen und dich allein lassen? rief Sali, nein, das                kann ich nicht! Dann wird es Tag werden und nicht besser um uns stehen!</p><lb/>
        <p>Ich will euch einen Rath geben, ihr närrischen Dinger! tönte eine schrille Stimme                hinter ihnen, und der Geiger trat vor sie hin. Da steht ihr, sagte er, und wißt nicht                wo aus, und hättet euch gern. Ich rathe euch, nehmt euch, wie ihr seid, und säumet                nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden in die Berge, da brauchet ihr keinen                Pfarrer, kein Geld, keine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] nicht nur auf den Thronen, sondern zuweilen auch in den niedersten Hütten und langen ganz am entgegengesetzten Ende an, als wohin sie zu kommen trachteten, und der Schild der Ehre ist im Umsehen eine Tafel der Schande. Sali und Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hauses gesehen in zarten Kinderjahren und erinnerten sich, wie wohlgepflegte Kinderchen sie gewesen, und wie ihre Väter ausgesehen wie andere Männer, geachtet und sicher. Dann waren sie auf lange getrennt worden, und als sie sich wiederfanden, sahen sie in sich zugleich das verschwundene Glück des Hauses, und Beider Neigung klammerte sich nur um so heftiger in einander. Sie mochten so gern fröhlich und glücklich sein, aber nur auf einem guten Grund und Boden, und dieser schien ihnen unerreichbar, während ihr wallendes Blut am liebsten gleich zusammengeströmt wäre. Nun ist es Nacht, rief Vrenchen, und wir sollen uns trennen! — Ich soll nach Hause gehen und dich allein lassen? rief Sali, nein, das kann ich nicht! Dann wird es Tag werden und nicht besser um uns stehen! Ich will euch einen Rath geben, ihr närrischen Dinger! tönte eine schrille Stimme hinter ihnen, und der Geiger trat vor sie hin. Da steht ihr, sagte er, und wißt nicht wo aus, und hättet euch gern. Ich rathe euch, nehmt euch, wie ihr seid, und säumet nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden in die Berge, da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:34:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:34:29Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/109
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/109>, abgerufen am 24.11.2024.