zu ihr, daß sie ihr einige Unterstützung brächten. Auch von ihrer Schwiegermutter bekam sie zuweilen etwas geschickt. Diese Erquickungen, die Ruhe, in welcher sie jezt lebte, und vorzüglich ihr starker Geist, welcher sich leicht über Gram und Kummer hinwegschwung, milderte endlich ihre traurige Lage in so weit, daß sie sich beruhigte und ihr ferneres Schicksal dem Himmel überließ. Sie sang und dichtete Trost- und Hoffnungslie- der, und wenn sich ihr Herz durch sich selbst wieder er- leichtert hatte, wußte sie nicht mehr, daß ihr etwas fehlte.
Sie brachte nun das Kind zur Welt, welches sein Vater nicht kennen wollte; es war ein Sohn, der ein- zig übrig Gebliebene von seinen Brüdern, die alle ge- storben sind. Wäre es ein Mädchen geworden, so hätte es die Schwiegermutter zur Erziehung zu sich ge- nommen; allein mit einem Sohn konnte sich die alte Frau nicht belasten. So blieb denn seiner verlaßnen Mutter auch diese Sorge zu bestreiten, ohne zu wissen, wie sie selbst ihr Leben fristen würde. Sie befand sich aber in ihrem Wochenbette so wohl, daß sie blühete wie eine Rose, und sang wie ein Vogel auf grünem Zweige. Die Gesundheit und Ruhe ersetzten ihr man- chen Mangel, auch fanden sich gute Herzen, welche ihr Hülfe leisteten, und als sie aus dem Kindbette war, suchte sie Gelegenheiten auf, wo sie durch Schreiben sich etwas erwerben konnte.
zu ihr, daß ſie ihr einige Unterſtuͤtzung braͤchten. Auch von ihrer Schwiegermutter bekam ſie zuweilen etwas geſchickt. Dieſe Erquickungen, die Ruhe, in welcher ſie jezt lebte, und vorzuͤglich ihr ſtarker Geiſt, welcher ſich leicht uͤber Gram und Kummer hinwegſchwung, milderte endlich ihre traurige Lage in ſo weit, daß ſie ſich beruhigte und ihr ferneres Schickſal dem Himmel uͤberließ. Sie ſang und dichtete Troſt- und Hoffnungslie- der, und wenn ſich ihr Herz durch ſich ſelbſt wieder er- leichtert hatte, wußte ſie nicht mehr, daß ihr etwas fehlte.
Sie brachte nun das Kind zur Welt, welches ſein Vater nicht kennen wollte; es war ein Sohn, der ein- zig uͤbrig Gebliebene von ſeinen Bruͤdern, die alle ge- ſtorben ſind. Waͤre es ein Maͤdchen geworden, ſo haͤtte es die Schwiegermutter zur Erziehung zu ſich ge- nommen; allein mit einem Sohn konnte ſich die alte Frau nicht belaſten. So blieb denn ſeiner verlaßnen Mutter auch dieſe Sorge zu beſtreiten, ohne zu wiſſen, wie ſie ſelbſt ihr Leben friſten wuͤrde. Sie befand ſich aber in ihrem Wochenbette ſo wohl, daß ſie bluͤhete wie eine Roſe, und ſang wie ein Vogel auf gruͤnem Zweige. Die Geſundheit und Ruhe erſetzten ihr man- chen Mangel, auch fanden ſich gute Herzen, welche ihr Huͤlfe leiſteten, und als ſie aus dem Kindbette war, ſuchte ſie Gelegenheiten auf, wo ſie durch Schreiben ſich etwas erwerben konnte.
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zu ihr, daß ſie ihr einige Unterſtuͤtzung braͤchten. Auch
von ihrer Schwiegermutter bekam ſie zuweilen etwas
geſchickt. Dieſe Erquickungen, die Ruhe, in welcher
ſie jezt lebte, und vorzuͤglich ihr ſtarker Geiſt, welcher
ſich leicht uͤber Gram und Kummer hinwegſchwung,
milderte endlich ihre traurige Lage in ſo weit, daß ſie
ſich beruhigte und ihr ferneres Schickſal dem Himmel
uͤberließ. Sie ſang und dichtete Troſt- und Hoffnungslie-
der, und wenn ſich ihr Herz durch ſich ſelbſt wieder er-
leichtert hatte, wußte ſie nicht mehr, daß ihr etwas fehlte.
Sie brachte nun das Kind zur Welt, welches ſein
Vater nicht kennen wollte; es war ein Sohn, der ein-
zig uͤbrig Gebliebene von ſeinen Bruͤdern, die alle ge-
ſtorben ſind. Waͤre es ein Maͤdchen geworden, ſo
haͤtte es die Schwiegermutter zur Erziehung zu ſich ge-
nommen; allein mit einem Sohn konnte ſich die alte
Frau nicht belaſten. So blieb denn ſeiner verlaßnen
Mutter auch dieſe Sorge zu beſtreiten, ohne zu wiſſen,
wie ſie ſelbſt ihr Leben friſten wuͤrde. Sie befand ſich
aber in ihrem Wochenbette ſo wohl, daß ſie bluͤhete
wie eine Roſe, und ſang wie ein Vogel auf gruͤnem
Zweige. Die Geſundheit und Ruhe erſetzten ihr man-
chen Mangel, auch fanden ſich gute Herzen, welche ihr
Huͤlfe leiſteten, und als ſie aus dem Kindbette war,
ſuchte ſie Gelegenheiten auf, wo ſie durch Schreiben
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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