Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

wovon die Umstehenden, welche herzlich lachten, zwar
nichts vermutheten, allein den Ausspruch eines Kin-
des doch für so merkwürdig fanden, daß sie ihn ihren
Bekannten wiederholten, und ihn so im Andenken
erhielten.

Sie war im sechsten Jahre, als ihre Mutter Witt-
we wurde. Diese vortreffliche Frau, welcher nun die
großen Geschäfte des Gasthoses allein oblagen, fühlte
sich so belastet, daß sie an die Bildung ihres Kindes
unmöglich denken konnte. In der ganzen umliegen-
den Gegend war keine Schule, wo sie sie zum Unter-
richt hätte hinschicken können, selbst die Kirche war
über eine Meile weit entlegen. Es war eine traurige
Lage, in welcher sie sich befand, und ihr Kind würde
in völliger Unwissenheit haben aufwachsen müssen, wenn
nicht gerade zu dieser Zeit ihrer Mutter Bruder, der
studierte Amtmann, Wittwer geworden wäre. Dieser
brauchte jezt eine Haushälterin in seiner Wirthschaft,
und er faßte den Entschluß, seine Schwester, die Groß-
mutter der kleinen Dürbach, zu sich zu nehmen. In
dieser Absicht kam er, seine verwittwete Nichte zu be-
suchen. Hier fand er das kleine Mädchen, und ent-
deckte bald an ihr einen hellen Kopf und ein vortreff-
liches Gedächtniß. Er begriff, daß so gute Gaben
unter dem rohen Umgang mit Bauern und unter einer
vernachläßigten Erziehung ersticken müßten, und that

wovon die Umſtehenden, welche herzlich lachten, zwar
nichts vermutheten, allein den Ausſpruch eines Kin-
des doch fuͤr ſo merkwuͤrdig fanden, daß ſie ihn ihren
Bekannten wiederholten, und ihn ſo im Andenken
erhielten.

Sie war im ſechſten Jahre, als ihre Mutter Witt-
we wurde. Dieſe vortreffliche Frau, welcher nun die
großen Geſchaͤfte des Gaſthoſes allein oblagen, fuͤhlte
ſich ſo belaſtet, daß ſie an die Bildung ihres Kindes
unmoͤglich denken konnte. In der ganzen umliegen-
den Gegend war keine Schule, wo ſie ſie zum Unter-
richt haͤtte hinſchicken koͤnnen, ſelbſt die Kirche war
uͤber eine Meile weit entlegen. Es war eine traurige
Lage, in welcher ſie ſich befand, und ihr Kind wuͤrde
in voͤlliger Unwiſſenheit haben aufwachſen muͤſſen, wenn
nicht gerade zu dieſer Zeit ihrer Mutter Bruder, der
ſtudierte Amtmann, Wittwer geworden waͤre. Dieſer
brauchte jezt eine Haushaͤlterin in ſeiner Wirthſchaft,
und er faßte den Entſchluß, ſeine Schweſter, die Groß-
mutter der kleinen Duͤrbach, zu ſich zu nehmen. In
dieſer Abſicht kam er, ſeine verwittwete Nichte zu be-
ſuchen. Hier fand er das kleine Maͤdchen, und ent-
deckte bald an ihr einen hellen Kopf und ein vortreff-
liches Gedaͤchtniß. Er begriff, daß ſo gute Gaben
unter dem rohen Umgang mit Bauern und unter einer
vernachlaͤßigten Erziehung erſticken muͤßten, und that

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="15"/>
wovon die Um&#x017F;tehenden, welche herzlich lachten, zwar<lb/>
nichts vermutheten, allein den Aus&#x017F;pruch eines Kin-<lb/>
des doch fu&#x0364;r &#x017F;o merkwu&#x0364;rdig fanden, daß &#x017F;ie ihn ihren<lb/>
Bekannten wiederholten, und ihn &#x017F;o im Andenken<lb/>
erhielten.</p><lb/>
        <p>Sie war im &#x017F;ech&#x017F;ten Jahre, als ihre Mutter Witt-<lb/>
we wurde. Die&#x017F;e vortreffliche Frau, welcher nun die<lb/>
großen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte des Ga&#x017F;tho&#x017F;es allein oblagen, fu&#x0364;hlte<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;o bela&#x017F;tet, daß &#x017F;ie an die Bildung ihres Kindes<lb/>
unmo&#x0364;glich denken konnte. In der ganzen umliegen-<lb/>
den Gegend war keine Schule, wo &#x017F;ie &#x017F;ie zum Unter-<lb/>
richt ha&#x0364;tte hin&#x017F;chicken ko&#x0364;nnen, &#x017F;elb&#x017F;t die Kirche war<lb/>
u&#x0364;ber eine Meile weit entlegen. Es war eine traurige<lb/>
Lage, in welcher &#x017F;ie &#x017F;ich befand, und ihr Kind wu&#x0364;rde<lb/>
in vo&#x0364;lliger Unwi&#x017F;&#x017F;enheit haben aufwach&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn<lb/>
nicht gerade zu die&#x017F;er Zeit ihrer Mutter Bruder, der<lb/>
&#x017F;tudierte Amtmann, Wittwer geworden wa&#x0364;re. Die&#x017F;er<lb/>
brauchte jezt eine Hausha&#x0364;lterin in &#x017F;einer Wirth&#x017F;chaft,<lb/>
und er faßte den Ent&#x017F;chluß, &#x017F;eine Schwe&#x017F;ter, die Groß-<lb/>
mutter der kleinen Du&#x0364;rbach, zu &#x017F;ich zu nehmen. In<lb/>
die&#x017F;er Ab&#x017F;icht kam er, &#x017F;eine verwittwete Nichte zu be-<lb/>
&#x017F;uchen. Hier fand er das kleine Ma&#x0364;dchen, und ent-<lb/>
deckte bald an ihr einen hellen Kopf und ein vortreff-<lb/>
liches Geda&#x0364;chtniß. Er begriff, daß &#x017F;o gute Gaben<lb/>
unter dem rohen Umgang mit Bauern und unter einer<lb/>
vernachla&#x0364;ßigten Erziehung er&#x017F;ticken mu&#x0364;ßten, und that<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0047] wovon die Umſtehenden, welche herzlich lachten, zwar nichts vermutheten, allein den Ausſpruch eines Kin- des doch fuͤr ſo merkwuͤrdig fanden, daß ſie ihn ihren Bekannten wiederholten, und ihn ſo im Andenken erhielten. Sie war im ſechſten Jahre, als ihre Mutter Witt- we wurde. Dieſe vortreffliche Frau, welcher nun die großen Geſchaͤfte des Gaſthoſes allein oblagen, fuͤhlte ſich ſo belaſtet, daß ſie an die Bildung ihres Kindes unmoͤglich denken konnte. In der ganzen umliegen- den Gegend war keine Schule, wo ſie ſie zum Unter- richt haͤtte hinſchicken koͤnnen, ſelbſt die Kirche war uͤber eine Meile weit entlegen. Es war eine traurige Lage, in welcher ſie ſich befand, und ihr Kind wuͤrde in voͤlliger Unwiſſenheit haben aufwachſen muͤſſen, wenn nicht gerade zu dieſer Zeit ihrer Mutter Bruder, der ſtudierte Amtmann, Wittwer geworden waͤre. Dieſer brauchte jezt eine Haushaͤlterin in ſeiner Wirthſchaft, und er faßte den Entſchluß, ſeine Schweſter, die Groß- mutter der kleinen Duͤrbach, zu ſich zu nehmen. In dieſer Abſicht kam er, ſeine verwittwete Nichte zu be- ſuchen. Hier fand er das kleine Maͤdchen, und ent- deckte bald an ihr einen hellen Kopf und ein vortreff- liches Gedaͤchtniß. Er begriff, daß ſo gute Gaben unter dem rohen Umgang mit Bauern und unter einer vernachlaͤßigten Erziehung erſticken muͤßten, und that

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/47
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/47>, abgerufen am 24.11.2024.