Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

in der poetischen Sprache verschaffte. Welche Quelle
für ihren so lange durstigen Geist war das! Sie
las nicht, sie verschlang, was sie las, mit der Seele;
und der Funke ihres Genies ward zum Gluthball da-
von. Jetzt wäre sie glücklich gewesen, wenn sie keinen
Mann und keine Kinder gehabt hätte; denn hier fand
sie das Feld, wo die Saat ihres Geistes aufgehen und
Frucht bringen sollte. Hier verbreiteten die mancher-
lei Auftritte des Krieges, welche der König von Preus-
sen mit allen Mächten Europa's führte, täglich neue
Wunder, Sagen und politische Fragen; Hohe und
Niedere, Weiber und Kinder, alles sprach, wie von ei-
nem elektrischen Drath berührt, von Friedrich dem
Zweyten; niemand fühlte ganz keinen andern Kum-
mer, als um den König.

Welch ein aufblasender Windstoß waren alle diese
vereinigten Gegenstände für ihre so lange verhaltenen
glühenden Wünsche: den König singen zu können!
Hier, wo sie täglich Nachrichten von ihm hörte, so,
als ob er beinahe gegenwärtig wäre; hier, wo sie des
Gesanges empfängliche Seelen kannte; wo Friedrichs
Siege mit Kanonendonner und heiligen Jubelgesän-
gen gefeiert wurden. -- Hier streuete sie nicht mehr
Funken ihres Genies umher, sondern schoß Flammen
empor! Freilich zuerst nur noch, wie ein lang verhalte-
nes Feuer, wenn es zwischen Rauch und Dunkel aus-

in der poetiſchen Sprache verſchaffte. Welche Quelle
fuͤr ihren ſo lange durſtigen Geiſt war das! Sie
las nicht, ſie verſchlang, was ſie las, mit der Seele;
und der Funke ihres Genies ward zum Gluthball da-
von. Jetzt waͤre ſie gluͤcklich geweſen, wenn ſie keinen
Mann und keine Kinder gehabt haͤtte; denn hier fand
ſie das Feld, wo die Saat ihres Geiſtes aufgehen und
Frucht bringen ſollte. Hier verbreiteten die mancher-
lei Auftritte des Krieges, welche der Koͤnig von Preuſ-
ſen mit allen Maͤchten Europa’s fuͤhrte, taͤglich neue
Wunder, Sagen und politiſche Fragen; Hohe und
Niedere, Weiber und Kinder, alles ſprach, wie von ei-
nem elektriſchen Drath beruͤhrt, von Friedrich dem
Zweyten; niemand fuͤhlte ganz keinen andern Kum-
mer, als um den Koͤnig.

Welch ein aufblaſender Windſtoß waren alle dieſe
vereinigten Gegenſtaͤnde fuͤr ihre ſo lange verhaltenen
gluͤhenden Wuͤnſche: den Koͤnig ſingen zu koͤnnen!
Hier, wo ſie taͤglich Nachrichten von ihm hoͤrte, ſo,
als ob er beinahe gegenwaͤrtig waͤre; hier, wo ſie des
Geſanges empfaͤngliche Seelen kannte; wo Friedrichs
Siege mit Kanonendonner und heiligen Jubelgeſaͤn-
gen gefeiert wurden. — Hier ſtreuete ſie nicht mehr
Funken ihres Genies umher, ſondern ſchoß Flammen
empor! Freilich zuerſt nur noch, wie ein lang verhalte-
nes Feuer, wenn es zwiſchen Rauch und Dunkel aus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="72"/>
in der poeti&#x017F;chen Sprache ver&#x017F;chaffte. Welche Quelle<lb/>
fu&#x0364;r ihren &#x017F;o lange dur&#x017F;tigen Gei&#x017F;t war das! Sie<lb/>
las nicht, &#x017F;ie ver&#x017F;chlang, was &#x017F;ie las, mit der Seele;<lb/>
und der Funke ihres Genies ward zum Gluthball da-<lb/>
von. Jetzt wa&#x0364;re &#x017F;ie glu&#x0364;cklich gewe&#x017F;en, wenn &#x017F;ie keinen<lb/>
Mann und keine Kinder gehabt ha&#x0364;tte; denn hier fand<lb/>
&#x017F;ie das Feld, wo die Saat ihres Gei&#x017F;tes aufgehen und<lb/>
Frucht bringen &#x017F;ollte. Hier verbreiteten die mancher-<lb/>
lei Auftritte des Krieges, welche der Ko&#x0364;nig von Preu&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en mit allen Ma&#x0364;chten Europa&#x2019;s fu&#x0364;hrte, ta&#x0364;glich neue<lb/>
Wunder, Sagen und politi&#x017F;che Fragen; Hohe und<lb/>
Niedere, Weiber und Kinder, alles &#x017F;prach, wie von ei-<lb/>
nem elektri&#x017F;chen Drath beru&#x0364;hrt, von Friedrich dem<lb/>
Zweyten; niemand fu&#x0364;hlte ganz keinen andern Kum-<lb/>
mer, als um den Ko&#x0364;nig.</p><lb/>
        <p>Welch ein aufbla&#x017F;ender Wind&#x017F;toß waren alle die&#x017F;e<lb/>
vereinigten Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde fu&#x0364;r ihre &#x017F;o lange verhaltenen<lb/>
glu&#x0364;henden Wu&#x0364;n&#x017F;che: den Ko&#x0364;nig &#x017F;ingen zu ko&#x0364;nnen!<lb/>
Hier, wo &#x017F;ie ta&#x0364;glich Nachrichten von ihm ho&#x0364;rte, &#x017F;o,<lb/>
als ob er beinahe gegenwa&#x0364;rtig wa&#x0364;re; hier, wo &#x017F;ie des<lb/>
Ge&#x017F;anges empfa&#x0364;ngliche Seelen kannte; wo Friedrichs<lb/>
Siege mit Kanonendonner und heiligen Jubelge&#x017F;a&#x0364;n-<lb/>
gen gefeiert wurden. &#x2014; Hier &#x017F;treuete &#x017F;ie nicht mehr<lb/>
Funken ihres Genies umher, &#x017F;ondern &#x017F;choß Flammen<lb/>
empor! Freilich zuer&#x017F;t nur noch, wie ein lang verhalte-<lb/>
nes Feuer, wenn es zwi&#x017F;chen Rauch und Dunkel aus-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0104] in der poetiſchen Sprache verſchaffte. Welche Quelle fuͤr ihren ſo lange durſtigen Geiſt war das! Sie las nicht, ſie verſchlang, was ſie las, mit der Seele; und der Funke ihres Genies ward zum Gluthball da- von. Jetzt waͤre ſie gluͤcklich geweſen, wenn ſie keinen Mann und keine Kinder gehabt haͤtte; denn hier fand ſie das Feld, wo die Saat ihres Geiſtes aufgehen und Frucht bringen ſollte. Hier verbreiteten die mancher- lei Auftritte des Krieges, welche der Koͤnig von Preuſ- ſen mit allen Maͤchten Europa’s fuͤhrte, taͤglich neue Wunder, Sagen und politiſche Fragen; Hohe und Niedere, Weiber und Kinder, alles ſprach, wie von ei- nem elektriſchen Drath beruͤhrt, von Friedrich dem Zweyten; niemand fuͤhlte ganz keinen andern Kum- mer, als um den Koͤnig. Welch ein aufblaſender Windſtoß waren alle dieſe vereinigten Gegenſtaͤnde fuͤr ihre ſo lange verhaltenen gluͤhenden Wuͤnſche: den Koͤnig ſingen zu koͤnnen! Hier, wo ſie taͤglich Nachrichten von ihm hoͤrte, ſo, als ob er beinahe gegenwaͤrtig waͤre; hier, wo ſie des Geſanges empfaͤngliche Seelen kannte; wo Friedrichs Siege mit Kanonendonner und heiligen Jubelgeſaͤn- gen gefeiert wurden. — Hier ſtreuete ſie nicht mehr Funken ihres Genies umher, ſondern ſchoß Flammen empor! Freilich zuerſt nur noch, wie ein lang verhalte- nes Feuer, wenn es zwiſchen Rauch und Dunkel aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/104
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/104>, abgerufen am 04.05.2024.