Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
nehmen nicht blos sagt, es gefällt, sondern es ver-
gnügt
. Es ist nicht ein bloßer Beyfall, den ich ihm
widme, sondern Neigung wird dadurch erzeugt und zu
dem, was auf die lebhafteste Art angenehm ist, gehört
sogar kein Urtheil über die Beschaffenheit des Objects,
daß diejenigen, so immer nur aufs Geniessen ausge-
hen, (denn das ist das Wort, womit man das Jn-
nige des Vergnügens bezeichnet) sich gerne alles Urthei-
lens überheben.

§. 4.
Das Wohlgefallen am Guten ist mit Jn-
teresse verbunden
.

Gut ist das, was vermittelst der Vernunft durch
den bloßen Begrif gefällt. Wir nennen einiges wozu
gut
, (das Nützliche) was nur als Mittel gefällt; ein
anderes aber an sich gut, was für sich selbst gefällt.
Jn beiden ist immer der Begrif eines Zwecks, mithin
das Verhältnis der Vernunft zum (wenigstens mögli-
lichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am Daseyn
eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Jn-
teresse enthalten.

Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wissen,
was der Gegenstand für ein Ding seyn solle, d. i. einen
Begrif von demselben haben. Um Schönheit woran zu
finden, habe ich das nicht nöthig. Blumen, freye Zeich-
nungen, ohne Absicht in einander geschlungene Züge,

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
nehmen nicht blos ſagt, es gefaͤllt, ſondern es ver-
gnuͤgt
. Es iſt nicht ein bloßer Beyfall, den ich ihm
widme, ſondern Neigung wird dadurch erzeugt und zu
dem, was auf die lebhafteſte Art angenehm iſt, gehoͤrt
ſogar kein Urtheil uͤber die Beſchaffenheit des Objects,
daß diejenigen, ſo immer nur aufs Genieſſen ausge-
hen, (denn das iſt das Wort, womit man das Jn-
nige des Vergnuͤgens bezeichnet) ſich gerne alles Urthei-
lens uͤberheben.

§. 4.
Das Wohlgefallen am Guten iſt mit Jn-
tereſſe verbunden
.

Gut iſt das, was vermittelſt der Vernunft durch
den bloßen Begrif gefaͤllt. Wir nennen einiges wozu
gut
, (das Nuͤtzliche) was nur als Mittel gefaͤllt; ein
anderes aber an ſich gut, was fuͤr ſich ſelbſt gefaͤllt.
Jn beiden iſt immer der Begrif eines Zwecks, mithin
das Verhaͤltnis der Vernunft zum (wenigſtens moͤgli-
lichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am Daſeyn
eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Jn-
tereſſe enthalten.

Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wiſſen,
was der Gegenſtand fuͤr ein Ding ſeyn ſolle, d. i. einen
Begrif von demſelben haben. Um Schoͤnheit woran zu
finden, habe ich das nicht noͤthig. Blumen, freye Zeich-
nungen, ohne Abſicht in einander geſchlungene Zuͤge,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0074" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
nehmen nicht blos &#x017F;agt, es <hi rendition="#fr">gefa&#x0364;llt</hi>, &#x017F;ondern es <hi rendition="#fr">ver-<lb/>
gnu&#x0364;gt</hi>. Es i&#x017F;t nicht ein bloßer Beyfall, den ich ihm<lb/>
widme, &#x017F;ondern Neigung wird dadurch erzeugt und zu<lb/>
dem, was auf die lebhafte&#x017F;te Art angenehm i&#x017F;t, geho&#x0364;rt<lb/>
&#x017F;ogar kein Urtheil u&#x0364;ber die Be&#x017F;chaffenheit des Objects,<lb/>
daß diejenigen, &#x017F;o immer nur aufs Genie&#x017F;&#x017F;en ausge-<lb/>
hen, (denn das i&#x017F;t das Wort, womit man das Jn-<lb/>
nige des Vergnu&#x0364;gens bezeichnet) &#x017F;ich gerne alles Urthei-<lb/>
lens u&#x0364;berheben.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head><hi rendition="#b">§. 4.<lb/>
Das Wohlgefallen am Guten i&#x017F;t mit Jn-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e verbunden</hi>.</head><lb/>
                <p><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Gut</hi></hi> i&#x017F;t das, was vermittel&#x017F;t der Vernunft durch<lb/>
den bloßen Begrif gefa&#x0364;llt. Wir nennen einiges <hi rendition="#fr">wozu<lb/>
gut</hi>, (das Nu&#x0364;tzliche) was nur als Mittel gefa&#x0364;llt; ein<lb/>
anderes aber <hi rendition="#fr">an &#x017F;ich gut</hi>, was fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gefa&#x0364;llt.<lb/>
Jn beiden i&#x017F;t immer der Begrif eines Zwecks, mithin<lb/>
das Verha&#x0364;ltnis der Vernunft zum (wenig&#x017F;tens mo&#x0364;gli-<lb/>
lichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am <hi rendition="#fr">Da&#x017F;eyn</hi><lb/>
eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Jn-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e enthalten.</p><lb/>
                <p>Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was der Gegen&#x017F;tand fu&#x0364;r ein Ding &#x017F;eyn &#x017F;olle, d. i. einen<lb/>
Begrif von dem&#x017F;elben haben. Um Scho&#x0364;nheit woran zu<lb/>
finden, habe ich das nicht no&#x0364;thig. Blumen, freye Zeich-<lb/>
nungen, ohne Ab&#x017F;icht in einander ge&#x017F;chlungene Zu&#x0364;ge,<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0074] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. nehmen nicht blos ſagt, es gefaͤllt, ſondern es ver- gnuͤgt. Es iſt nicht ein bloßer Beyfall, den ich ihm widme, ſondern Neigung wird dadurch erzeugt und zu dem, was auf die lebhafteſte Art angenehm iſt, gehoͤrt ſogar kein Urtheil uͤber die Beſchaffenheit des Objects, daß diejenigen, ſo immer nur aufs Genieſſen ausge- hen, (denn das iſt das Wort, womit man das Jn- nige des Vergnuͤgens bezeichnet) ſich gerne alles Urthei- lens uͤberheben. §. 4. Das Wohlgefallen am Guten iſt mit Jn- tereſſe verbunden. Gut iſt das, was vermittelſt der Vernunft durch den bloßen Begrif gefaͤllt. Wir nennen einiges wozu gut, (das Nuͤtzliche) was nur als Mittel gefaͤllt; ein anderes aber an ſich gut, was fuͤr ſich ſelbſt gefaͤllt. Jn beiden iſt immer der Begrif eines Zwecks, mithin das Verhaͤltnis der Vernunft zum (wenigſtens moͤgli- lichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am Daſeyn eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Jn- tereſſe enthalten. Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wiſſen, was der Gegenſtand fuͤr ein Ding ſeyn ſolle, d. i. einen Begrif von demſelben haben. Um Schoͤnheit woran zu finden, habe ich das nicht noͤthig. Blumen, freye Zeich- nungen, ohne Abſicht in einander geſchlungene Zuͤge,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/74
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/74>, abgerufen am 29.11.2024.