Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
statt dessen, wenn die Hochachtung für das sittliche Gesetz
uns ganz frey, laut Vorschrift unserer eigenen Vernunft den
Endzweck unserer Bestimmung vorstellt, wir eine damit und
zu dessen Ausführung zusammenstimmende Ursache mit der
wahrhaftesten Ehrfurcht, die gänzlich von pathologischer
Furcht unterschieden ist, in unsere moralische Aussichten mit
aufnehmen und uns derselben willig unterwerfen. *)

Wenn man frägt: warum uns denn etwas daran gele-
gen sey überhaupt eine Theologie zu haben: so leuchtet klar
ein, daß sie nicht zur Erweiterung oder Berichtigung unserer
Naturerkenntnis und überhaupt irgend einer Theorie son-
dern lediglich zur Religion, d. i. dem practischen, nament-
lich dem moralischen Gebrauche der Vernunft in subjectiver
Absicht, nöthig sey. Findet sich nun: daß das einzige Ar-
gument, welches zu einem bestimmten Begriffe des Gegen-
standes der Theologie führt, selbst moralisch ist, so wird es
nicht allein befremden, sondern man wird auch in Ausehung
der Zulänglichkeit des Fürwarhaltens aus diesem Beweis-
grunde zur Endabsicht derselben nichts vermissen, wenn ge-
standen wird, daß ein solches Argument das Daseyn Gottes
nur für unsere moralische Bestimmung, d. i. in practischer

*) Die Bewunderung der Schönheiten sowohl, als die Rüh-
rung durch die so mannigfaltigen Zwecke der Natur, die
ein nachdenkendes Gemüth, noch vor einer klaren Vorstel-
lung eines vernünftigen Urhebers der Welt, zu fühlen im
Stande ist, haben etwas einem religiösen Gefühl ähnli-
ches an sich. Sie scheinen daher zuerst durch eine der morali-
schen analoge Beurtheilungsart derselben aufs moralische
Gefühl (der Dankbarkeit und der Verehrung gegen die uns
unbekannte Ursache) und also durch Erregung moralischer
Jdeen auf das Gemüth zu wirken, wenn sie diejenige Be-
wunderung einflößen, die mit weit mehrerem Jnteresse ver-
bunden ist, als bloße theoretische Betrachtung wirken kann.

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
ſtatt deſſen, wenn die Hochachtung fuͤr das ſittliche Geſetz
uns ganz frey, laut Vorſchrift unſerer eigenen Vernunft den
Endzweck unſerer Beſtimmung vorſtellt, wir eine damit und
zu deſſen Ausfuͤhrung zuſammenſtimmende Urſache mit der
wahrhafteſten Ehrfurcht, die gaͤnzlich von pathologiſcher
Furcht unterſchieden iſt, in unſere moraliſche Ausſichten mit
aufnehmen und uns derſelben willig unterwerfen. *)

Wenn man fraͤgt: warum uns denn etwas daran gele-
gen ſey uͤberhaupt eine Theologie zu haben: ſo leuchtet klar
ein, daß ſie nicht zur Erweiterung oder Berichtigung unſerer
Naturerkenntnis und uͤberhaupt irgend einer Theorie ſon-
dern lediglich zur Religion, d. i. dem practiſchen, nament-
lich dem moraliſchen Gebrauche der Vernunft in ſubjectiver
Abſicht, noͤthig ſey. Findet ſich nun: daß das einzige Ar-
gument, welches zu einem beſtimmten Begriffe des Gegen-
ſtandes der Theologie fuͤhrt, ſelbſt moraliſch iſt, ſo wird es
nicht allein befremden, ſondern man wird auch in Auſehung
der Zulaͤnglichkeit des Fuͤrwarhaltens aus dieſem Beweis-
grunde zur Endabſicht derſelben nichts vermiſſen, wenn ge-
ſtanden wird, daß ein ſolches Argument das Daſeyn Gottes
nur fuͤr unſere moraliſche Beſtimmung, d. i. in practiſcher

*) Die Bewunderung der Schoͤnheiten ſowohl, als die Ruͤh-
rung durch die ſo mannigfaltigen Zwecke der Natur, die
ein nachdenkendes Gemuͤth, noch vor einer klaren Vorſtel-
lung eines vernuͤnftigen Urhebers der Welt, zu fuͤhlen im
Stande iſt, haben etwas einem religioͤſen Gefuͤhl aͤhnli-
ches an ſich. Sie ſcheinen daher zuerſt durch eine der morali-
ſchen analoge Beurtheilungsart derſelben aufs moraliſche
Gefuͤhl (der Dankbarkeit und der Verehrung gegen die uns
unbekannte Urſache) und alſo durch Erregung moraliſcher
Jdeen auf das Gemuͤth zu wirken, wenn ſie diejenige Be-
wunderung einfloͤßen, die mit weit mehrerem Jntereſſe ver-
bunden iſt, als bloße theoretiſche Betrachtung wirken kann.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0536" n="472"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
&#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en, wenn die Hochachtung fu&#x0364;r das &#x017F;ittliche Ge&#x017F;etz<lb/>
uns ganz frey, laut Vor&#x017F;chrift un&#x017F;erer eigenen Vernunft den<lb/>
Endzweck un&#x017F;erer Be&#x017F;timmung vor&#x017F;tellt, wir eine damit und<lb/>
zu de&#x017F;&#x017F;en Ausfu&#x0364;hrung zu&#x017F;ammen&#x017F;timmende Ur&#x017F;ache mit der<lb/>
wahrhafte&#x017F;ten Ehrfurcht, die ga&#x0364;nzlich von pathologi&#x017F;cher<lb/>
Furcht unter&#x017F;chieden i&#x017F;t, in un&#x017F;ere morali&#x017F;che Aus&#x017F;ichten mit<lb/>
aufnehmen und uns der&#x017F;elben willig unterwerfen. <note place="foot" n="*)">Die Bewunderung der Scho&#x0364;nheiten &#x017F;owohl, als die Ru&#x0364;h-<lb/>
rung durch die &#x017F;o mannigfaltigen Zwecke der Natur, die<lb/>
ein nachdenkendes Gemu&#x0364;th, noch vor einer klaren Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung eines vernu&#x0364;nftigen Urhebers der Welt, zu fu&#x0364;hlen im<lb/>
Stande i&#x017F;t, haben etwas einem religio&#x0364;&#x017F;en Gefu&#x0364;hl a&#x0364;hnli-<lb/>
ches an &#x017F;ich. Sie &#x017F;cheinen daher zuer&#x017F;t durch eine der morali-<lb/>
&#x017F;chen analoge Beurtheilungsart der&#x017F;elben aufs morali&#x017F;che<lb/>
Gefu&#x0364;hl (der Dankbarkeit und der Verehrung gegen die uns<lb/>
unbekannte Ur&#x017F;ache) und al&#x017F;o durch Erregung morali&#x017F;cher<lb/>
Jdeen auf das Gemu&#x0364;th zu wirken, wenn &#x017F;ie diejenige Be-<lb/>
wunderung einflo&#x0364;ßen, die mit weit mehrerem Jntere&#x017F;&#x017F;e ver-<lb/>
bunden i&#x017F;t, als bloße theoreti&#x017F;che Betrachtung wirken kann.</note></p><lb/>
                <p>Wenn man fra&#x0364;gt: warum uns denn etwas daran gele-<lb/>
gen &#x017F;ey u&#x0364;berhaupt eine Theologie zu haben: &#x017F;o leuchtet klar<lb/>
ein, daß &#x017F;ie nicht zur Erweiterung oder Berichtigung un&#x017F;erer<lb/>
Naturerkenntnis und u&#x0364;berhaupt irgend einer Theorie &#x017F;on-<lb/>
dern lediglich zur Religion, d. i. dem practi&#x017F;chen, nament-<lb/>
lich dem morali&#x017F;chen Gebrauche der Vernunft in &#x017F;ubjectiver<lb/>
Ab&#x017F;icht, no&#x0364;thig &#x017F;ey. Findet &#x017F;ich nun: daß das einzige Ar-<lb/>
gument, welches zu einem be&#x017F;timmten Begriffe des Gegen-<lb/>
&#x017F;tandes der Theologie fu&#x0364;hrt, &#x017F;elb&#x017F;t morali&#x017F;ch i&#x017F;t, &#x017F;o wird es<lb/>
nicht allein befremden, &#x017F;ondern man wird auch in Au&#x017F;ehung<lb/>
der Zula&#x0364;nglichkeit des Fu&#x0364;rwarhaltens aus die&#x017F;em Beweis-<lb/>
grunde zur Endab&#x017F;icht der&#x017F;elben nichts vermi&#x017F;&#x017F;en, wenn ge-<lb/>
&#x017F;tanden wird, daß ein &#x017F;olches Argument das Da&#x017F;eyn Gottes<lb/>
nur fu&#x0364;r un&#x017F;ere morali&#x017F;che Be&#x017F;timmung, d. i. in practi&#x017F;cher<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[472/0536] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. ſtatt deſſen, wenn die Hochachtung fuͤr das ſittliche Geſetz uns ganz frey, laut Vorſchrift unſerer eigenen Vernunft den Endzweck unſerer Beſtimmung vorſtellt, wir eine damit und zu deſſen Ausfuͤhrung zuſammenſtimmende Urſache mit der wahrhafteſten Ehrfurcht, die gaͤnzlich von pathologiſcher Furcht unterſchieden iſt, in unſere moraliſche Ausſichten mit aufnehmen und uns derſelben willig unterwerfen. *) Wenn man fraͤgt: warum uns denn etwas daran gele- gen ſey uͤberhaupt eine Theologie zu haben: ſo leuchtet klar ein, daß ſie nicht zur Erweiterung oder Berichtigung unſerer Naturerkenntnis und uͤberhaupt irgend einer Theorie ſon- dern lediglich zur Religion, d. i. dem practiſchen, nament- lich dem moraliſchen Gebrauche der Vernunft in ſubjectiver Abſicht, noͤthig ſey. Findet ſich nun: daß das einzige Ar- gument, welches zu einem beſtimmten Begriffe des Gegen- ſtandes der Theologie fuͤhrt, ſelbſt moraliſch iſt, ſo wird es nicht allein befremden, ſondern man wird auch in Auſehung der Zulaͤnglichkeit des Fuͤrwarhaltens aus dieſem Beweis- grunde zur Endabſicht derſelben nichts vermiſſen, wenn ge- ſtanden wird, daß ein ſolches Argument das Daſeyn Gottes nur fuͤr unſere moraliſche Beſtimmung, d. i. in practiſcher *) Die Bewunderung der Schoͤnheiten ſowohl, als die Ruͤh- rung durch die ſo mannigfaltigen Zwecke der Natur, die ein nachdenkendes Gemuͤth, noch vor einer klaren Vorſtel- lung eines vernuͤnftigen Urhebers der Welt, zu fuͤhlen im Stande iſt, haben etwas einem religioͤſen Gefuͤhl aͤhnli- ches an ſich. Sie ſcheinen daher zuerſt durch eine der morali- ſchen analoge Beurtheilungsart derſelben aufs moraliſche Gefuͤhl (der Dankbarkeit und der Verehrung gegen die uns unbekannte Urſache) und alſo durch Erregung moraliſcher Jdeen auf das Gemuͤth zu wirken, wenn ſie diejenige Be- wunderung einfloͤßen, die mit weit mehrerem Jntereſſe ver- bunden iſt, als bloße theoretiſche Betrachtung wirken kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/536
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/536>, abgerufen am 09.05.2024.