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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
Gegenstand Thatsache ist und unter die scibilia mit ge-
rechnet werden muß.

3) Gegenstände, die in Beziehung auf den pflicht-
mäßigen Gebrauch der reinen practischen Vernunft (es
sey als Folgen, oder als Gründe), a priori gedacht wer-
den müssen, aber für den theoretischen Gebrauch dersel-
ben überschwenglich sind, sind bloße Glaubenssachen.
Dergleichen ist das höchste durch Freyheit zu bewirkende
Gut in der Welt; dessen Begrif in keiner für uns mög-
lichen Erfahrung, mithin für den theoretischen Vernunft-
gebrauch hinreichend, seiner objectiven Realität nach be-
wiesen werden kann, aber doch durch practische reine Ver-
nunft geboten ist, und mithin als möglich angenommen
werden muß. Diese gebotene Wirkung ist, zusammt
den einzigen für uns denkbaren Bedingungen
ihrer Möglichkeit
, nämlich dem Daseyn Gottes und
der Seelen - Unsterblichkeit, Glaubenssachen (res
Fidei)
und zwar die einzigen unter allen Gegenständen,
die sogenannt werden können. *) Denn, ob von uns

*) Glaubenssachen sind aber darum nicht Glaubensartikel;
wenn man unter den letzteren solche Glaubenssachen versteht,
zu deren Bekenntnis (inneren oder äußeren) man verpflichtet
werden kann: dergleichen also die natürliche Theologie
nicht enthält. Denn da sie, als Glaubenssachen fürwarhal-
ten (gleich den Thatsachen) auf theoretische Beweise nicht
gründen können, so ist es ein freyes Fürwarhalten und auch
nur als ein solches mit der Moralität des Subjects ver-
einbar.

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Gegenſtand Thatſache iſt und unter die ſcibilia mit ge-
rechnet werden muß.

3) Gegenſtaͤnde, die in Beziehung auf den pflicht-
maͤßigen Gebrauch der reinen practiſchen Vernunft (es
ſey als Folgen, oder als Gruͤnde), a priori gedacht wer-
den muͤſſen, aber fuͤr den theoretiſchen Gebrauch derſel-
ben uͤberſchwenglich ſind, ſind bloße Glaubensſachen.
Dergleichen iſt das hoͤchſte durch Freyheit zu bewirkende
Gut in der Welt; deſſen Begrif in keiner fuͤr uns moͤg-
lichen Erfahrung, mithin fuͤr den theoretiſchen Vernunft-
gebrauch hinreichend, ſeiner objectiven Realitaͤt nach be-
wieſen werden kann, aber doch durch practiſche reine Ver-
nunft geboten iſt, und mithin als moͤglich angenommen
werden muß. Dieſe gebotene Wirkung iſt, zuſammt
den einzigen fuͤr uns denkbaren Bedingungen
ihrer Moͤglichkeit
, naͤmlich dem Daſeyn Gottes und
der Seelen - Unſterblichkeit, Glaubensſachen (res
Fidei)
und zwar die einzigen unter allen Gegenſtaͤnden,
die ſogenannt werden koͤnnen. *) Denn, ob von uns

*) Glaubensſachen ſind aber darum nicht Glaubensartikel;
wenn man unter den letzteren ſolche Glaubensſachen verſteht,
zu deren Bekenntnis (inneren oder aͤußeren) man verpflichtet
werden kann: dergleichen alſo die natuͤrliche Theologie
nicht enthaͤlt. Denn da ſie, als Glaubensſachen fuͤrwarhal-
ten (gleich den Thatſachen) auf theoretiſche Beweiſe nicht
gruͤnden koͤnnen, ſo iſt es ein freyes Fuͤrwarhalten und auch
nur als ein ſolches mit der Moralitaͤt des Subjects ver-
einbar.
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[452/0516] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. Gegenſtand Thatſache iſt und unter die ſcibilia mit ge- rechnet werden muß. 3) Gegenſtaͤnde, die in Beziehung auf den pflicht- maͤßigen Gebrauch der reinen practiſchen Vernunft (es ſey als Folgen, oder als Gruͤnde), a priori gedacht wer- den muͤſſen, aber fuͤr den theoretiſchen Gebrauch derſel- ben uͤberſchwenglich ſind, ſind bloße Glaubensſachen. Dergleichen iſt das hoͤchſte durch Freyheit zu bewirkende Gut in der Welt; deſſen Begrif in keiner fuͤr uns moͤg- lichen Erfahrung, mithin fuͤr den theoretiſchen Vernunft- gebrauch hinreichend, ſeiner objectiven Realitaͤt nach be- wieſen werden kann, aber doch durch practiſche reine Ver- nunft geboten iſt, und mithin als moͤglich angenommen werden muß. Dieſe gebotene Wirkung iſt, zuſammt den einzigen fuͤr uns denkbaren Bedingungen ihrer Moͤglichkeit, naͤmlich dem Daſeyn Gottes und der Seelen - Unſterblichkeit, Glaubensſachen (res Fidei) und zwar die einzigen unter allen Gegenſtaͤnden, die ſogenannt werden koͤnnen. *) Denn, ob von uns *) Glaubensſachen ſind aber darum nicht Glaubensartikel; wenn man unter den letzteren ſolche Glaubensſachen verſteht, zu deren Bekenntnis (inneren oder aͤußeren) man verpflichtet werden kann: dergleichen alſo die natuͤrliche Theologie nicht enthaͤlt. Denn da ſie, als Glaubensſachen fuͤrwarhal- ten (gleich den Thatſachen) auf theoretiſche Beweiſe nicht gruͤnden koͤnnen, ſo iſt es ein freyes Fuͤrwarhalten und auch nur als ein ſolches mit der Moralitaͤt des Subjects ver- einbar.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/516>, abgerufen am 09.05.2024.