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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
kann. Werden hiebey nun zugleich die moralische Trieb-
federn des Gemüths in Bewegung gesetzt und ein lebhaftes
Jnteresse der letzteren mit rednerischer Stärke (deren sie
auch wohl würdig sind) hinzugefügt, so entspringt dar-
aus eine Ueberredung von der objectiven Zulänglichkeit
des Beweises und ein (in den meisten Fällen seines Ge-
brauchs) auch heilsamer Schein, der aller Prüfung der
logischen Schärfe desselben sich ganz überhebt und sogar
dawider, als ob ihr ein frevelhafter Zweifel zum Grunde
läge, Abscheu und Widerwillen trägt -- Nun ist hier
wider wohl nichts zu sagen, so fern man auf populäre
Brauchbarkeit eigentlich Rücksicht nimmt. Allein, da
doch die Zerfällung desselben in die zwey ungleichartige
Stücke, die dieses Argument enthält, nämlich in das,
was zur physischen und das, was zur moralischen Teleo-
logie gehört, nicht abgehalten werden kann und darf,
indem die Zusammenschmelzung beyder es unkenntlich
macht, wo der eigentliche Nerve des Beweises liege und
an welchem Theile und wie er mußte bearbeitet werden,
um für die Gültigkeit desselben vor der schärfsten Prüfung
Stand halten zu können, (selbst wenn man an einem
Theile die Schwäche unserer Vernunfteinsicht einzugeste-
hen genöthigt seyn sollte): so ist es für den Philosophen
Pflicht, (gesetzt daß er auch die Anforderung der Auf-
richtigkeit an ihn für nichts rechnete) den obgleich noch
so heilsamen Schein, welchen eine solche Vermengung
hervorbringen kann, aufzudecken und, was blos

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
kann. Werden hiebey nun zugleich die moraliſche Trieb-
federn des Gemuͤths in Bewegung geſetzt und ein lebhaftes
Jntereſſe der letzteren mit redneriſcher Staͤrke (deren ſie
auch wohl wuͤrdig ſind) hinzugefuͤgt, ſo entſpringt dar-
aus eine Ueberredung von der objectiven Zulaͤnglichkeit
des Beweiſes und ein (in den meiſten Faͤllen ſeines Ge-
brauchs) auch heilſamer Schein, der aller Pruͤfung der
logiſchen Schaͤrfe deſſelben ſich ganz uͤberhebt und ſogar
dawider, als ob ihr ein frevelhafter Zweifel zum Grunde
laͤge, Abſcheu und Widerwillen traͤgt — Nun iſt hier
wider wohl nichts zu ſagen, ſo fern man auf populaͤre
Brauchbarkeit eigentlich Ruͤckſicht nimmt. Allein, da
doch die Zerfaͤllung deſſelben in die zwey ungleichartige
Stuͤcke, die dieſes Argument enthaͤlt, naͤmlich in das,
was zur phyſiſchen und das, was zur moraliſchen Teleo-
logie gehoͤrt, nicht abgehalten werden kann und darf,
indem die Zuſammenſchmelzung beyder es unkenntlich
macht, wo der eigentliche Nerve des Beweiſes liege und
an welchem Theile und wie er mußte bearbeitet werden,
um fuͤr die Guͤltigkeit deſſelben vor der ſchaͤrfſten Pruͤfung
Stand halten zu koͤnnen, (ſelbſt wenn man an einem
Theile die Schwaͤche unſerer Vernunfteinſicht einzugeſte-
hen genoͤthigt ſeyn ſollte): ſo iſt es fuͤr den Philoſophen
Pflicht, (geſetzt daß er auch die Anforderung der Auf-
richtigkeit an ihn fuͤr nichts rechnete) den obgleich noch
ſo heilſamen Schein, welchen eine ſolche Vermengung
hervorbringen kann, aufzudecken und, was blos

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[440/0504] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. kann. Werden hiebey nun zugleich die moraliſche Trieb- federn des Gemuͤths in Bewegung geſetzt und ein lebhaftes Jntereſſe der letzteren mit redneriſcher Staͤrke (deren ſie auch wohl wuͤrdig ſind) hinzugefuͤgt, ſo entſpringt dar- aus eine Ueberredung von der objectiven Zulaͤnglichkeit des Beweiſes und ein (in den meiſten Faͤllen ſeines Ge- brauchs) auch heilſamer Schein, der aller Pruͤfung der logiſchen Schaͤrfe deſſelben ſich ganz uͤberhebt und ſogar dawider, als ob ihr ein frevelhafter Zweifel zum Grunde laͤge, Abſcheu und Widerwillen traͤgt — Nun iſt hier wider wohl nichts zu ſagen, ſo fern man auf populaͤre Brauchbarkeit eigentlich Ruͤckſicht nimmt. Allein, da doch die Zerfaͤllung deſſelben in die zwey ungleichartige Stuͤcke, die dieſes Argument enthaͤlt, naͤmlich in das, was zur phyſiſchen und das, was zur moraliſchen Teleo- logie gehoͤrt, nicht abgehalten werden kann und darf, indem die Zuſammenſchmelzung beyder es unkenntlich macht, wo der eigentliche Nerve des Beweiſes liege und an welchem Theile und wie er mußte bearbeitet werden, um fuͤr die Guͤltigkeit deſſelben vor der ſchaͤrfſten Pruͤfung Stand halten zu koͤnnen, (ſelbſt wenn man an einem Theile die Schwaͤche unſerer Vernunfteinſicht einzugeſte- hen genoͤthigt ſeyn ſollte): ſo iſt es fuͤr den Philoſophen Pflicht, (geſetzt daß er auch die Anforderung der Auf- richtigkeit an ihn fuͤr nichts rechnete) den obgleich noch ſo heilſamen Schein, welchen eine ſolche Vermengung hervorbringen kann, aufzudecken und, was blos

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/504>, abgerufen am 09.05.2024.