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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
einen Vernunftgrund zu haben, warum die Natur zu
seiner Glückseeligkeit zusammen stimmen müsse, wenn sie
als ein absolutes Ganzes nach Principien der Zwecke be-
trachtet wird. -- Also ist es nur das Begehrungsver-
mögen, aber nicht dasjenige, was ihn von der Natur
(durch sinnliche Antriebe) abhängig macht, nicht das,
in Ansehung dessen der Werth seines Daseyns auf dem,
was er empfängt und genießt, beruht, sondern der Werth,
welchen er allein sich selbst geben kann und in dem besteht
was er thut, wie und nach welchen Principien er, nicht
als Naturglied, sondern in der Freyheit seines Begeh-
rungsvermögens, handelt, d. i. ein guter Wille, dasje-
nige, wodurch sein Daseyn allein einen absoluten Werth
und worauf in Beziehung das Daseyn der Welt einen
Endzweck haben kann.

Auch stimmt damit das gemeinste Urtheil der gesun-
den Menschenvernunft vollkommen zusammen: nämlich
daß der Mensch nur als moralisches Wesen ein Endzweck
der Schöpfung seyn könne, wenn man die Beurtheilung
nur auf diese Frage leitet und veranlaßt sie zu versuchen.
Was hilfts, wird man sagen, daß dieser Mensch so viel
Talent hat, daß er damit sogar sehr thätig ist und da-
durch einen nützlichen Einfluß aufs gemeine Wesen aus-
übt, und also in Verhältnis, so wohl auf seine Glücks-
umstände, als auch auf anderer Nutzen, einen großen
Werth hat, wenn er keinen guten Willen besitzt? Er ist
ein verachtungswürdiges Object, wenn man ihn nach

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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
einen Vernunftgrund zu haben, warum die Natur zu
ſeiner Gluͤckſeeligkeit zuſammen ſtimmen muͤſſe, wenn ſie
als ein abſolutes Ganzes nach Principien der Zwecke be-
trachtet wird. — Alſo iſt es nur das Begehrungsver-
moͤgen, aber nicht dasjenige, was ihn von der Natur
(durch ſinnliche Antriebe) abhaͤngig macht, nicht das,
in Anſehung deſſen der Werth ſeines Daſeyns auf dem,
was er empfaͤngt und genießt, beruht, ſondern der Werth,
welchen er allein ſich ſelbſt geben kann und in dem beſteht
was er thut, wie und nach welchen Principien er, nicht
als Naturglied, ſondern in der Freyheit ſeines Begeh-
rungsvermoͤgens, handelt, d. i. ein guter Wille, dasje-
nige, wodurch ſein Daſeyn allein einen abſoluten Werth
und worauf in Beziehung das Daſeyn der Welt einen
Endzweck haben kann.

Auch ſtimmt damit das gemeinſte Urtheil der geſun-
den Menſchenvernunft vollkommen zuſammen: naͤmlich
daß der Menſch nur als moraliſches Weſen ein Endzweck
der Schoͤpfung ſeyn koͤnne, wenn man die Beurtheilung
nur auf dieſe Frage leitet und veranlaßt ſie zu verſuchen.
Was hilfts, wird man ſagen, daß dieſer Menſch ſo viel
Talent hat, daß er damit ſogar ſehr thaͤtig iſt und da-
durch einen nuͤtzlichen Einfluß aufs gemeine Weſen aus-
uͤbt, und alſo in Verhaͤltnis, ſo wohl auf ſeine Gluͤcks-
umſtaͤnde, als auch auf anderer Nutzen, einen großen
Werth hat, wenn er keinen guten Willen beſitzt? Er iſt
ein verachtungswuͤrdiges Object, wenn man ihn nach

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[407/0471] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. einen Vernunftgrund zu haben, warum die Natur zu ſeiner Gluͤckſeeligkeit zuſammen ſtimmen muͤſſe, wenn ſie als ein abſolutes Ganzes nach Principien der Zwecke be- trachtet wird. — Alſo iſt es nur das Begehrungsver- moͤgen, aber nicht dasjenige, was ihn von der Natur (durch ſinnliche Antriebe) abhaͤngig macht, nicht das, in Anſehung deſſen der Werth ſeines Daſeyns auf dem, was er empfaͤngt und genießt, beruht, ſondern der Werth, welchen er allein ſich ſelbſt geben kann und in dem beſteht was er thut, wie und nach welchen Principien er, nicht als Naturglied, ſondern in der Freyheit ſeines Begeh- rungsvermoͤgens, handelt, d. i. ein guter Wille, dasje- nige, wodurch ſein Daſeyn allein einen abſoluten Werth und worauf in Beziehung das Daſeyn der Welt einen Endzweck haben kann. Auch ſtimmt damit das gemeinſte Urtheil der geſun- den Menſchenvernunft vollkommen zuſammen: naͤmlich daß der Menſch nur als moraliſches Weſen ein Endzweck der Schoͤpfung ſeyn koͤnne, wenn man die Beurtheilung nur auf dieſe Frage leitet und veranlaßt ſie zu verſuchen. Was hilfts, wird man ſagen, daß dieſer Menſch ſo viel Talent hat, daß er damit ſogar ſehr thaͤtig iſt und da- durch einen nuͤtzlichen Einfluß aufs gemeine Weſen aus- uͤbt, und alſo in Verhaͤltnis, ſo wohl auf ſeine Gluͤcks- umſtaͤnde, als auch auf anderer Nutzen, einen großen Werth hat, wenn er keinen guten Willen beſitzt? Er iſt ein verachtungswuͤrdiges Object, wenn man ihn nach C c 4

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/471>, abgerufen am 22.12.2024.