Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
telligibelen Substrats der Natur, woraus selbst von dem
Mechanism der Erscheinungen nach besondern Gesetzen
Grund angegeben werden könne, erforderlich seyn wür-
de, welches alles unser Vermögen gänzlich übersteigt.

Damit also der Naturforscher nicht auf reinen Ver-
lust arbeite, so muß er in Beurtheilung der Dinge, de-
ren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegründet ist
(organisirter Wesen), immer irgend eine ursprüngliche
Organisation zum Grunde legen, welche jenen Mecha-
nism selbst benutzt, um andere organisirte Formen her-
vorzubringen, oder die seinige zu neuen Gestalten (die
doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gemäs er-
folgen) zu entwickeln.

Es ist rühmlich, vermittelst einer comparativen Ana-
tomie die große Schöpfung organisirter Naturen durch-
zugehen, um zu sehen: ob sich daran nicht etwas einem
System ähnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip
nach, vorfinde, ohne daß wir nöthig haben, beym blo-
ßen Beurtheilungsprincip (welches für die Einsicht ihrer
Erzeugung keinen Aufschlus giebt) stehen zu bleiben und
muthlos allen Anspruch auf Natureinsicht in die-
sem Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft so vieler Thier-
gattungen in einem gewissen gemeinsamen Schema, das
nicht allein in ihrem Knochenbau, sondern auch in der
Anordnung der übrigen Theile zum Grunde zu liegen
scheint, wo bewundrungswürdige Einfalt des Grund-
risses durch Verkürzung einer und Verlängerung ande-

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
telligibelen Subſtrats der Natur, woraus ſelbſt von dem
Mechanism der Erſcheinungen nach beſondern Geſetzen
Grund angegeben werden koͤnne, erforderlich ſeyn wuͤr-
de, welches alles unſer Vermoͤgen gaͤnzlich uͤberſteigt.

Damit alſo der Naturforſcher nicht auf reinen Ver-
luſt arbeite, ſo muß er in Beurtheilung der Dinge, de-
ren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegruͤndet iſt
(organiſirter Weſen), immer irgend eine urſpruͤngliche
Organiſation zum Grunde legen, welche jenen Mecha-
nism ſelbſt benutzt, um andere organiſirte Formen her-
vorzubringen, oder die ſeinige zu neuen Geſtalten (die
doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gemaͤs er-
folgen) zu entwickeln.

Es iſt ruͤhmlich, vermittelſt einer comparativen Ana-
tomie die große Schoͤpfung organiſirter Naturen durch-
zugehen, um zu ſehen: ob ſich daran nicht etwas einem
Syſtem aͤhnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip
nach, vorfinde, ohne daß wir noͤthig haben, beym blo-
ßen Beurtheilungsprincip (welches fuͤr die Einſicht ihrer
Erzeugung keinen Aufſchlus giebt) ſtehen zu bleiben und
muthlos allen Anſpruch auf Natureinſicht in die-
ſem Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft ſo vieler Thier-
gattungen in einem gewiſſen gemeinſamen Schema, das
nicht allein in ihrem Knochenbau, ſondern auch in der
Anordnung der uͤbrigen Theile zum Grunde zu liegen
ſcheint, wo bewundrungswuͤrdige Einfalt des Grund-
riſſes durch Verkuͤrzung einer und Verlaͤngerung ande-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0427" n="363"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
telligibelen Sub&#x017F;trats der Natur, woraus &#x017F;elb&#x017F;t von dem<lb/>
Mechanism der Er&#x017F;cheinungen nach be&#x017F;ondern Ge&#x017F;etzen<lb/>
Grund angegeben werden ko&#x0364;nne, erforderlich &#x017F;eyn wu&#x0364;r-<lb/>
de, welches alles un&#x017F;er Vermo&#x0364;gen ga&#x0364;nzlich u&#x0364;ber&#x017F;teigt.</p><lb/>
              <p>Damit al&#x017F;o der Naturfor&#x017F;cher nicht auf reinen Ver-<lb/>
lu&#x017F;t arbeite, &#x017F;o muß er in Beurtheilung der Dinge, de-<lb/>
ren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegru&#x0364;ndet i&#x017F;t<lb/>
(organi&#x017F;irter We&#x017F;en), immer irgend eine ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche<lb/>
Organi&#x017F;ation zum Grunde legen, welche jenen Mecha-<lb/>
nism &#x017F;elb&#x017F;t benutzt, um andere organi&#x017F;irte Formen her-<lb/>
vorzubringen, oder die &#x017F;einige zu neuen Ge&#x017F;talten (die<lb/>
doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gema&#x0364;s er-<lb/>
folgen) zu entwickeln.</p><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t ru&#x0364;hmlich, vermittel&#x017F;t einer comparativen Ana-<lb/>
tomie die große Scho&#x0364;pfung organi&#x017F;irter Naturen durch-<lb/>
zugehen, um zu &#x017F;ehen: ob &#x017F;ich daran nicht etwas einem<lb/>
Sy&#x017F;tem a&#x0364;hnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip<lb/>
nach, vorfinde, ohne daß wir no&#x0364;thig haben, beym blo-<lb/>
ßen Beurtheilungsprincip (welches fu&#x0364;r die Ein&#x017F;icht ihrer<lb/>
Erzeugung keinen Auf&#x017F;chlus giebt) &#x017F;tehen zu bleiben und<lb/>
muthlos allen An&#x017F;pruch auf <hi rendition="#fr">Naturein&#x017F;icht</hi> in die-<lb/>
&#x017F;em Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft &#x017F;o vieler Thier-<lb/>
gattungen in einem gewi&#x017F;&#x017F;en gemein&#x017F;amen Schema, das<lb/>
nicht allein in ihrem Knochenbau, &#x017F;ondern auch in der<lb/>
Anordnung der u&#x0364;brigen Theile zum Grunde zu liegen<lb/>
&#x017F;cheint, wo bewundrungswu&#x0364;rdige Einfalt des Grund-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;es durch Verku&#x0364;rzung einer und Verla&#x0364;ngerung ande-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[363/0427] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. telligibelen Subſtrats der Natur, woraus ſelbſt von dem Mechanism der Erſcheinungen nach beſondern Geſetzen Grund angegeben werden koͤnne, erforderlich ſeyn wuͤr- de, welches alles unſer Vermoͤgen gaͤnzlich uͤberſteigt. Damit alſo der Naturforſcher nicht auf reinen Ver- luſt arbeite, ſo muß er in Beurtheilung der Dinge, de- ren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegruͤndet iſt (organiſirter Weſen), immer irgend eine urſpruͤngliche Organiſation zum Grunde legen, welche jenen Mecha- nism ſelbſt benutzt, um andere organiſirte Formen her- vorzubringen, oder die ſeinige zu neuen Geſtalten (die doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gemaͤs er- folgen) zu entwickeln. Es iſt ruͤhmlich, vermittelſt einer comparativen Ana- tomie die große Schoͤpfung organiſirter Naturen durch- zugehen, um zu ſehen: ob ſich daran nicht etwas einem Syſtem aͤhnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip nach, vorfinde, ohne daß wir noͤthig haben, beym blo- ßen Beurtheilungsprincip (welches fuͤr die Einſicht ihrer Erzeugung keinen Aufſchlus giebt) ſtehen zu bleiben und muthlos allen Anſpruch auf Natureinſicht in die- ſem Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft ſo vieler Thier- gattungen in einem gewiſſen gemeinſamen Schema, das nicht allein in ihrem Knochenbau, ſondern auch in der Anordnung der uͤbrigen Theile zum Grunde zu liegen ſcheint, wo bewundrungswuͤrdige Einfalt des Grund- riſſes durch Verkuͤrzung einer und Verlaͤngerung ande-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/427
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/427>, abgerufen am 20.05.2024.