Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft. Cultur sonst so unbrauchbaren Boden weitläuftigeFichtenwälder haben aufschlagen können, wegen derer unvernünftiger Ausrottung wir häufig unsere Vorfah- ren anklagen, und da kann man fragen, ob diese uralte Absetzung der Sandschichten ein Zweck der Natur war, zum Behuf der darauf möglichen Fichtenwälder. So viel ist klar: daß, wenn man diese als Zweck der Natur annimmt, man jenen Sand auch, aber nur als relati- ven Zweck einräumen müsse, wozu wiederum der alte Meeresstrand und dessen Zurückziehen das Mittel war; denn in der Reihe der einander subordinirten Glieder einer Zweckverbindung muß ein jedes Mittelglied als Zweck (obgleich eben nicht als Endzweck) betrachtet wer- den, wozu seine nächste Ursache das Mittel ist. Eben so, wenn einmal Rindvieh, Schaafe, Pferde u. s. w. in der Welt seyn sollten, so mußte Gras auf Erden, aber es mußten auch Salzkräuter in Sandwüsten wachsen, wenn Cameele gedeyen sollten, oder auch diese und an- dere grasfressende Thierarten in Menge anzutreffen seyn, wenn es Wölfe, Tieger und Löwen geben sollte. Mithin ist die objective Zweckmäßigkeit, die sich auf Zuträglich- keit gründet, nicht eine objective Zweckmäßigkeit der Dinge an sich selbst, als ob der Sand für sich, als Wir- kung aus seiner Ursache, dem Meere, nicht könnte be- griffen werden, ohne dem letztern einen Zweck unterzu- legen, und ohne die Wirkung nämlich den Sand als Kunstwerk zu betrachten. Sie ist eine blos relative, den S 3
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. Cultur ſonſt ſo unbrauchbaren Boden weitlaͤuftigeFichtenwaͤlder haben aufſchlagen koͤnnen, wegen derer unvernuͤnftiger Ausrottung wir haͤufig unſere Vorfah- ren anklagen, und da kann man fragen, ob dieſe uralte Abſetzung der Sandſchichten ein Zweck der Natur war, zum Behuf der darauf moͤglichen Fichtenwaͤlder. So viel iſt klar: daß, wenn man dieſe als Zweck der Natur annimmt, man jenen Sand auch, aber nur als relati- ven Zweck einraͤumen muͤſſe, wozu wiederum der alte Meeresſtrand und deſſen Zuruͤckziehen das Mittel war; denn in der Reihe der einander ſubordinirten Glieder einer Zweckverbindung muß ein jedes Mittelglied als Zweck (obgleich eben nicht als Endzweck) betrachtet wer- den, wozu ſeine naͤchſte Urſache das Mittel iſt. Eben ſo, wenn einmal Rindvieh, Schaafe, Pferde u. ſ. w. in der Welt ſeyn ſollten, ſo mußte Gras auf Erden, aber es mußten auch Salzkraͤuter in Sandwuͤſten wachſen, wenn Cameele gedeyen ſollten, oder auch dieſe und an- dere grasfreſſende Thierarten in Menge anzutreffen ſeyn, wenn es Woͤlfe, Tieger und Loͤwen geben ſollte. Mithin iſt die objective Zweckmaͤßigkeit, die ſich auf Zutraͤglich- keit gruͤndet, nicht eine objective Zweckmaͤßigkeit der Dinge an ſich ſelbſt, als ob der Sand fuͤr ſich, als Wir- kung aus ſeiner Urſache, dem Meere, nicht koͤnnte be- griffen werden, ohne dem letztern einen Zweck unterzu- legen, und ohne die Wirkung naͤmlich den Sand als Kunſtwerk zu betrachten. Sie iſt eine blos relative, den S 3
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Cultur ſonſt ſo unbrauchbaren Boden weitlaͤuftige
Fichtenwaͤlder haben aufſchlagen koͤnnen, wegen derer
unvernuͤnftiger Ausrottung wir haͤufig unſere Vorfah-
ren anklagen, und da kann man fragen, ob dieſe uralte
Abſetzung der Sandſchichten ein Zweck der Natur war,
zum Behuf der darauf moͤglichen Fichtenwaͤlder. So
viel iſt klar: daß, wenn man dieſe als Zweck der Natur
annimmt, man jenen Sand auch, aber nur als relati-
ven Zweck einraͤumen muͤſſe, wozu wiederum der alte
Meeresſtrand und deſſen Zuruͤckziehen das Mittel war;
denn in der Reihe der einander ſubordinirten Glieder
einer Zweckverbindung muß ein jedes Mittelglied als
Zweck (obgleich eben nicht als Endzweck) betrachtet wer-
den, wozu ſeine naͤchſte Urſache das Mittel iſt. Eben
ſo, wenn einmal Rindvieh, Schaafe, Pferde u. ſ. w. in
der Welt ſeyn ſollten, ſo mußte Gras auf Erden, aber
es mußten auch Salzkraͤuter in Sandwuͤſten wachſen,
wenn Cameele gedeyen ſollten, oder auch dieſe und an-
dere grasfreſſende Thierarten in Menge anzutreffen ſeyn,
wenn es Woͤlfe, Tieger und Loͤwen geben ſollte. Mithin
iſt die objective Zweckmaͤßigkeit, die ſich auf Zutraͤglich-
keit gruͤndet, nicht eine objective Zweckmaͤßigkeit der
Dinge an ſich ſelbſt, als ob der Sand fuͤr ſich, als Wir-
kung aus ſeiner Urſache, dem Meere, nicht koͤnnte be-
griffen werden, ohne dem letztern einen Zweck unterzu-
legen, und ohne die Wirkung naͤmlich den Sand als
Kunſtwerk zu betrachten. Sie iſt eine blos relative, den
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