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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
Der Critik der ästhetischen Urtheilskraft
Zweyter Abschnitt.
Die Dialectik
der
ästhetischen Urtheilskraft.
§. 55.

Eine Urtheilskraft, die dialectisch seyn soll, muß zuvör-
derst vernünftelnd seyn d. i. die Urtheile derselben müssen
auf Allgemeinheit und zwar a priori Anspruch machen *)
denn in solcher Urtheile Entgegensetzung besteht die Din-
lectik. Daher ist die Unvereinbarkeit ästhetischer Sinnes-
urtheile (über das angenehme und unangenehme) nicht
dialectisch. Auch der Widerstreit der Geschmacksur-
theile, so fern sich ein jeder blos auf seinen eignen Ge-
schmack beruft, macht keine Dialectik des Geschmacks
aus; weil niemand sein Urtheil zur allgemeinen Regel

*) Ein vernünftelnd Urtheil (judicium ratiocinans) kann ein
jedes heissen, das sich als allgemein ankündigt; denn so
fern kann es zum Obersatze in einem Vernunftschlusse dienen.
Ein Vernunfturtheil (judicium ratiocinatum) kann dagegen
nur ein solches genannt werden, welches als der Schlus-
satz von einem Vernunftschlusse, folglich als a priori gegrün-
det gedacht wird.
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Der Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft
Zweyter Abſchnitt.
Die Dialectik
der
aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
§. 55.

Eine Urtheilskraft, die dialectiſch ſeyn ſoll, muß zuvoͤr-
derſt vernuͤnftelnd ſeyn d. i. die Urtheile derſelben muͤſſen
auf Allgemeinheit und zwar a priori Anſpruch machen *)
denn in ſolcher Urtheile Entgegenſetzung beſteht die Din-
lectik. Daher iſt die Unvereinbarkeit aͤſthetiſcher Sinnes-
urtheile (uͤber das angenehme und unangenehme) nicht
dialectiſch. Auch der Widerſtreit der Geſchmacksur-
theile, ſo fern ſich ein jeder blos auf ſeinen eignen Ge-
ſchmack beruft, macht keine Dialectik des Geſchmacks
aus; weil niemand ſein Urtheil zur allgemeinen Regel

*) Ein vernuͤnftelnd Urtheil (judicium ratiocinans) kann ein
jedes heiſſen, das ſich als allgemein ankuͤndigt; denn ſo
fern kann es zum Oberſatze in einem Vernunftſchluſſe dienen.
Ein Vernunfturtheil (judicium ratiocinatum) kann dagegen
nur ein ſolches genannt werden, welches als der Schlus-
ſatz von einem Vernunftſchluſſe, folglich als a priori gegruͤn-
det gedacht wird.
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[228/0292] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Der Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft Zweyter Abſchnitt. Die Dialectik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. §. 55. Eine Urtheilskraft, die dialectiſch ſeyn ſoll, muß zuvoͤr- derſt vernuͤnftelnd ſeyn d. i. die Urtheile derſelben muͤſſen auf Allgemeinheit und zwar a priori Anſpruch machen *) denn in ſolcher Urtheile Entgegenſetzung beſteht die Din- lectik. Daher iſt die Unvereinbarkeit aͤſthetiſcher Sinnes- urtheile (uͤber das angenehme und unangenehme) nicht dialectiſch. Auch der Widerſtreit der Geſchmacksur- theile, ſo fern ſich ein jeder blos auf ſeinen eignen Ge- ſchmack beruft, macht keine Dialectik des Geſchmacks aus; weil niemand ſein Urtheil zur allgemeinen Regel *) Ein vernuͤnftelnd Urtheil (judicium ratiocinans) kann ein jedes heiſſen, das ſich als allgemein ankuͤndigt; denn ſo fern kann es zum Oberſatze in einem Vernunftſchluſſe dienen. Ein Vernunfturtheil (judicium ratiocinatum) kann dagegen nur ein ſolches genannt werden, welches als der Schlus- ſatz von einem Vernunftſchluſſe, folglich als a priori gegruͤn- det gedacht wird.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/292>, abgerufen am 27.11.2024.