Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
wird, die unmittelbare Vorstellung häslicher Gegen-
stände von ihren Bildungen ausgeschlossen und dafür
z. B. den Tod (in einem schönen Genius), den Kriegs-
muth (am Mars) durch eine Allegorie, oder Attribute,
die sich gefällig ausnehmen, mithin nur indirect vermit-
telst einer Auslegung der Vernunft und nicht für blos
ästhetische Urtheilskraft vorzustellen erlaubt.

So viel von der schönen Vorstellung eines Gegen-
standes, die eigentlich nur die Form der Darstellung ei-
nes Begrifs ist, durch die dieser allgemein mitgetheilt
wird. -- Diese Form aber dem Producte der schönen
Kunst zu geben, dazu wird blos Geschmack erfordert, an
welchem der Künstler, nachdem er ihn durch mancherley
Beyspiele der Kunst, oder der Natur geübt und berich-
tigt hat, sein Werk hält und, nach manchen oft müh-
samen Versuchen denselben zu befriedigen, diejenige Form
findet, die ihm Genüge thut, daher diese nicht gleichsam
eine Sache der Eingebung, oder eines freyen Schwun-
ges der Gemüthskräfte, sondern einer langsamen und
gar peinlichen Nachbesserung ist, um sie dem Gedanken
angemessen und doch der Freyheit im Spiele derselben
nicht nachtheilig werden zu lassen.

Geschmack ist aber blos ein Beurtheilungs-nicht
ein productives Vermögen und, was ihm gemäs ist, ist
darum eben nicht ein Werk der schönen Kunst, es kann
ein zur nützlichen und mechanischen Kunst, oder gar zur
Wissenschaft gehöriges Product nach bestimmten Regeln

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
wird, die unmittelbare Vorſtellung haͤslicher Gegen-
ſtaͤnde von ihren Bildungen ausgeſchloſſen und dafuͤr
z. B. den Tod (in einem ſchoͤnen Genius), den Kriegs-
muth (am Mars) durch eine Allegorie, oder Attribute,
die ſich gefaͤllig ausnehmen, mithin nur indirect vermit-
telſt einer Auslegung der Vernunft und nicht fuͤr blos
aͤſthetiſche Urtheilskraft vorzuſtellen erlaubt.

So viel von der ſchoͤnen Vorſtellung eines Gegen-
ſtandes, die eigentlich nur die Form der Darſtellung ei-
nes Begrifs iſt, durch die dieſer allgemein mitgetheilt
wird. — Dieſe Form aber dem Producte der ſchoͤnen
Kunſt zu geben, dazu wird blos Geſchmack erfordert, an
welchem der Kuͤnſtler, nachdem er ihn durch mancherley
Beyſpiele der Kunſt, oder der Natur geuͤbt und berich-
tigt hat, ſein Werk haͤlt und, nach manchen oft muͤh-
ſamen Verſuchen denſelben zu befriedigen, diejenige Form
findet, die ihm Genuͤge thut, daher dieſe nicht gleichſam
eine Sache der Eingebung, oder eines freyen Schwun-
ges der Gemuͤthskraͤfte, ſondern einer langſamen und
gar peinlichen Nachbeſſerung iſt, um ſie dem Gedanken
angemeſſen und doch der Freyheit im Spiele derſelben
nicht nachtheilig werden zu laſſen.

Geſchmack iſt aber blos ein Beurtheilungs-nicht
ein productives Vermoͤgen und, was ihm gemaͤs iſt, iſt
darum eben nicht ein Werk der ſchoͤnen Kunſt, es kann
ein zur nuͤtzlichen und mechaniſchen Kunſt, oder gar zur
Wiſſenſchaft gehoͤriges Product nach beſtimmten Regeln

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0252" n="188"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
wird, die unmittelbare Vor&#x017F;tellung ha&#x0364;slicher Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde von ihren Bildungen ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und dafu&#x0364;r<lb/>
z. B. den Tod (in einem &#x017F;cho&#x0364;nen Genius), den Kriegs-<lb/>
muth (am Mars) durch eine Allegorie, oder Attribute,<lb/>
die &#x017F;ich gefa&#x0364;llig ausnehmen, mithin nur indirect vermit-<lb/>
tel&#x017F;t einer Auslegung der Vernunft und nicht fu&#x0364;r blos<lb/>
a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;che Urtheilskraft vorzu&#x017F;tellen erlaubt.</p><lb/>
              <p>So viel von der &#x017F;cho&#x0364;nen Vor&#x017F;tellung eines Gegen-<lb/>
&#x017F;tandes, die eigentlich nur die Form der Dar&#x017F;tellung ei-<lb/>
nes Begrifs i&#x017F;t, durch die die&#x017F;er allgemein mitgetheilt<lb/>
wird. &#x2014; Die&#x017F;e Form aber dem Producte der &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Kun&#x017F;t zu geben, dazu wird blos Ge&#x017F;chmack erfordert, an<lb/>
welchem der Ku&#x0364;n&#x017F;tler, nachdem er ihn durch mancherley<lb/>
Bey&#x017F;piele der Kun&#x017F;t, oder der Natur geu&#x0364;bt und berich-<lb/>
tigt hat, &#x017F;ein Werk ha&#x0364;lt und, nach manchen oft mu&#x0364;h-<lb/>
&#x017F;amen Ver&#x017F;uchen den&#x017F;elben zu befriedigen, diejenige Form<lb/>
findet, die ihm Genu&#x0364;ge thut, daher die&#x017F;e nicht gleich&#x017F;am<lb/>
eine Sache der Eingebung, oder eines freyen Schwun-<lb/>
ges der Gemu&#x0364;thskra&#x0364;fte, &#x017F;ondern einer lang&#x017F;amen und<lb/>
gar peinlichen Nachbe&#x017F;&#x017F;erung i&#x017F;t, um &#x017F;ie dem Gedanken<lb/>
angeme&#x017F;&#x017F;en und doch der Freyheit im Spiele der&#x017F;elben<lb/>
nicht nachtheilig werden zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
              <p>Ge&#x017F;chmack i&#x017F;t aber blos ein Beurtheilungs-nicht<lb/>
ein productives Vermo&#x0364;gen und, was ihm gema&#x0364;s i&#x017F;t, i&#x017F;t<lb/>
darum eben nicht ein Werk der &#x017F;cho&#x0364;nen Kun&#x017F;t, es kann<lb/>
ein zur nu&#x0364;tzlichen und mechani&#x017F;chen Kun&#x017F;t, oder gar zur<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft geho&#x0364;riges Product nach be&#x017F;timmten Regeln<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0252] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. wird, die unmittelbare Vorſtellung haͤslicher Gegen- ſtaͤnde von ihren Bildungen ausgeſchloſſen und dafuͤr z. B. den Tod (in einem ſchoͤnen Genius), den Kriegs- muth (am Mars) durch eine Allegorie, oder Attribute, die ſich gefaͤllig ausnehmen, mithin nur indirect vermit- telſt einer Auslegung der Vernunft und nicht fuͤr blos aͤſthetiſche Urtheilskraft vorzuſtellen erlaubt. So viel von der ſchoͤnen Vorſtellung eines Gegen- ſtandes, die eigentlich nur die Form der Darſtellung ei- nes Begrifs iſt, durch die dieſer allgemein mitgetheilt wird. — Dieſe Form aber dem Producte der ſchoͤnen Kunſt zu geben, dazu wird blos Geſchmack erfordert, an welchem der Kuͤnſtler, nachdem er ihn durch mancherley Beyſpiele der Kunſt, oder der Natur geuͤbt und berich- tigt hat, ſein Werk haͤlt und, nach manchen oft muͤh- ſamen Verſuchen denſelben zu befriedigen, diejenige Form findet, die ihm Genuͤge thut, daher dieſe nicht gleichſam eine Sache der Eingebung, oder eines freyen Schwun- ges der Gemuͤthskraͤfte, ſondern einer langſamen und gar peinlichen Nachbeſſerung iſt, um ſie dem Gedanken angemeſſen und doch der Freyheit im Spiele derſelben nicht nachtheilig werden zu laſſen. Geſchmack iſt aber blos ein Beurtheilungs-nicht ein productives Vermoͤgen und, was ihm gemaͤs iſt, iſt darum eben nicht ein Werk der ſchoͤnen Kunſt, es kann ein zur nuͤtzlichen und mechaniſchen Kunſt, oder gar zur Wiſſenſchaft gehoͤriges Product nach beſtimmten Regeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/252
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/252>, abgerufen am 22.12.2024.