verstatten müssen und zwar aus öconomischen Bewegursa- chen, weil sie noch nicht so reich ist, daß sie allein ein Stu- dium ausmachen und doch zu wichtig, als daß man sie ganz ausstossen, oder anderwerts anheften solte, wo sie noch weniger Verwandschaft als in der Metaphysik antref- fen dürfte. Es ist also blos ein so lange aufgenommener Fremdling, dem man auf einige Zeit einen Aufenthalt vergönt, bis er in einer ausführlichen Anthropologie (dem Pendant zu der empirischen Naturlehre) seine eigene Be- hausung wird beziehen können.
Das ist also die allgemeine Idee der Metaphysik, welche, da man ihr anfänglich mehr zumuthete, als billiger- weise verlangt werden kan und sich eine zeitlang mit ange- nehmen Erwartungen ergötzte, zulezt in allgemeine Ver- achtung gefallen ist da man sich in seiner Hoffnung betro- gen fand. Aus dem ganzen Verlauf unserer Critik wird man sich hinlänglich überzeugt haben: daß, wenn gleich Metaphysik nicht die Grundveste der Religion seyn kan, so müsse sie doch iederzeit als die Schutzwehr derselben ste- hen bleiben und daß die menschliche Vernunft, welche schon durch die Richtung ihrer Natur dialectisch ist, einer solchen Wissenschaft niemals entbehren könne, die sie zügelt und, durch ein scientifisches und völlig einleuchtendes Selbster- kentniß, die Verwüstungen abhält, welche eine gesetzlose speculative Vernunft sonst ganz unfehlbar, in Moral sowol als Religion, anrichten würde. Man kan also sicher seyn, so spröde, oder geringschätzend auch dieienige thun, die
eine
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Die Architectonik der reinen Vernunft.
verſtatten muͤſſen und zwar aus oͤconomiſchen Bewegurſa- chen, weil ſie noch nicht ſo reich iſt, daß ſie allein ein Stu- dium ausmachen und doch zu wichtig, als daß man ſie ganz ausſtoſſen, oder anderwerts anheften ſolte, wo ſie noch weniger Verwandſchaft als in der Metaphyſik antref- fen duͤrfte. Es iſt alſo blos ein ſo lange aufgenommener Fremdling, dem man auf einige Zeit einen Aufenthalt vergoͤnt, bis er in einer ausfuͤhrlichen Anthropologie (dem Pendant zu der empiriſchen Naturlehre) ſeine eigene Be- hauſung wird beziehen koͤnnen.
Das iſt alſo die allgemeine Idee der Metaphyſik, welche, da man ihr anfaͤnglich mehr zumuthete, als billiger- weiſe verlangt werden kan und ſich eine zeitlang mit ange- nehmen Erwartungen ergoͤtzte, zulezt in allgemeine Ver- achtung gefallen iſt da man ſich in ſeiner Hoffnung betro- gen fand. Aus dem ganzen Verlauf unſerer Critik wird man ſich hinlaͤnglich uͤberzeugt haben: daß, wenn gleich Metaphyſik nicht die Grundveſte der Religion ſeyn kan, ſo muͤſſe ſie doch iederzeit als die Schutzwehr derſelben ſte- hen bleiben und daß die menſchliche Vernunft, welche ſchon durch die Richtung ihrer Natur dialectiſch iſt, einer ſolchen Wiſſenſchaft niemals entbehren koͤnne, die ſie zuͤgelt und, durch ein ſcientifiſches und voͤllig einleuchtendes Selbſter- kentniß, die Verwuͤſtungen abhaͤlt, welche eine geſetzloſe ſpeculative Vernunft ſonſt ganz unfehlbar, in Moral ſowol als Religion, anrichten wuͤrde. Man kan alſo ſicher ſeyn, ſo ſproͤde, oder geringſchaͤtzend auch dieienige thun, die
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Die Architectonik der reinen Vernunft.
verſtatten muͤſſen und zwar aus oͤconomiſchen Bewegurſa-
chen, weil ſie noch nicht ſo reich iſt, daß ſie allein ein Stu-
dium ausmachen und doch zu wichtig, als daß man ſie
ganz ausſtoſſen, oder anderwerts anheften ſolte, wo ſie
noch weniger Verwandſchaft als in der Metaphyſik antref-
fen duͤrfte. Es iſt alſo blos ein ſo lange aufgenommener
Fremdling, dem man auf einige Zeit einen Aufenthalt
vergoͤnt, bis er in einer ausfuͤhrlichen Anthropologie (dem
Pendant zu der empiriſchen Naturlehre) ſeine eigene Be-
hauſung wird beziehen koͤnnen.
Das iſt alſo die allgemeine Idee der Metaphyſik,
welche, da man ihr anfaͤnglich mehr zumuthete, als billiger-
weiſe verlangt werden kan und ſich eine zeitlang mit ange-
nehmen Erwartungen ergoͤtzte, zulezt in allgemeine Ver-
achtung gefallen iſt da man ſich in ſeiner Hoffnung betro-
gen fand. Aus dem ganzen Verlauf unſerer Critik wird
man ſich hinlaͤnglich uͤberzeugt haben: daß, wenn gleich
Metaphyſik nicht die Grundveſte der Religion ſeyn kan,
ſo muͤſſe ſie doch iederzeit als die Schutzwehr derſelben ſte-
hen bleiben und daß die menſchliche Vernunft, welche ſchon
durch die Richtung ihrer Natur dialectiſch iſt, einer ſolchen
Wiſſenſchaft niemals entbehren koͤnne, die ſie zuͤgelt und,
durch ein ſcientifiſches und voͤllig einleuchtendes Selbſter-
kentniß, die Verwuͤſtungen abhaͤlt, welche eine geſetzloſe
ſpeculative Vernunft ſonſt ganz unfehlbar, in Moral ſowol
als Religion, anrichten wuͤrde. Man kan alſo ſicher ſeyn,
ſo ſproͤde, oder geringſchaͤtzend auch dieienige thun, die
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 849. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/879>, abgerufen am 25.11.2024.
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