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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Methodenlehre I. Hauptstück.
welches schon vor sich selbst einen Antrieb zur Aeusserung
hat, wird also die Disciplin einen negativen,*) die Cultur
aber und Doctrin einen positiven Beitrag leisten.

Daß das Temperament, imgleichen daß Talente,
die sich gern eine freie und uneingeschränkte Bewegung
erlauben, (als Einbildungskraft und Witz), in mancher
Absicht einer Disciplin bedürfen, wird iederman leicht zuge-
ben. Daß aber die Vernunft, der es eigentlich obliegt,
allen anderen Bestrebungen ihre Disciplin vorzuschreiben,
selbst noch eine solche nöthig habe, das mag allerdings be-
fremdlich scheinen, und in der That ist sie auch einer sol-
chen Demüthigung eben darum bisher entgangen, weil,
bey der Feierlichkeit und dem gründlichen Anstande, wo-
mit sie auftritt, niemand auf den Verdacht eines leicht-
sinnigen Spiels, mit Einbildungen statt Begriffen, und
Worten statt Sachen, leichtlich gerathen konte.

Es bedarf keiner Critik der Vernunft im empirischen
Gebrauche, weil ihre Grundsätze am Probierstein der Er-

fahrung
*) Ich weiß wol: daß man in der Schulsprache den Nahmen
der Disciplin mit dem der Unterweisung gleichgeltend zu
brauchen pflegt. Allein, es giebt dagegen so viele andere
Fälle, da der erstere Ausdruck, als Zucht, von dem
zweiten, als Belehrung, sorgfältig unterschieden wird,
und die Natur der Dinge erheischt es auch selbst, vor
diesen Unterschied die einzige schickliche Ausdrücke aufzu-
bewahren, daß ich wünsche, man möge niemals erlauben,
ienes Wort in anderer als negativer Bedeutung zu
brauchen.

Methodenlehre I. Hauptſtuͤck.
welches ſchon vor ſich ſelbſt einen Antrieb zur Aeuſſerung
hat, wird alſo die Diſciplin einen negativen,*) die Cultur
aber und Doctrin einen poſitiven Beitrag leiſten.

Daß das Temperament, imgleichen daß Talente,
die ſich gern eine freie und uneingeſchraͤnkte Bewegung
erlauben, (als Einbildungskraft und Witz), in mancher
Abſicht einer Diſciplin beduͤrfen, wird iederman leicht zuge-
ben. Daß aber die Vernunft, der es eigentlich obliegt,
allen anderen Beſtrebungen ihre Diſciplin vorzuſchreiben,
ſelbſt noch eine ſolche noͤthig habe, das mag allerdings be-
fremdlich ſcheinen, und in der That iſt ſie auch einer ſol-
chen Demuͤthigung eben darum bisher entgangen, weil,
bey der Feierlichkeit und dem gruͤndlichen Anſtande, wo-
mit ſie auftritt, niemand auf den Verdacht eines leicht-
ſinnigen Spiels, mit Einbildungen ſtatt Begriffen, und
Worten ſtatt Sachen, leichtlich gerathen konte.

Es bedarf keiner Critik der Vernunft im empiriſchen
Gebrauche, weil ihre Grundſaͤtze am Probierſtein der Er-

fahrung
*) Ich weiß wol: daß man in der Schulſprache den Nahmen
der Diſciplin mit dem der Unterweiſung gleichgeltend zu
brauchen pflegt. Allein, es giebt dagegen ſo viele andere
Faͤlle, da der erſtere Ausdruck, als Zucht, von dem
zweiten, als Belehrung, ſorgfaͤltig unterſchieden wird,
und die Natur der Dinge erheiſcht es auch ſelbſt, vor
dieſen Unterſchied die einzige ſchickliche Ausdruͤcke aufzu-
bewahren, daß ich wuͤnſche, man moͤge niemals erlauben,
ienes Wort in anderer als negativer Bedeutung zu
brauchen.
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[710/0740] Methodenlehre I. Hauptſtuͤck. welches ſchon vor ſich ſelbſt einen Antrieb zur Aeuſſerung hat, wird alſo die Diſciplin einen negativen, *) die Cultur aber und Doctrin einen poſitiven Beitrag leiſten. Daß das Temperament, imgleichen daß Talente, die ſich gern eine freie und uneingeſchraͤnkte Bewegung erlauben, (als Einbildungskraft und Witz), in mancher Abſicht einer Diſciplin beduͤrfen, wird iederman leicht zuge- ben. Daß aber die Vernunft, der es eigentlich obliegt, allen anderen Beſtrebungen ihre Diſciplin vorzuſchreiben, ſelbſt noch eine ſolche noͤthig habe, das mag allerdings be- fremdlich ſcheinen, und in der That iſt ſie auch einer ſol- chen Demuͤthigung eben darum bisher entgangen, weil, bey der Feierlichkeit und dem gruͤndlichen Anſtande, wo- mit ſie auftritt, niemand auf den Verdacht eines leicht- ſinnigen Spiels, mit Einbildungen ſtatt Begriffen, und Worten ſtatt Sachen, leichtlich gerathen konte. Es bedarf keiner Critik der Vernunft im empiriſchen Gebrauche, weil ihre Grundſaͤtze am Probierſtein der Er- fahrung *) Ich weiß wol: daß man in der Schulſprache den Nahmen der Diſciplin mit dem der Unterweiſung gleichgeltend zu brauchen pflegt. Allein, es giebt dagegen ſo viele andere Faͤlle, da der erſtere Ausdruck, als Zucht, von dem zweiten, als Belehrung, ſorgfaͤltig unterſchieden wird, und die Natur der Dinge erheiſcht es auch ſelbſt, vor dieſen Unterſchied die einzige ſchickliche Ausdruͤcke aufzu- bewahren, daß ich wuͤnſche, man moͤge niemals erlauben, ienes Wort in anderer als negativer Bedeutung zu brauchen.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/740>, abgerufen am 23.11.2024.