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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie.
heit auszudrücken, die uns zur Richtschnur des empirischen
Gebrauchs der Vernunft dienen soll, ohne doch etwas
darüber auszumachen, was der Grund dieser Einheit, oder
die innere Eigenschaft eines solchen Wesens sey, auf wel-
chem, als Ursache, sie beruhe.

So ist der transscendentale und einzige bestimte Be-
griff, den uns die blos speculative Vernunft von Gott
giebt, im genauesten Verstande deistisch, d. i. die Ver-
nunft giebt nicht einmal die obiective Gültigkeit eines sol-
chen Begriffs, sondern nur die Idee von Etwas an die
Hand, worauf alle empirische Realität ihre höchste und
nothwendige Einheit gründet und welches wir uns nicht
anders, als nach der Analogie einer wirklichen Substanz,
welche nach Vernunftgesetzen die Ursache aller Dinge sey,
denken können, wofern wir es ia unternehmen, es über-
all als einen besonderen Gegenstand zu denken und nicht
lieber, mit der blossen Idee des regulativen Princips der
Vernunft zufrieden, die Vollendung aller Bedingungen
des Denkens, als überschwenglich vor den menschlichen Ver-
stand, bey Seite setzen wollen, welches aber mit der Absicht
einer vollkommenen systematischen Einheit in unserem Er-
kentniß, der wenigstens die Vernunft keine Schranken
sezt, nicht zusammen bestehen kan.

Daher geschiehts nun, daß, wenn ich ein göttliches
Wesen annehme, ich zwar, weder von der inneren Mög-
lichkeit seiner höchsten Vollkommenheit, noch der Noth-
wendigkeit seines Daseyns, den mindesten Begriff habe,

aber
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VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
heit auszudruͤcken, die uns zur Richtſchnur des empiriſchen
Gebrauchs der Vernunft dienen ſoll, ohne doch etwas
daruͤber auszumachen, was der Grund dieſer Einheit, oder
die innere Eigenſchaft eines ſolchen Weſens ſey, auf wel-
chem, als Urſache, ſie beruhe.

So iſt der transſcendentale und einzige beſtimte Be-
griff, den uns die blos ſpeculative Vernunft von Gott
giebt, im genaueſten Verſtande deiſtiſch, d. i. die Ver-
nunft giebt nicht einmal die obiective Guͤltigkeit eines ſol-
chen Begriffs, ſondern nur die Idee von Etwas an die
Hand, worauf alle empiriſche Realitaͤt ihre hoͤchſte und
nothwendige Einheit gruͤndet und welches wir uns nicht
anders, als nach der Analogie einer wirklichen Subſtanz,
welche nach Vernunftgeſetzen die Urſache aller Dinge ſey,
denken koͤnnen, wofern wir es ia unternehmen, es uͤber-
all als einen beſonderen Gegenſtand zu denken und nicht
lieber, mit der bloſſen Idee des regulativen Princips der
Vernunft zufrieden, die Vollendung aller Bedingungen
des Denkens, als uͤberſchwenglich vor den menſchlichen Ver-
ſtand, bey Seite ſetzen wollen, welches aber mit der Abſicht
einer vollkommenen ſyſtematiſchen Einheit in unſerem Er-
kentniß, der wenigſtens die Vernunft keine Schranken
ſezt, nicht zuſammen beſtehen kan.

Daher geſchiehts nun, daß, wenn ich ein goͤttliches
Weſen annehme, ich zwar, weder von der inneren Moͤg-
lichkeit ſeiner hoͤchſten Vollkommenheit, noch der Noth-
wendigkeit ſeines Daſeyns, den mindeſten Begriff habe,

aber
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[675/0705] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. heit auszudruͤcken, die uns zur Richtſchnur des empiriſchen Gebrauchs der Vernunft dienen ſoll, ohne doch etwas daruͤber auszumachen, was der Grund dieſer Einheit, oder die innere Eigenſchaft eines ſolchen Weſens ſey, auf wel- chem, als Urſache, ſie beruhe. So iſt der transſcendentale und einzige beſtimte Be- griff, den uns die blos ſpeculative Vernunft von Gott giebt, im genaueſten Verſtande deiſtiſch, d. i. die Ver- nunft giebt nicht einmal die obiective Guͤltigkeit eines ſol- chen Begriffs, ſondern nur die Idee von Etwas an die Hand, worauf alle empiriſche Realitaͤt ihre hoͤchſte und nothwendige Einheit gruͤndet und welches wir uns nicht anders, als nach der Analogie einer wirklichen Subſtanz, welche nach Vernunftgeſetzen die Urſache aller Dinge ſey, denken koͤnnen, wofern wir es ia unternehmen, es uͤber- all als einen beſonderen Gegenſtand zu denken und nicht lieber, mit der bloſſen Idee des regulativen Princips der Vernunft zufrieden, die Vollendung aller Bedingungen des Denkens, als uͤberſchwenglich vor den menſchlichen Ver- ſtand, bey Seite ſetzen wollen, welches aber mit der Abſicht einer vollkommenen ſyſtematiſchen Einheit in unſerem Er- kentniß, der wenigſtens die Vernunft keine Schranken ſezt, nicht zuſammen beſtehen kan. Daher geſchiehts nun, daß, wenn ich ein goͤttliches Weſen annehme, ich zwar, weder von der inneren Moͤg- lichkeit ſeiner hoͤchſten Vollkommenheit, noch der Noth- wendigkeit ſeines Daſeyns, den mindeſten Begriff habe, aber U u 2

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/705>, abgerufen am 03.07.2024.