Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie.
gezogen denken, welcher die höhere Gattung ist, bis end-
lich die höchste Gattung der allgemeine und wahre Hori-
zont ist, der aus dem Standpuncte des höchsten Be-
griffs bestimt wird und alle Mannigfaltigkeit, als Gat-
tungen, Arten und Unterarten unter sich befaßt.

Zu diesem höchsten Standpuncte führt mich das Ge-
setz der Homogenität, zu allen niedrigen und deren größten
Varietät das Gesetz der Specification. Da aber auf sol-
che Weise in dem ganzen Umfange aller möglichen Begriffe
nichts leeres ist, und ausser demselben nichts angetroffen
werden kan, so entspringt aus der Voraussetzung ienes
allgemeinen Gesichtskreises und der durchgängigen Einthei-
lung desselben der Grundsatz: non datur vacuum for-
marum,
d. i. es giebt nicht verschiedene ursprüngliche und
erste Gattungen, die gleichsam isolirt und von einander
(durch einen leeren Zwischenraum) getrennet wären, son-
dern alle mannigfaltige Gattungen sind nur Abtheilungen
einer einzigen obersten und allgemeinen Gattung und aus
diesem Grundsatze, dessen unmittelbare Folge datur conti-
nuum formarum,
d. i. alle Verschiedenheiten der Arten
gränzen an einander und erlauben keinen Uebergang zu ein-
ander durch einen Sprung, sondern nur durch alle kleinere
Grade des Unterschiedes, dadurch man von einer zu der
anderen gelangen kan, mit einem Worte, es giebt keine
Arten oder Unterarten, die einander (im Begriffe der Ver-
nunft) die nächsten wären, sondern es sind noch immer
Zwischenarten möglich, deren Unterschied von der ersten

und
T t 2

VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
gezogen denken, welcher die hoͤhere Gattung iſt, bis end-
lich die hoͤchſte Gattung der allgemeine und wahre Hori-
zont iſt, der aus dem Standpuncte des hoͤchſten Be-
griffs beſtimt wird und alle Mannigfaltigkeit, als Gat-
tungen, Arten und Unterarten unter ſich befaßt.

Zu dieſem hoͤchſten Standpuncte fuͤhrt mich das Ge-
ſetz der Homogenitaͤt, zu allen niedrigen und deren groͤßten
Varietaͤt das Geſetz der Specification. Da aber auf ſol-
che Weiſe in dem ganzen Umfange aller moͤglichen Begriffe
nichts leeres iſt, und auſſer demſelben nichts angetroffen
werden kan, ſo entſpringt aus der Vorausſetzung ienes
allgemeinen Geſichtskreiſes und der durchgaͤngigen Einthei-
lung deſſelben der Grundſatz: non datur vacuum for-
marum,
d. i. es giebt nicht verſchiedene urſpruͤngliche und
erſte Gattungen, die gleichſam iſolirt und von einander
(durch einen leeren Zwiſchenraum) getrennet waͤren, ſon-
dern alle mannigfaltige Gattungen ſind nur Abtheilungen
einer einzigen oberſten und allgemeinen Gattung und aus
dieſem Grundſatze, deſſen unmittelbare Folge datur conti-
nuum formarum,
d. i. alle Verſchiedenheiten der Arten
graͤnzen an einander und erlauben keinen Uebergang zu ein-
ander durch einen Sprung, ſondern nur durch alle kleinere
Grade des Unterſchiedes, dadurch man von einer zu der
anderen gelangen kan, mit einem Worte, es giebt keine
Arten oder Unterarten, die einander (im Begriffe der Ver-
nunft) die naͤchſten waͤren, ſondern es ſind noch immer
Zwiſchenarten moͤglich, deren Unterſchied von der erſten

und
T t 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0689" n="659"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Ab&#x017F;ch. Critik aller &#x017F;peculativen Theologie.</fw><lb/>
gezogen denken, welcher die ho&#x0364;here Gattung i&#x017F;t, bis end-<lb/>
lich die ho&#x0364;ch&#x017F;te Gattung der allgemeine und wahre Hori-<lb/>
zont i&#x017F;t, der aus dem Standpuncte des ho&#x0364;ch&#x017F;ten Be-<lb/>
griffs be&#x017F;timt wird und alle Mannigfaltigkeit, als Gat-<lb/>
tungen, Arten und Unterarten unter &#x017F;ich befaßt.</p><lb/>
                        <p>Zu die&#x017F;em ho&#x0364;ch&#x017F;ten Standpuncte fu&#x0364;hrt mich das Ge-<lb/>
&#x017F;etz der Homogenita&#x0364;t, zu allen niedrigen und deren gro&#x0364;ßten<lb/>
Varieta&#x0364;t das Ge&#x017F;etz der Specification. Da aber auf &#x017F;ol-<lb/>
che Wei&#x017F;e in dem ganzen Umfange aller mo&#x0364;glichen Begriffe<lb/>
nichts leeres i&#x017F;t, und au&#x017F;&#x017F;er dem&#x017F;elben nichts angetroffen<lb/>
werden kan, &#x017F;o ent&#x017F;pringt aus der Voraus&#x017F;etzung ienes<lb/>
allgemeinen Ge&#x017F;ichtskrei&#x017F;es und der durchga&#x0364;ngigen Einthei-<lb/>
lung de&#x017F;&#x017F;elben der Grund&#x017F;atz: <hi rendition="#aq">non datur vacuum for-<lb/>
marum,</hi> d. i. es giebt nicht ver&#x017F;chiedene ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche und<lb/>
er&#x017F;te Gattungen, die gleich&#x017F;am i&#x017F;olirt und von einander<lb/>
(durch einen leeren Zwi&#x017F;chenraum) getrennet wa&#x0364;ren, &#x017F;on-<lb/>
dern alle mannigfaltige Gattungen &#x017F;ind nur Abtheilungen<lb/>
einer einzigen ober&#x017F;ten und allgemeinen Gattung und aus<lb/>
die&#x017F;em Grund&#x017F;atze, de&#x017F;&#x017F;en unmittelbare Folge <hi rendition="#aq">datur conti-<lb/>
nuum formarum,</hi> d. i. alle Ver&#x017F;chiedenheiten der Arten<lb/>
gra&#x0364;nzen an einander und erlauben keinen Uebergang zu ein-<lb/>
ander durch einen Sprung, &#x017F;ondern nur durch alle kleinere<lb/>
Grade des Unter&#x017F;chiedes, dadurch man von einer zu der<lb/>
anderen gelangen kan, mit einem Worte, es giebt keine<lb/>
Arten oder Unterarten, die einander (im Begriffe der Ver-<lb/>
nunft) die na&#x0364;ch&#x017F;ten wa&#x0364;ren, &#x017F;ondern es &#x017F;ind noch immer<lb/>
Zwi&#x017F;chenarten mo&#x0364;glich, deren Unter&#x017F;chied von der er&#x017F;ten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T t 2</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[659/0689] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. gezogen denken, welcher die hoͤhere Gattung iſt, bis end- lich die hoͤchſte Gattung der allgemeine und wahre Hori- zont iſt, der aus dem Standpuncte des hoͤchſten Be- griffs beſtimt wird und alle Mannigfaltigkeit, als Gat- tungen, Arten und Unterarten unter ſich befaßt. Zu dieſem hoͤchſten Standpuncte fuͤhrt mich das Ge- ſetz der Homogenitaͤt, zu allen niedrigen und deren groͤßten Varietaͤt das Geſetz der Specification. Da aber auf ſol- che Weiſe in dem ganzen Umfange aller moͤglichen Begriffe nichts leeres iſt, und auſſer demſelben nichts angetroffen werden kan, ſo entſpringt aus der Vorausſetzung ienes allgemeinen Geſichtskreiſes und der durchgaͤngigen Einthei- lung deſſelben der Grundſatz: non datur vacuum for- marum, d. i. es giebt nicht verſchiedene urſpruͤngliche und erſte Gattungen, die gleichſam iſolirt und von einander (durch einen leeren Zwiſchenraum) getrennet waͤren, ſon- dern alle mannigfaltige Gattungen ſind nur Abtheilungen einer einzigen oberſten und allgemeinen Gattung und aus dieſem Grundſatze, deſſen unmittelbare Folge datur conti- nuum formarum, d. i. alle Verſchiedenheiten der Arten graͤnzen an einander und erlauben keinen Uebergang zu ein- ander durch einen Sprung, ſondern nur durch alle kleinere Grade des Unterſchiedes, dadurch man von einer zu der anderen gelangen kan, mit einem Worte, es giebt keine Arten oder Unterarten, die einander (im Begriffe der Ver- nunft) die naͤchſten waͤren, ſondern es ſind noch immer Zwiſchenarten moͤglich, deren Unterſchied von der erſten und T t 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/689
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/689>, abgerufen am 23.11.2024.