Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
sondern iede Erscheinung als bedingt, einer andern, als ihrer Bedingung unterordnen, zu dieser also ferner fort- schreiten müssen, welches der regressus in indefinitum ist, der, weil er keine Grösse im Obiect bestimt, von dem in infinitum deutlich genug zu unterscheiden ist.
Ich kan demnach nicht sagen: die Welt ist der ver- gangenen Zeit, oder dem Raume nach unendlich. Denn dergleichen Begriff von Grösse, als einer gegebenen Unend- lichkeit, ist empirisch, mithin auch in Ansehung der Welt, als eines Gegenstandes der Sinne, schlechterdings un- möglich. Ich werde auch nicht sagen: der Regressus von einer gegebenen Wahrnehmung an, zu allen dem, was diese im Raume so wol, als der vergangenen Zeit in einer Reihe begränzt, geht ins Unendliche; denn die- ses sezt die unendliche Weltgrösse voraus; auch nicht: sie ist endlich; denn die absolute Gränze ist gleichfals em- pirisch unmöglich. Demnach werde ich nichts von dem ganzen Gegenstande der Erfahrung (der Sinnenwelt), son- dern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung ihrem Gegenstande angemessen, angestellt und fortgesezt werden soll, sagen können.
Auf die cosmologische Frage also, wegen der Welt- grösse, ist die erste und negative Antwort: die Welt hat keinen ersten Anfang der Zeit und keine äusserste Gränze dem Raume nach.
Denn im entgegengesezten Falle würde sie durch die leere Zeit einer, und durch den leeren Raum, anderer
Seits,
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſondern iede Erſcheinung als bedingt, einer andern, als ihrer Bedingung unterordnen, zu dieſer alſo ferner fort- ſchreiten muͤſſen, welches der regreſſus in indefinitum iſt, der, weil er keine Groͤſſe im Obiect beſtimt, von dem in infinitum deutlich genug zu unterſcheiden iſt.
Ich kan demnach nicht ſagen: die Welt iſt der ver- gangenen Zeit, oder dem Raume nach unendlich. Denn dergleichen Begriff von Groͤſſe, als einer gegebenen Unend- lichkeit, iſt empiriſch, mithin auch in Anſehung der Welt, als eines Gegenſtandes der Sinne, ſchlechterdings un- moͤglich. Ich werde auch nicht ſagen: der Regreſſus von einer gegebenen Wahrnehmung an, zu allen dem, was dieſe im Raume ſo wol, als der vergangenen Zeit in einer Reihe begraͤnzt, geht ins Unendliche; denn die- ſes ſezt die unendliche Weltgroͤſſe voraus; auch nicht: ſie iſt endlich; denn die abſolute Graͤnze iſt gleichfals em- piriſch unmoͤglich. Demnach werde ich nichts von dem ganzen Gegenſtande der Erfahrung (der Sinnenwelt), ſon- dern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung ihrem Gegenſtande angemeſſen, angeſtellt und fortgeſezt werden ſoll, ſagen koͤnnen.
Auf die cosmologiſche Frage alſo, wegen der Welt- groͤſſe, iſt die erſte und negative Antwort: die Welt hat keinen erſten Anfang der Zeit und keine aͤuſſerſte Graͤnze dem Raume nach.
Denn im entgegengeſezten Falle wuͤrde ſie durch die leere Zeit einer, und durch den leeren Raum, anderer
Seits,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><divn="9"><p><pbfacs="#f0550"n="520"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">II.</hi> Hauptſt.</fw><lb/>ſondern iede Erſcheinung als bedingt, einer andern, als<lb/>
ihrer Bedingung unterordnen, zu dieſer alſo ferner fort-<lb/>ſchreiten muͤſſen, welches der <hirendition="#aq">regreſſus in indefinitum</hi> iſt,<lb/>
der, weil er keine Groͤſſe im Obiect beſtimt, von dem <hirendition="#aq">in<lb/>
infinitum</hi> deutlich genug zu unterſcheiden iſt.</p><lb/><p>Ich kan demnach nicht ſagen: die Welt iſt der ver-<lb/>
gangenen Zeit, oder dem Raume nach unendlich. Denn<lb/>
dergleichen Begriff von Groͤſſe, als einer gegebenen Unend-<lb/>
lichkeit, iſt empiriſch, mithin auch in Anſehung der Welt,<lb/>
als eines Gegenſtandes der Sinne, ſchlechterdings un-<lb/>
moͤglich. Ich werde auch nicht ſagen: der Regreſſus<lb/>
von einer gegebenen Wahrnehmung an, zu allen dem,<lb/>
was dieſe im Raume ſo wol, als der vergangenen Zeit<lb/>
in einer Reihe begraͤnzt, <hirendition="#fr">geht ins Unendliche</hi>; denn die-<lb/>ſes ſezt die unendliche Weltgroͤſſe voraus; auch nicht:<lb/>ſie iſt <hirendition="#fr">endlich</hi>; denn die abſolute Graͤnze iſt gleichfals em-<lb/>
piriſch unmoͤglich. Demnach werde ich nichts von dem<lb/>
ganzen Gegenſtande der Erfahrung (der Sinnenwelt), ſon-<lb/>
dern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung ihrem<lb/>
Gegenſtande angemeſſen, angeſtellt und fortgeſezt werden<lb/>ſoll, ſagen koͤnnen.</p><lb/><p>Auf die cosmologiſche Frage alſo, wegen der Welt-<lb/>
groͤſſe, iſt die erſte und negative Antwort: die Welt hat<lb/>
keinen erſten Anfang der Zeit und keine aͤuſſerſte Graͤnze<lb/>
dem Raume nach.</p><lb/><p>Denn im entgegengeſezten Falle wuͤrde ſie durch<lb/>
die leere Zeit einer, und durch den leeren Raum, anderer<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Seits,</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[520/0550]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſondern iede Erſcheinung als bedingt, einer andern, als
ihrer Bedingung unterordnen, zu dieſer alſo ferner fort-
ſchreiten muͤſſen, welches der regreſſus in indefinitum iſt,
der, weil er keine Groͤſſe im Obiect beſtimt, von dem in
infinitum deutlich genug zu unterſcheiden iſt.
Ich kan demnach nicht ſagen: die Welt iſt der ver-
gangenen Zeit, oder dem Raume nach unendlich. Denn
dergleichen Begriff von Groͤſſe, als einer gegebenen Unend-
lichkeit, iſt empiriſch, mithin auch in Anſehung der Welt,
als eines Gegenſtandes der Sinne, ſchlechterdings un-
moͤglich. Ich werde auch nicht ſagen: der Regreſſus
von einer gegebenen Wahrnehmung an, zu allen dem,
was dieſe im Raume ſo wol, als der vergangenen Zeit
in einer Reihe begraͤnzt, geht ins Unendliche; denn die-
ſes ſezt die unendliche Weltgroͤſſe voraus; auch nicht:
ſie iſt endlich; denn die abſolute Graͤnze iſt gleichfals em-
piriſch unmoͤglich. Demnach werde ich nichts von dem
ganzen Gegenſtande der Erfahrung (der Sinnenwelt), ſon-
dern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung ihrem
Gegenſtande angemeſſen, angeſtellt und fortgeſezt werden
ſoll, ſagen koͤnnen.
Auf die cosmologiſche Frage alſo, wegen der Welt-
groͤſſe, iſt die erſte und negative Antwort: die Welt hat
keinen erſten Anfang der Zeit und keine aͤuſſerſte Graͤnze
dem Raume nach.
Denn im entgegengeſezten Falle wuͤrde ſie durch
die leere Zeit einer, und durch den leeren Raum, anderer
Seits,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/550>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.