Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
der reinen Vernunft
der transscendentalen Ideen.
Antithesis.

Es existirt überall kein schlechthinnothwendiges
Wesen, weder in der Welt, noch ausser der Welt, als
ihre Ursache.

Beweis.

Setzet: die Welt selber, oder in ihr, sey ein noth-
wendiges Wesen, so würde in der Reihe ihrer Verände-
rungen, entweder ein Anfang seyn, der unbedingtnoth-
wendig, mithin ohne Ursache wäre, welches dem dynami-
schen Gesetze der Bestimmung aller Erscheinungen in der Zeit
widerstreitet, oder die Reihe selbst wäre ohne allen Anfang,
und, obgleich in allen ihren Theilen zufällig und bedingt,
im Ganzen dennoch schlechthinnothwendig und unbedingt,
welches sich selbst widerspricht; weil das Daseyn einer
Menge nicht nothwendig seyn kan, wenn kein einziger
Theil derselben ein an sich nothwendiges Daseyn besizt.

Setzet dagegen: es gebe eine schlechthin nothwendige
Weltursache ausser der Welt, so würde dieselbe als das

oberste
F f 3
der reinen Vernunft
der transſcendentalen Ideen.
Antitheſis.

Es exiſtirt uͤberall kein ſchlechthinnothwendiges
Weſen, weder in der Welt, noch auſſer der Welt, als
ihre Urſache.

Beweis.

Setzet: die Welt ſelber, oder in ihr, ſey ein noth-
wendiges Weſen, ſo wuͤrde in der Reihe ihrer Veraͤnde-
rungen, entweder ein Anfang ſeyn, der unbedingtnoth-
wendig, mithin ohne Urſache waͤre, welches dem dynami-
ſchen Geſetze der Beſtimmung aller Erſcheinungen in der Zeit
widerſtreitet, oder die Reihe ſelbſt waͤre ohne allen Anfang,
und, obgleich in allen ihren Theilen zufaͤllig und bedingt,
im Ganzen dennoch ſchlechthinnothwendig und unbedingt,
welches ſich ſelbſt widerſpricht; weil das Daſeyn einer
Menge nicht nothwendig ſeyn kan, wenn kein einziger
Theil derſelben ein an ſich nothwendiges Daſeyn beſizt.

Setzet dagegen: es gebe eine ſchlechthin nothwendige
Welturſache auſſer der Welt, ſo wuͤrde dieſelbe als das

oberſte
F f 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0483" n="[453]"/>
                    <div next="#f0485" xml:id="f0483" prev="#f0481" n="8">
                      <div n="9">
                        <head prev="#f0482h">der reinen Vernunft</head><lb/>
                        <div n="10">
                          <head prev="#f04822h">der trans&#x017F;cendentalen Ideen.</head><lb/>
                          <div n="11">
                            <head> <hi rendition="#b">Antithe&#x017F;is.</hi> </head><lb/>
                            <p>Es exi&#x017F;tirt u&#x0364;berall kein &#x017F;chlechthinnothwendiges<lb/>
We&#x017F;en, weder in der Welt, noch au&#x017F;&#x017F;er der Welt, als<lb/>
ihre Ur&#x017F;ache.</p>
                          </div><lb/>
                          <div n="11">
                            <head> <hi rendition="#b">Beweis.</hi> </head><lb/>
                            <p>Setzet: die Welt &#x017F;elber, oder in ihr, &#x017F;ey ein noth-<lb/>
wendiges We&#x017F;en, &#x017F;o wu&#x0364;rde in der Reihe ihrer Vera&#x0364;nde-<lb/>
rungen, entweder ein Anfang &#x017F;eyn, der unbedingtnoth-<lb/>
wendig, mithin ohne Ur&#x017F;ache wa&#x0364;re, welches dem dynami-<lb/>
&#x017F;chen Ge&#x017F;etze der Be&#x017F;timmung aller Er&#x017F;cheinungen in der Zeit<lb/>
wider&#x017F;treitet, oder die Reihe &#x017F;elb&#x017F;t wa&#x0364;re ohne allen Anfang,<lb/>
und, obgleich in allen ihren Theilen zufa&#x0364;llig und bedingt,<lb/>
im Ganzen dennoch &#x017F;chlechthinnothwendig und unbedingt,<lb/>
welches &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t wider&#x017F;pricht; weil das Da&#x017F;eyn einer<lb/>
Menge nicht nothwendig &#x017F;eyn kan, wenn kein einziger<lb/>
Theil der&#x017F;elben ein an &#x017F;ich nothwendiges Da&#x017F;eyn be&#x017F;izt.</p><lb/>
                            <p xml:id="f0483p">Setzet dagegen: es gebe eine &#x017F;chlechthin nothwendige<lb/>
Weltur&#x017F;ache au&#x017F;&#x017F;er der Welt, &#x017F;o wu&#x0364;rde die&#x017F;elbe als das<lb/></p>
                          </div>
                        </div>
                      </div>
                    </div>
                    <fw place="bottom" type="sig">F f 3</fw>
                    <fw place="bottom" type="catch">ober&#x017F;te</fw><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[453]/0483] der reinen Vernunft der transſcendentalen Ideen. Antitheſis. Es exiſtirt uͤberall kein ſchlechthinnothwendiges Weſen, weder in der Welt, noch auſſer der Welt, als ihre Urſache. Beweis. Setzet: die Welt ſelber, oder in ihr, ſey ein noth- wendiges Weſen, ſo wuͤrde in der Reihe ihrer Veraͤnde- rungen, entweder ein Anfang ſeyn, der unbedingtnoth- wendig, mithin ohne Urſache waͤre, welches dem dynami- ſchen Geſetze der Beſtimmung aller Erſcheinungen in der Zeit widerſtreitet, oder die Reihe ſelbſt waͤre ohne allen Anfang, und, obgleich in allen ihren Theilen zufaͤllig und bedingt, im Ganzen dennoch ſchlechthinnothwendig und unbedingt, welches ſich ſelbſt widerſpricht; weil das Daſeyn einer Menge nicht nothwendig ſeyn kan, wenn kein einziger Theil derſelben ein an ſich nothwendiges Daſeyn beſizt. Setzet dagegen: es gebe eine ſchlechthin nothwendige Welturſache auſſer der Welt, ſo wuͤrde dieſelbe als das oberſte F f 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/483
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [453]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/483>, abgerufen am 23.11.2024.