Der Beweis vor die Unendlichkeit der gegebenen Weltreihe und des Weltinbegriffs beruht darauf: daß im entgegengesetzten Falle, eine leere Zeit, imgleichen ein leerer Raum, die Weltgränze ausmachen müßte. Nun ist mir nicht unbekant, daß wider diese Consequenz Aus- flüchte gesucht werden, indem man vorgiebt: es sey eine Gränze der Welt, der Zeit und dem Raume nach, ganz wol möglich, ohne daß man eben eine absolute Zeit vor der Welt Anfang, oder einen absoluten, ausser der wirk- lichen Welt ausgebreiteten Raum annehmen dürfe, wel- ches unmöglich ist. Ich bin mit dem lezteren Theile die- ser Meinung der Philosophen aus der Leibnitzischen Schule ganz wol zufrieden. Der Raum ist blos die Form der äusseren Anschauung, aber kein wirklicher Gegenstand, der äusserlich angeschauet werden kan, und kein Correlatum der Erscheinungen, sondern die Form der Erscheinungen selbst. Der Raum also kan absolut (vor sich allein) nicht als etwas Bestimmendes in dem Daseyn der Dinge vorkom- men, weil er gar kein Gegenstand ist, sondern nur die Form möglicher Gegenstände. Dinge also, als Erschei- nungen, bestimmen wol den Raum, d. i. unter allen mög- lichen Prädicaten desselben, (Grösse und Verhältniß) ma- chen sie es, daß diese oder iene zur Wirklichkeit gehören; aber umgekehrt kan der Raum, als etwas, welches vor sich besteht, die Wirklichkeit der Dinge in Ansehung der Grösse oder Gestalt nicht bestimmen, weil er an sich selbst nichts wirkliches ist. Es kan also wol ein Raum (er sey voll oder leer*) durch Erscheinungen begränzt, Erschei-
nun-
*) Man bemerkt leicht, daß hiedurch gesagt werden wolle: der leere Raum, so fern er durch Erscheinungen begränzt
wird,
II. Anmerkung zur Antitheſis.
Der Beweis vor die Unendlichkeit der gegebenen Weltreihe und des Weltinbegriffs beruht darauf: daß im entgegengeſetzten Falle, eine leere Zeit, imgleichen ein leerer Raum, die Weltgraͤnze ausmachen muͤßte. Nun iſt mir nicht unbekant, daß wider dieſe Conſequenz Aus- fluͤchte geſucht werden, indem man vorgiebt: es ſey eine Graͤnze der Welt, der Zeit und dem Raume nach, ganz wol moͤglich, ohne daß man eben eine abſolute Zeit vor der Welt Anfang, oder einen abſoluten, auſſer der wirk- lichen Welt ausgebreiteten Raum annehmen duͤrfe, wel- ches unmoͤglich iſt. Ich bin mit dem lezteren Theile die- ſer Meinung der Philoſophen aus der Leibnitziſchen Schule ganz wol zufrieden. Der Raum iſt blos die Form der aͤuſſeren Anſchauung, aber kein wirklicher Gegenſtand, der aͤuſſerlich angeſchauet werden kan, und kein Correlatum der Erſcheinungen, ſondern die Form der Erſcheinungen ſelbſt. Der Raum alſo kan abſolut (vor ſich allein) nicht als etwas Beſtimmendes in dem Daſeyn der Dinge vorkom- men, weil er gar kein Gegenſtand iſt, ſondern nur die Form moͤglicher Gegenſtaͤnde. Dinge alſo, als Erſchei- nungen, beſtimmen wol den Raum, d. i. unter allen moͤg- lichen Praͤdicaten deſſelben, (Groͤſſe und Verhaͤltniß) ma- chen ſie es, daß dieſe oder iene zur Wirklichkeit gehoͤren; aber umgekehrt kan der Raum, als etwas, welches vor ſich beſteht, die Wirklichkeit der Dinge in Anſehung der Groͤſſe oder Geſtalt nicht beſtimmen, weil er an ſich ſelbſt nichts wirkliches iſt. Es kan alſo wol ein Raum (er ſey voll oder leer*) durch Erſcheinungen begraͤnzt, Erſchei-
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*) Man bemerkt leicht, daß hiedurch geſagt werden wolle: der leere Raum, ſo fern er durch Erſcheinungen begraͤnzt
wird,
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II. Anmerkung
zur Antitheſis.
Der Beweis vor die Unendlichkeit der gegebenen
Weltreihe und des Weltinbegriffs beruht darauf: daß im
entgegengeſetzten Falle, eine leere Zeit, imgleichen ein
leerer Raum, die Weltgraͤnze ausmachen muͤßte. Nun
iſt mir nicht unbekant, daß wider dieſe Conſequenz Aus-
fluͤchte geſucht werden, indem man vorgiebt: es ſey eine
Graͤnze der Welt, der Zeit und dem Raume nach, ganz
wol moͤglich, ohne daß man eben eine abſolute Zeit vor
der Welt Anfang, oder einen abſoluten, auſſer der wirk-
lichen Welt ausgebreiteten Raum annehmen duͤrfe, wel-
ches unmoͤglich iſt. Ich bin mit dem lezteren Theile die-
ſer Meinung der Philoſophen aus der Leibnitziſchen Schule
ganz wol zufrieden. Der Raum iſt blos die Form der
aͤuſſeren Anſchauung, aber kein wirklicher Gegenſtand, der
aͤuſſerlich angeſchauet werden kan, und kein Correlatum
der Erſcheinungen, ſondern die Form der Erſcheinungen
ſelbſt. Der Raum alſo kan abſolut (vor ſich allein) nicht
als etwas Beſtimmendes in dem Daſeyn der Dinge vorkom-
men, weil er gar kein Gegenſtand iſt, ſondern nur die
Form moͤglicher Gegenſtaͤnde. Dinge alſo, als Erſchei-
nungen, beſtimmen wol den Raum, d. i. unter allen moͤg-
lichen Praͤdicaten deſſelben, (Groͤſſe und Verhaͤltniß) ma-
chen ſie es, daß dieſe oder iene zur Wirklichkeit gehoͤren;
aber umgekehrt kan der Raum, als etwas, welches vor
ſich beſteht, die Wirklichkeit der Dinge in Anſehung der
Groͤſſe oder Geſtalt nicht beſtimmen, weil er an ſich ſelbſt
nichts wirkliches iſt. Es kan alſo wol ein Raum (er ſey
voll oder leer *) durch Erſcheinungen begraͤnzt, Erſchei-
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*) Man bemerkt leicht, daß hiedurch geſagt werden wolle: der
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [431]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/461>, abgerufen am 21.11.2024.
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