Nahmen Materie verstehen. Da nun niemand mit Grunde vorgeben kan, etwas von der transscendentalen Ursache unserer Vorstellungen äusserer Sinne zu kennen, so ist ihre Behauptung ganz grundlos. Wollten aber die vermeinte Ver- besserer der Lehre vom physischen Einflusse, nach der gemeinen Vorstellungsart eines transscendentalen Dualism, die Ma- terie, als solche, vor ein Ding an sich selbst (und nicht als blosse Erscheinung eines unbekanten Dinges) ansehen und ihren Einwurf dahin richten, zu zeigen: daß ein sol- cher äusserer Gegenstand, welcher keine andere Caussalität als die der Bewegungen an sich zeigt, nimmermehr die wirkende Ursache von Vorstellungen seyn könne, sondern daß sich ein drittes Wesen deshalb ins Mittel schlagen müs- se, um, wo nicht Wechselwirkung, doch wenigstens Cor- respondenz und Harmonie zwischen beiden zu stiften: so würden sie ihre Widerlegung davon anfangen, das pro- ton pseudos des physischen Einflusses in ihrem Dualismus anzunehmen, und also durch ihren Einwurf nicht sowol den natürlichen Einfluß, sondern ihre eigene dualistische Voraussetzung widerlegen. Denn alle Schwierigkeiten, welche die Verbindung der denkenden Natur mit der Ma- terie treffen, entspringen ohne Ausnahme lediglich aus iener erschlichenen dualistischen Vorstellung: daß Materie, als solche, nicht Erscheinung, d. i. blosse Vorstellung des Gemüths, der ein unbekanter Gegenstand entspricht, son- dern der Gegenstand an sich selbst sey, so wie er ausser uns und unabhängig von aller Sinnlichkeit existirt.
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
Nahmen Materie verſtehen. Da nun niemand mit Grunde vorgeben kan, etwas von der transſcendentalen Urſache unſerer Vorſtellungen aͤuſſerer Sinne zu kennen, ſo iſt ihre Behauptung ganz grundlos. Wollten aber die vermeinte Ver- beſſerer der Lehre vom phyſiſchen Einfluſſe, nach der gemeinen Vorſtellungsart eines transſcendentalen Dualism, die Ma- terie, als ſolche, vor ein Ding an ſich ſelbſt (und nicht als bloſſe Erſcheinung eines unbekanten Dinges) anſehen und ihren Einwurf dahin richten, zu zeigen: daß ein ſol- cher aͤuſſerer Gegenſtand, welcher keine andere Cauſſalitaͤt als die der Bewegungen an ſich zeigt, nimmermehr die wirkende Urſache von Vorſtellungen ſeyn koͤnne, ſondern daß ſich ein drittes Weſen deshalb ins Mittel ſchlagen muͤſ- ſe, um, wo nicht Wechſelwirkung, doch wenigſtens Cor- reſpondenz und Harmonie zwiſchen beiden zu ſtiften: ſo wuͤrden ſie ihre Widerlegung davon anfangen, das πρῶ- τον ψεῦδος des phyſiſchen Einfluſſes in ihrem Dualismus anzunehmen, und alſo durch ihren Einwurf nicht ſowol den natuͤrlichen Einfluß, ſondern ihre eigene dualiſtiſche Vorausſetzung widerlegen. Denn alle Schwierigkeiten, welche die Verbindung der denkenden Natur mit der Ma- terie treffen, entſpringen ohne Ausnahme lediglich aus iener erſchlichenen dualiſtiſchen Vorſtellung: daß Materie, als ſolche, nicht Erſcheinung, d. i. bloſſe Vorſtellung des Gemuͤths, der ein unbekanter Gegenſtand entſpricht, ſon- dern der Gegenſtand an ſich ſelbſt ſey, ſo wie er auſſer uns und unabhaͤngig von aller Sinnlichkeit exiſtirt.
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
Nahmen Materie verſtehen. Da nun niemand mit Grunde
vorgeben kan, etwas von der transſcendentalen Urſache
unſerer Vorſtellungen aͤuſſerer Sinne zu kennen, ſo iſt ihre
Behauptung ganz grundlos. Wollten aber die vermeinte Ver-
beſſerer der Lehre vom phyſiſchen Einfluſſe, nach der gemeinen
Vorſtellungsart eines transſcendentalen Dualism, die Ma-
terie, als ſolche, vor ein Ding an ſich ſelbſt (und nicht
als bloſſe Erſcheinung eines unbekanten Dinges) anſehen
und ihren Einwurf dahin richten, zu zeigen: daß ein ſol-
cher aͤuſſerer Gegenſtand, welcher keine andere Cauſſalitaͤt
als die der Bewegungen an ſich zeigt, nimmermehr die
wirkende Urſache von Vorſtellungen ſeyn koͤnne, ſondern
daß ſich ein drittes Weſen deshalb ins Mittel ſchlagen muͤſ-
ſe, um, wo nicht Wechſelwirkung, doch wenigſtens Cor-
reſpondenz und Harmonie zwiſchen beiden zu ſtiften: ſo
wuͤrden ſie ihre Widerlegung davon anfangen, das πρῶ-
τον ψεῦδος des phyſiſchen Einfluſſes in ihrem Dualismus
anzunehmen, und alſo durch ihren Einwurf nicht ſowol
den natuͤrlichen Einfluß, ſondern ihre eigene dualiſtiſche
Vorausſetzung widerlegen. Denn alle Schwierigkeiten,
welche die Verbindung der denkenden Natur mit der Ma-
terie treffen, entſpringen ohne Ausnahme lediglich aus
iener erſchlichenen dualiſtiſchen Vorſtellung: daß Materie,
als ſolche, nicht Erſcheinung, d. i. bloſſe Vorſtellung des
Gemuͤths, der ein unbekanter Gegenſtand entſpricht, ſon-
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uns und unabhaͤngig von aller Sinnlichkeit exiſtirt.
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/421>, abgerufen am 18.05.2024.
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