Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Absch. Von den transscendent. Ideen.
Ansehung eines ieden Gegenstandes, in ein absolutes
Ganze zusammen zu fassen. Daher ist der obiective Ge-
brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit transscendent,
indessen daß der, von den reinen Verstandesbegriffen, sei-
ner Natur nach iederzeit immanent seyn muß, indem er
sich blos auf mögliche Erfahrung einschränkt.

Ich verstehe unter der Idee einen nothwendigen
Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegenstand in
den Sinnen gegeben werden kan. Also sind unsere iezt
erwogene reine Vernunftbegriffe transscendentale Ideen.
Sie sind Begriffe der reinen Vernunft; denn sie betrach-
ten alles Erfahrungserkentniß als bestimt durch eine abso-
lute Totalität der Bedingungen. Sie sind nicht willkür-
lich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst
aufgegeben, und beziehen sich daher nothwendiger Weise
auf den ganzen Verstandesgebrauch. Sie sind endlich
transscendent und übersteigen die Gränze aller Erfah-
rung, in welcher also niemals ein Gegenstand vorkommen
kan, der der transscendentalen Idee adäquat wäre. Wenn
man eine Idee nent; so sagt man, dem Obiect nach, (als
von einem Gegenstande des reinen Verstandes) sehr viel,
dem Subiecte nach aber (d. i. in Ansehung seiner Wirk-
lichkeit unter empirischer Bedingung) eben darum sehr
wenig, weil sie, als der Begriff eines Maximum, in
concreto
niemals congruent kan gegeben werden. Weil
nun das leztere im blos speculativen Gebrauch der Ver-

nunft
X 4

II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen.
Anſehung eines ieden Gegenſtandes, in ein abſolutes
Ganze zuſammen zu faſſen. Daher iſt der obiective Ge-
brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit transſcendent,
indeſſen daß der, von den reinen Verſtandesbegriffen, ſei-
ner Natur nach iederzeit immanent ſeyn muß, indem er
ſich blos auf moͤgliche Erfahrung einſchraͤnkt.

Ich verſtehe unter der Idee einen nothwendigen
Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegenſtand in
den Sinnen gegeben werden kan. Alſo ſind unſere iezt
erwogene reine Vernunftbegriffe transſcendentale Ideen.
Sie ſind Begriffe der reinen Vernunft; denn ſie betrach-
ten alles Erfahrungserkentniß als beſtimt durch eine abſo-
lute Totalitaͤt der Bedingungen. Sie ſind nicht willkuͤr-
lich erdichtet, ſondern durch die Natur der Vernunft ſelbſt
aufgegeben, und beziehen ſich daher nothwendiger Weiſe
auf den ganzen Verſtandesgebrauch. Sie ſind endlich
transſcendent und uͤberſteigen die Graͤnze aller Erfah-
rung, in welcher alſo niemals ein Gegenſtand vorkommen
kan, der der transſcendentalen Idee adaͤquat waͤre. Wenn
man eine Idee nent; ſo ſagt man, dem Obiect nach, (als
von einem Gegenſtande des reinen Verſtandes) ſehr viel,
dem Subiecte nach aber (d. i. in Anſehung ſeiner Wirk-
lichkeit unter empiriſcher Bedingung) eben darum ſehr
wenig, weil ſie, als der Begriff eines Maximum, in
concreto
niemals congruent kan gegeben werden. Weil
nun das leztere im blos ſpeculativen Gebrauch der Ver-

nunft
X 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0357" n="327"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;ch. Von den trans&#x017F;cendent. Ideen.</fw><lb/>
An&#x017F;ehung eines ieden Gegen&#x017F;tandes, in ein ab&#x017F;olutes<lb/>
Ganze zu&#x017F;ammen zu fa&#x017F;&#x017F;en. Daher i&#x017F;t der obiective Ge-<lb/>
brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit trans&#x017F;cendent,<lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en daß der, von den reinen Ver&#x017F;tandesbegriffen, &#x017F;ei-<lb/>
ner Natur nach iederzeit immanent &#x017F;eyn muß, indem er<lb/>
&#x017F;ich blos auf mo&#x0364;gliche Erfahrung ein&#x017F;chra&#x0364;nkt.</p><lb/>
                  <p>Ich ver&#x017F;tehe unter der Idee einen nothwendigen<lb/>
Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegen&#x017F;tand in<lb/>
den Sinnen gegeben werden kan. Al&#x017F;o &#x017F;ind <choice><sic>unfere</sic><corr>un&#x017F;ere</corr></choice> iezt<lb/>
erwogene reine Vernunftbegriffe trans&#x017F;cendentale Ideen.<lb/>
Sie &#x017F;ind Begriffe der reinen Vernunft; denn &#x017F;ie betrach-<lb/>
ten alles Erfahrungserkentniß als be&#x017F;timt durch eine ab&#x017F;o-<lb/>
lute Totalita&#x0364;t der Bedingungen. Sie &#x017F;ind nicht willku&#x0364;r-<lb/>
lich erdichtet, &#x017F;ondern durch die Natur der Vernunft &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
aufgegeben, und beziehen &#x017F;ich daher nothwendiger Wei&#x017F;e<lb/>
auf den ganzen Ver&#x017F;tandesgebrauch. Sie &#x017F;ind endlich<lb/>
trans&#x017F;cendent und u&#x0364;ber&#x017F;teigen die Gra&#x0364;nze aller Erfah-<lb/>
rung, in welcher al&#x017F;o niemals ein Gegen&#x017F;tand vorkommen<lb/>
kan, der der trans&#x017F;cendentalen Idee ada&#x0364;quat wa&#x0364;re. Wenn<lb/>
man eine Idee nent; &#x017F;o &#x017F;agt man, dem Obiect nach, (als<lb/>
von einem Gegen&#x017F;tande des reinen Ver&#x017F;tandes) &#x017F;ehr viel,<lb/>
dem Subiecte nach aber (d. i. in An&#x017F;ehung &#x017F;einer Wirk-<lb/>
lichkeit unter empiri&#x017F;cher Bedingung) eben darum &#x017F;ehr<lb/>
wenig, weil &#x017F;ie, als der Begriff eines Maximum, <hi rendition="#aq">in<lb/>
concreto</hi> niemals congruent kan gegeben werden. Weil<lb/>
nun das leztere im blos &#x017F;peculativen Gebrauch der Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 4</fw><fw place="bottom" type="catch">nunft</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0357] II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen. Anſehung eines ieden Gegenſtandes, in ein abſolutes Ganze zuſammen zu faſſen. Daher iſt der obiective Ge- brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit transſcendent, indeſſen daß der, von den reinen Verſtandesbegriffen, ſei- ner Natur nach iederzeit immanent ſeyn muß, indem er ſich blos auf moͤgliche Erfahrung einſchraͤnkt. Ich verſtehe unter der Idee einen nothwendigen Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegenſtand in den Sinnen gegeben werden kan. Alſo ſind unſere iezt erwogene reine Vernunftbegriffe transſcendentale Ideen. Sie ſind Begriffe der reinen Vernunft; denn ſie betrach- ten alles Erfahrungserkentniß als beſtimt durch eine abſo- lute Totalitaͤt der Bedingungen. Sie ſind nicht willkuͤr- lich erdichtet, ſondern durch die Natur der Vernunft ſelbſt aufgegeben, und beziehen ſich daher nothwendiger Weiſe auf den ganzen Verſtandesgebrauch. Sie ſind endlich transſcendent und uͤberſteigen die Graͤnze aller Erfah- rung, in welcher alſo niemals ein Gegenſtand vorkommen kan, der der transſcendentalen Idee adaͤquat waͤre. Wenn man eine Idee nent; ſo ſagt man, dem Obiect nach, (als von einem Gegenſtande des reinen Verſtandes) ſehr viel, dem Subiecte nach aber (d. i. in Anſehung ſeiner Wirk- lichkeit unter empiriſcher Bedingung) eben darum ſehr wenig, weil ſie, als der Begriff eines Maximum, in concreto niemals congruent kan gegeben werden. Weil nun das leztere im blos ſpeculativen Gebrauch der Ver- nunft X 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/357
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/357>, abgerufen am 22.11.2024.