Ansehung eines ieden Gegenstandes, in ein absolutes Ganze zusammen zu fassen. Daher ist der obiective Ge- brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit transscendent, indessen daß der, von den reinen Verstandesbegriffen, sei- ner Natur nach iederzeit immanent seyn muß, indem er sich blos auf mögliche Erfahrung einschränkt.
Ich verstehe unter der Idee einen nothwendigen Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kan. Also sind unsere iezt erwogene reine Vernunftbegriffe transscendentale Ideen. Sie sind Begriffe der reinen Vernunft; denn sie betrach- ten alles Erfahrungserkentniß als bestimt durch eine abso- lute Totalität der Bedingungen. Sie sind nicht willkür- lich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, und beziehen sich daher nothwendiger Weise auf den ganzen Verstandesgebrauch. Sie sind endlich transscendent und übersteigen die Gränze aller Erfah- rung, in welcher also niemals ein Gegenstand vorkommen kan, der der transscendentalen Idee adäquat wäre. Wenn man eine Idee nent; so sagt man, dem Obiect nach, (als von einem Gegenstande des reinen Verstandes) sehr viel, dem Subiecte nach aber (d. i. in Ansehung seiner Wirk- lichkeit unter empirischer Bedingung) eben darum sehr wenig, weil sie, als der Begriff eines Maximum, in concreto niemals congruent kan gegeben werden. Weil nun das leztere im blos speculativen Gebrauch der Ver-
nunft
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II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen.
Anſehung eines ieden Gegenſtandes, in ein abſolutes Ganze zuſammen zu faſſen. Daher iſt der obiective Ge- brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit transſcendent, indeſſen daß der, von den reinen Verſtandesbegriffen, ſei- ner Natur nach iederzeit immanent ſeyn muß, indem er ſich blos auf moͤgliche Erfahrung einſchraͤnkt.
Ich verſtehe unter der Idee einen nothwendigen Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegenſtand in den Sinnen gegeben werden kan. Alſo ſind unſere iezt erwogene reine Vernunftbegriffe transſcendentale Ideen. Sie ſind Begriffe der reinen Vernunft; denn ſie betrach- ten alles Erfahrungserkentniß als beſtimt durch eine abſo- lute Totalitaͤt der Bedingungen. Sie ſind nicht willkuͤr- lich erdichtet, ſondern durch die Natur der Vernunft ſelbſt aufgegeben, und beziehen ſich daher nothwendiger Weiſe auf den ganzen Verſtandesgebrauch. Sie ſind endlich transſcendent und uͤberſteigen die Graͤnze aller Erfah- rung, in welcher alſo niemals ein Gegenſtand vorkommen kan, der der transſcendentalen Idee adaͤquat waͤre. Wenn man eine Idee nent; ſo ſagt man, dem Obiect nach, (als von einem Gegenſtande des reinen Verſtandes) ſehr viel, dem Subiecte nach aber (d. i. in Anſehung ſeiner Wirk- lichkeit unter empiriſcher Bedingung) eben darum ſehr wenig, weil ſie, als der Begriff eines Maximum, in concreto niemals congruent kan gegeben werden. Weil nun das leztere im blos ſpeculativen Gebrauch der Ver-
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II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen.
Anſehung eines ieden Gegenſtandes, in ein abſolutes
Ganze zuſammen zu faſſen. Daher iſt der obiective Ge-
brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit transſcendent,
indeſſen daß der, von den reinen Verſtandesbegriffen, ſei-
ner Natur nach iederzeit immanent ſeyn muß, indem er
ſich blos auf moͤgliche Erfahrung einſchraͤnkt.
Ich verſtehe unter der Idee einen nothwendigen
Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegenſtand in
den Sinnen gegeben werden kan. Alſo ſind unſere iezt
erwogene reine Vernunftbegriffe transſcendentale Ideen.
Sie ſind Begriffe der reinen Vernunft; denn ſie betrach-
ten alles Erfahrungserkentniß als beſtimt durch eine abſo-
lute Totalitaͤt der Bedingungen. Sie ſind nicht willkuͤr-
lich erdichtet, ſondern durch die Natur der Vernunft ſelbſt
aufgegeben, und beziehen ſich daher nothwendiger Weiſe
auf den ganzen Verſtandesgebrauch. Sie ſind endlich
transſcendent und uͤberſteigen die Graͤnze aller Erfah-
rung, in welcher alſo niemals ein Gegenſtand vorkommen
kan, der der transſcendentalen Idee adaͤquat waͤre. Wenn
man eine Idee nent; ſo ſagt man, dem Obiect nach, (als
von einem Gegenſtande des reinen Verſtandes) ſehr viel,
dem Subiecte nach aber (d. i. in Anſehung ſeiner Wirk-
lichkeit unter empiriſcher Bedingung) eben darum ſehr
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/357>, abgerufen am 22.11.2024.
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