fließen, oder ob es vielmehr überall keinen dergleichen ob- iectivgültigen Vernunftsatz gebe, sondern eine blos logische Vorschrift, sich im Aufsteigen zu immer höheren Bedin- gungen, der Vollständigkeit derselben zu näheren und da- durch die höchste uns mögliche Vernunfteinheit in unsere Erkentniß zu bringen, ob, sage ich, dieses Bedürfniß der Vernunft durch einen Mißverstand vor einen transscenden- talen Grundsatz der reinen Vernunft gehalten worden, der eine solche unbeschränkte Vollständigkeit übereilter Weise von der Reihe der Bedingungen in den Gegenständen selbst postulirt, was aber auch in diesem Falle vor Mißdeutun- gen und Verblendungen in die Vernunftschlüsse, deren Obersatz aus reiner Vernunft genommen worden, (und der vielleicht mehr Petition als Postulat ist) und die von der Erfahrung aufwärts zu ihren Bedingungen steigen, einschleichen mögen: das wird unser Geschäfte in der transscendentalen Dialectik seyn, welche wir iezt aus ihren Quellen, die tief in der menschlichen Vernunft verborgen sind, entwickeln wollen. Wir werden sie in zwey Haupt- stücke theilen, deren erstere von den transscendenten Be- griffen der reinen Vernunft, der zweite von transscenden- ten und dialectischen Vernunftschlüssen derselben han- deln soll.
Der
U 3
Einleitung.
fließen, oder ob es vielmehr uͤberall keinen dergleichen ob- iectivguͤltigen Vernunftſatz gebe, ſondern eine blos logiſche Vorſchrift, ſich im Aufſteigen zu immer hoͤheren Bedin- gungen, der Vollſtaͤndigkeit derſelben zu naͤheren und da- durch die hoͤchſte uns moͤgliche Vernunfteinheit in unſere Erkentniß zu bringen, ob, ſage ich, dieſes Beduͤrfniß der Vernunft durch einen Mißverſtand vor einen transſcenden- talen Grundſatz der reinen Vernunft gehalten worden, der eine ſolche unbeſchraͤnkte Vollſtaͤndigkeit uͤbereilter Weiſe von der Reihe der Bedingungen in den Gegenſtaͤnden ſelbſt poſtulirt, was aber auch in dieſem Falle vor Mißdeutun- gen und Verblendungen in die Vernunftſchluͤſſe, deren Oberſatz aus reiner Vernunft genommen worden, (und der vielleicht mehr Petition als Poſtulat iſt) und die von der Erfahrung aufwaͤrts zu ihren Bedingungen ſteigen, einſchleichen moͤgen: das wird unſer Geſchaͤfte in der transſcendentalen Dialectik ſeyn, welche wir iezt aus ihren Quellen, die tief in der menſchlichen Vernunft verborgen ſind, entwickeln wollen. Wir werden ſie in zwey Haupt- ſtuͤcke theilen, deren erſtere von den transſcendenten Be- griffen der reinen Vernunft, der zweite von transſcenden- ten und dialectiſchen Vernunftſchluͤſſen derſelben han- deln ſoll.
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Einleitung.
fließen, oder ob es vielmehr uͤberall keinen dergleichen ob-
iectivguͤltigen Vernunftſatz gebe, ſondern eine blos logiſche
Vorſchrift, ſich im Aufſteigen zu immer hoͤheren Bedin-
gungen, der Vollſtaͤndigkeit derſelben zu naͤheren und da-
durch die hoͤchſte uns moͤgliche Vernunfteinheit in unſere
Erkentniß zu bringen, ob, ſage ich, dieſes Beduͤrfniß der
Vernunft durch einen Mißverſtand vor einen transſcenden-
talen Grundſatz der reinen Vernunft gehalten worden, der
eine ſolche unbeſchraͤnkte Vollſtaͤndigkeit uͤbereilter Weiſe
von der Reihe der Bedingungen in den Gegenſtaͤnden ſelbſt
poſtulirt, was aber auch in dieſem Falle vor Mißdeutun-
gen und Verblendungen in die Vernunftſchluͤſſe, deren
Oberſatz aus reiner Vernunft genommen worden, (und
der vielleicht mehr Petition als Poſtulat iſt) und die von
der Erfahrung aufwaͤrts zu ihren Bedingungen ſteigen,
einſchleichen moͤgen: das wird unſer Geſchaͤfte in der
transſcendentalen Dialectik ſeyn, welche wir iezt aus ihren
Quellen, die tief in der menſchlichen Vernunft verborgen
ſind, entwickeln wollen. Wir werden ſie in zwey Haupt-
ſtuͤcke theilen, deren erſtere von den transſcendenten Be-
griffen der reinen Vernunft, der zweite von transſcenden-
ten und dialectiſchen Vernunftſchluͤſſen derſelben han-
deln ſoll.
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/339>, abgerufen am 22.11.2024.
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