Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Absch. Von den Princip. einer Transsc. Deduct.
unserer Anschauung Gegenstände darbiethen, denn die An-
schauung bedarf der Functionen des Denkens auf keine
Weise.

Gedächte man sich von der Mühsamkeit dieser Unter-
suchungen dadurch loszuwickeln, daß man sagte: Die
Erfahrung böte unabläßig Beyspiele einer solchen Regel-
mäßigkeit der Erscheinungen dar, die genugsam Anlaß ge-
ben, den Begriff der Ursache davon abzusondern, und da-
durch zugleich die obiective Gültigkeit eines solchen Begriffs
zu bewähren, so bemerkt man nicht, daß auf diese Weise
der Begriff der Ursache gar nicht entspringen kan, sondern
daß er entweder völlig a priori im Verstande müsse ge-
gründet seyn, oder als ein blosses Hirngespinst gänzlich
aufgegeben werden müsse. Denn dieser Begriff erfordert
durchaus, daß etwas A von der Art sey, daß ein anderes
B daraus nothwendig und nach einer schlechthin allge-
meinen Regel folge. Erscheinungen geben gar wol Fälle
an die Hand, aus denen eine Regel möglich ist, nach der
etwas gewöhnlicher massen geschieht, aber niemals, daß
der Erfolg nothwendig sey: daher der Synthesis der Ur-
sache und Wirkung auch eine Dignität anhängt, die man
gar nicht empirisch ausdrücken kan, nemlich, daß die
Wirkung nicht blos zu der Ursache hinzu komme, sondern
durch dieselbe gesezt sey, und aus ihr erfolge. Die stren-
ge Allgemeinheit der Regel ist auch gar keine Eigenschaft
empirischer Regeln, die durch Induction keine andere als

com-

I. Abſch. Von den Princip. einer Transſc. Deduct.
unſerer Anſchauung Gegenſtaͤnde darbiethen, denn die An-
ſchauung bedarf der Functionen des Denkens auf keine
Weiſe.

Gedaͤchte man ſich von der Muͤhſamkeit dieſer Unter-
ſuchungen dadurch loszuwickeln, daß man ſagte: Die
Erfahrung boͤte unablaͤßig Beyſpiele einer ſolchen Regel-
maͤßigkeit der Erſcheinungen dar, die genugſam Anlaß ge-
ben, den Begriff der Urſache davon abzuſondern, und da-
durch zugleich die obiective Guͤltigkeit eines ſolchen Begriffs
zu bewaͤhren, ſo bemerkt man nicht, daß auf dieſe Weiſe
der Begriff der Urſache gar nicht entſpringen kan, ſondern
daß er entweder voͤllig a priori im Verſtande muͤſſe ge-
gruͤndet ſeyn, oder als ein bloſſes Hirngeſpinſt gaͤnzlich
aufgegeben werden muͤſſe. Denn dieſer Begriff erfordert
durchaus, daß etwas A von der Art ſey, daß ein anderes
B daraus nothwendig und nach einer ſchlechthin allge-
meinen Regel folge. Erſcheinungen geben gar wol Faͤlle
an die Hand, aus denen eine Regel moͤglich iſt, nach der
etwas gewoͤhnlicher maſſen geſchieht, aber niemals, daß
der Erfolg nothwendig ſey: daher der Syntheſis der Ur-
ſache und Wirkung auch eine Dignitaͤt anhaͤngt, die man
gar nicht empiriſch ausdruͤcken kan, nemlich, daß die
Wirkung nicht blos zu der Urſache hinzu komme, ſondern
durch dieſelbe geſezt ſey, und aus ihr erfolge. Die ſtren-
ge Allgemeinheit der Regel iſt auch gar keine Eigenſchaft
empiriſcher Regeln, die durch Induction keine andere als

com-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0121" n="91"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Ab&#x017F;ch. Von den Princip. einer Trans&#x017F;c. Deduct.</fw><lb/>
un&#x017F;erer An&#x017F;chauung Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde darbiethen, denn die An-<lb/>
&#x017F;chauung bedarf der Functionen des Denkens auf keine<lb/>
Wei&#x017F;e.</p><lb/>
                  <p>Geda&#x0364;chte man &#x017F;ich von der Mu&#x0364;h&#x017F;amkeit die&#x017F;er Unter-<lb/>
&#x017F;uchungen dadurch loszuwickeln, daß man &#x017F;agte: Die<lb/>
Erfahrung bo&#x0364;te unabla&#x0364;ßig Bey&#x017F;piele einer &#x017F;olchen Regel-<lb/>
ma&#x0364;ßigkeit der Er&#x017F;cheinungen dar, die genug&#x017F;am Anlaß ge-<lb/>
ben, den Begriff der Ur&#x017F;ache davon abzu&#x017F;ondern, und da-<lb/>
durch zugleich die obiective Gu&#x0364;ltigkeit eines &#x017F;olchen Begriffs<lb/>
zu bewa&#x0364;hren, &#x017F;o bemerkt man nicht, daß auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e<lb/>
der Begriff der Ur&#x017F;ache gar nicht ent&#x017F;pringen kan, &#x017F;ondern<lb/>
daß er entweder vo&#x0364;llig <hi rendition="#aq">a priori</hi> im Ver&#x017F;tande mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ge-<lb/>
gru&#x0364;ndet &#x017F;eyn, oder als ein blo&#x017F;&#x017F;es Hirnge&#x017F;pin&#x017F;t ga&#x0364;nzlich<lb/>
aufgegeben werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Denn die&#x017F;er Begriff erfordert<lb/>
durchaus, daß etwas <hi rendition="#aq">A</hi> von der Art &#x017F;ey, daß ein anderes<lb/><hi rendition="#aq">B</hi> daraus nothwendig und nach einer &#x017F;chlechthin allge-<lb/>
meinen Regel folge. Er&#x017F;cheinungen geben gar wol Fa&#x0364;lle<lb/>
an die Hand, aus denen eine Regel mo&#x0364;glich i&#x017F;t, nach der<lb/>
etwas gewo&#x0364;hnlicher ma&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;chieht, aber niemals, daß<lb/>
der Erfolg nothwendig &#x017F;ey: daher der Synthe&#x017F;is der Ur-<lb/>
&#x017F;ache und Wirkung auch eine Dignita&#x0364;t anha&#x0364;ngt, die man<lb/>
gar nicht empiri&#x017F;ch ausdru&#x0364;cken kan, nemlich, daß die<lb/>
Wirkung nicht blos zu der Ur&#x017F;ache hinzu komme, &#x017F;ondern<lb/>
durch die&#x017F;elbe ge&#x017F;ezt &#x017F;ey, und aus ihr erfolge. Die &#x017F;tren-<lb/>
ge Allgemeinheit der Regel i&#x017F;t auch gar keine Eigen&#x017F;chaft<lb/>
empiri&#x017F;cher Regeln, die durch Induction keine andere als<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">com-</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0121] I. Abſch. Von den Princip. einer Transſc. Deduct. unſerer Anſchauung Gegenſtaͤnde darbiethen, denn die An- ſchauung bedarf der Functionen des Denkens auf keine Weiſe. Gedaͤchte man ſich von der Muͤhſamkeit dieſer Unter- ſuchungen dadurch loszuwickeln, daß man ſagte: Die Erfahrung boͤte unablaͤßig Beyſpiele einer ſolchen Regel- maͤßigkeit der Erſcheinungen dar, die genugſam Anlaß ge- ben, den Begriff der Urſache davon abzuſondern, und da- durch zugleich die obiective Guͤltigkeit eines ſolchen Begriffs zu bewaͤhren, ſo bemerkt man nicht, daß auf dieſe Weiſe der Begriff der Urſache gar nicht entſpringen kan, ſondern daß er entweder voͤllig a priori im Verſtande muͤſſe ge- gruͤndet ſeyn, oder als ein bloſſes Hirngeſpinſt gaͤnzlich aufgegeben werden muͤſſe. Denn dieſer Begriff erfordert durchaus, daß etwas A von der Art ſey, daß ein anderes B daraus nothwendig und nach einer ſchlechthin allge- meinen Regel folge. Erſcheinungen geben gar wol Faͤlle an die Hand, aus denen eine Regel moͤglich iſt, nach der etwas gewoͤhnlicher maſſen geſchieht, aber niemals, daß der Erfolg nothwendig ſey: daher der Syntheſis der Ur- ſache und Wirkung auch eine Dignitaͤt anhaͤngt, die man gar nicht empiriſch ausdruͤcken kan, nemlich, daß die Wirkung nicht blos zu der Urſache hinzu komme, ſondern durch dieſelbe geſezt ſey, und aus ihr erfolge. Die ſtren- ge Allgemeinheit der Regel iſt auch gar keine Eigenſchaft empiriſcher Regeln, die durch Induction keine andere als com-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/121
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/121>, abgerufen am 24.11.2024.