Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst.
liegt, daß sie sich auf ihre Gegenstände beziehen, ohne et-
was zu deren Vorstellung aus der Erfahrung entlehnt zu
haben. Wenn also eine Deduction derselben nöthig ist,
so wird sie iederzeit transscendental seyn müssen.

Indessen kan man von diesen Begriffen, wie von
allem Erkentniß, wo nicht das Principium ihrer Möglich-
keit, doch die Gelegenheitsursachen ihrer Erzeugung in der
Erfahrung aufsuchen, wo alsdenn die Eindrücke der Sin-
ne den ersten Anlaß geben, die ganze Erkentnißkraft in
Ansehung ihrer zu eröfnen, und Erfahrung zu Stande
zu bringen, die zwey sehr ungleichartige Elemente enthält,
nemlich, eine Materie zur Erkentniß aus den Sinnen,
und eine gewisse Form, sie zu ordnen, aus dem innern
Quell des reinen Anschauens und Denkens, die, bey Ge-
legenheit der ersteren, zuerst in Ausübung gebracht wer-
den, und Begriffe hervorbringen. Ein solches Nach-
spühren der ersten Bestrebungen unserer Erkentnißkraft,
um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Be-
griffen zu steigen, hat ohne Zweifel seinen grossen Nutzen,
und man hat es dem berühmten Locke zu verdanken, daß
er dazu zuerst den Weg eröfnet hat. Allein eine Deduction
der reinen Begriffe a priori komt dadurch niemals zu
Stande, denn sie liegt ganz und gar nicht auf diesem We-
ge, weil in Ansehung ihres künftigen Gebrauchs, der von
der Erfahrung gänzlich unabhängig seyn soll, sie einen ganz
andern Geburtsbrief, als den der Abstammung von Er-
fahrungen, müssen aufzuzeigen haben. Diese versuchte

physi-

Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt.
liegt, daß ſie ſich auf ihre Gegenſtaͤnde beziehen, ohne et-
was zu deren Vorſtellung aus der Erfahrung entlehnt zu
haben. Wenn alſo eine Deduction derſelben noͤthig iſt,
ſo wird ſie iederzeit transſcendental ſeyn muͤſſen.

Indeſſen kan man von dieſen Begriffen, wie von
allem Erkentniß, wo nicht das Principium ihrer Moͤglich-
keit, doch die Gelegenheitsurſachen ihrer Erzeugung in der
Erfahrung aufſuchen, wo alsdenn die Eindruͤcke der Sin-
ne den erſten Anlaß geben, die ganze Erkentnißkraft in
Anſehung ihrer zu eroͤfnen, und Erfahrung zu Stande
zu bringen, die zwey ſehr ungleichartige Elemente enthaͤlt,
nemlich, eine Materie zur Erkentniß aus den Sinnen,
und eine gewiſſe Form, ſie zu ordnen, aus dem innern
Quell des reinen Anſchauens und Denkens, die, bey Ge-
legenheit der erſteren, zuerſt in Ausuͤbung gebracht wer-
den, und Begriffe hervorbringen. Ein ſolches Nach-
ſpuͤhren der erſten Beſtrebungen unſerer Erkentnißkraft,
um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Be-
griffen zu ſteigen, hat ohne Zweifel ſeinen groſſen Nutzen,
und man hat es dem beruͤhmten Locke zu verdanken, daß
er dazu zuerſt den Weg eroͤfnet hat. Allein eine Deduction
der reinen Begriffe a priori komt dadurch niemals zu
Stande, denn ſie liegt ganz und gar nicht auf dieſem We-
ge, weil in Anſehung ihres kuͤnftigen Gebrauchs, der von
der Erfahrung gaͤnzlich unabhaͤngig ſeyn ſoll, ſie einen ganz
andern Geburtsbrief, als den der Abſtammung von Er-
fahrungen, muͤſſen aufzuzeigen haben. Dieſe verſuchte

phyſi-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0116" n="86"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">I.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
liegt, daß &#x017F;ie &#x017F;ich auf ihre Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde beziehen, ohne et-<lb/>
was zu deren Vor&#x017F;tellung aus der Erfahrung entlehnt zu<lb/>
haben. Wenn al&#x017F;o eine Deduction der&#x017F;elben no&#x0364;thig i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o wird &#x017F;ie iederzeit trans&#x017F;cendental &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
                  <p>Inde&#x017F;&#x017F;en kan man von die&#x017F;en Begriffen, wie von<lb/>
allem Erkentniß, wo nicht das Principium ihrer Mo&#x0364;glich-<lb/>
keit, doch die Gelegenheitsur&#x017F;achen ihrer Erzeugung in der<lb/>
Erfahrung auf&#x017F;uchen, wo alsdenn die Eindru&#x0364;cke der Sin-<lb/>
ne den er&#x017F;ten Anlaß geben, die ganze Erkentnißkraft in<lb/>
An&#x017F;ehung ihrer zu ero&#x0364;fnen, und Erfahrung zu Stande<lb/>
zu bringen, die zwey &#x017F;ehr ungleichartige Elemente entha&#x0364;lt,<lb/>
nemlich, eine Materie zur Erkentniß aus den Sinnen,<lb/>
und eine gewi&#x017F;&#x017F;e Form, &#x017F;ie zu ordnen, aus dem innern<lb/>
Quell des reinen An&#x017F;chauens und Denkens, die, bey Ge-<lb/>
legenheit der er&#x017F;teren, zuer&#x017F;t in Ausu&#x0364;bung gebracht wer-<lb/>
den, und Begriffe hervorbringen. Ein &#x017F;olches Nach-<lb/>
&#x017F;pu&#x0364;hren der er&#x017F;ten Be&#x017F;trebungen un&#x017F;erer Erkentnißkraft,<lb/>
um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Be-<lb/>
griffen zu &#x017F;teigen, hat ohne Zweifel &#x017F;einen gro&#x017F;&#x017F;en Nutzen,<lb/>
und man hat es dem beru&#x0364;hmten Locke zu verdanken, daß<lb/>
er dazu zuer&#x017F;t den Weg ero&#x0364;fnet hat. Allein eine <hi rendition="#fr">Deduction</hi><lb/>
der reinen Begriffe <hi rendition="#aq">a priori</hi> komt dadurch niemals zu<lb/>
Stande, denn &#x017F;ie liegt ganz und gar nicht auf die&#x017F;em We-<lb/>
ge, weil in An&#x017F;ehung ihres ku&#x0364;nftigen Gebrauchs, der von<lb/>
der Erfahrung ga&#x0364;nzlich unabha&#x0364;ngig &#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;ie einen ganz<lb/>
andern Geburtsbrief, als den der Ab&#x017F;tammung von Er-<lb/>
fahrungen, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en aufzuzeigen haben. Die&#x017F;e ver&#x017F;uchte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">phy&#x017F;i-</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0116] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. liegt, daß ſie ſich auf ihre Gegenſtaͤnde beziehen, ohne et- was zu deren Vorſtellung aus der Erfahrung entlehnt zu haben. Wenn alſo eine Deduction derſelben noͤthig iſt, ſo wird ſie iederzeit transſcendental ſeyn muͤſſen. Indeſſen kan man von dieſen Begriffen, wie von allem Erkentniß, wo nicht das Principium ihrer Moͤglich- keit, doch die Gelegenheitsurſachen ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufſuchen, wo alsdenn die Eindruͤcke der Sin- ne den erſten Anlaß geben, die ganze Erkentnißkraft in Anſehung ihrer zu eroͤfnen, und Erfahrung zu Stande zu bringen, die zwey ſehr ungleichartige Elemente enthaͤlt, nemlich, eine Materie zur Erkentniß aus den Sinnen, und eine gewiſſe Form, ſie zu ordnen, aus dem innern Quell des reinen Anſchauens und Denkens, die, bey Ge- legenheit der erſteren, zuerſt in Ausuͤbung gebracht wer- den, und Begriffe hervorbringen. Ein ſolches Nach- ſpuͤhren der erſten Beſtrebungen unſerer Erkentnißkraft, um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Be- griffen zu ſteigen, hat ohne Zweifel ſeinen groſſen Nutzen, und man hat es dem beruͤhmten Locke zu verdanken, daß er dazu zuerſt den Weg eroͤfnet hat. Allein eine Deduction der reinen Begriffe a priori komt dadurch niemals zu Stande, denn ſie liegt ganz und gar nicht auf dieſem We- ge, weil in Anſehung ihres kuͤnftigen Gebrauchs, der von der Erfahrung gaͤnzlich unabhaͤngig ſeyn ſoll, ſie einen ganz andern Geburtsbrief, als den der Abſtammung von Er- fahrungen, muͤſſen aufzuzeigen haben. Dieſe verſuchte phyſi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/116
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/116>, abgerufen am 22.11.2024.