Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik
man sonst für sich keinen Begriff hat, anzunehmen, um sich
von der Möglichkeit dessen, was man vor Augen sieht,
einen Begriff machen zu können. Durch Metaphysik
aber von der Kenntniß dieser Welt zum Begriffe von
Gott und dem Beweise seiner Existenz durch sichere
Schlüsse
zu gelangen, ist darum unmöglich, weil wir
diese Welt als das vollkommenste mögliche Ganze, mit-
hin, zu diesem Behuf, alle mögliche Welten (um sie
mit dieser vergleichen zu können) erkennen, mithin all-
wissend seyn müßten, um zu sagen, daß sie nur durch
einen Gott (wie wir uns diesen Begriff denken müssen,)
möglich war. Vollends aber die Existenz dieses Wesens
aus bloßen Begriffen zu erkennen, ist schlechterdings un-
möglich, weil ein jeder Existentialsatz, d. i. der, so von
einem Wesen, von dem ich mir einen Begriff mache,
sagt, daß es existire, ein synthetischer Satz ist, d. i. ein
solcher, dadurch ich über jenen Begriff hinausgehe und
mehr von ihm sage, als im Begriffe gedacht war: nemlich
daß diesem Begriffe im Verstande noch ein Gegenstand
außer dem Verstande correspondirend gesetzt sey, wel-
ches offenbar unmöglich ist durch irgend einen Schluß
herauszubringen. Also bleibt nur ein einziges Verfah-
ren für die Vernunft übrig, zu diesem Erkenntnisse zu ge-
langen, da sie nemlich, als reine Vernunft, von dem
obersten Princip ihres reinen practischen Gebrauchs aus-
gehend, (indem dieser ohnedem blos auf die Existenz
von Etwas, als Folge der Vernunft, gerichtet ist,) ihr

Ob-

I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
man ſonſt fuͤr ſich keinen Begriff hat, anzunehmen, um ſich
von der Moͤglichkeit deſſen, was man vor Augen ſieht,
einen Begriff machen zu koͤnnen. Durch Metaphyſik
aber von der Kenntniß dieſer Welt zum Begriffe von
Gott und dem Beweiſe ſeiner Exiſtenz durch ſichere
Schluͤſſe
zu gelangen, iſt darum unmoͤglich, weil wir
dieſe Welt als das vollkommenſte moͤgliche Ganze, mit-
hin, zu dieſem Behuf, alle moͤgliche Welten (um ſie
mit dieſer vergleichen zu koͤnnen) erkennen, mithin all-
wiſſend ſeyn muͤßten, um zu ſagen, daß ſie nur durch
einen Gott (wie wir uns dieſen Begriff denken muͤſſen,)
moͤglich war. Vollends aber die Exiſtenz dieſes Weſens
aus bloßen Begriffen zu erkennen, iſt ſchlechterdings un-
moͤglich, weil ein jeder Exiſtentialſatz, d. i. der, ſo von
einem Weſen, von dem ich mir einen Begriff mache,
ſagt, daß es exiſtire, ein ſynthetiſcher Satz iſt, d. i. ein
ſolcher, dadurch ich uͤber jenen Begriff hinausgehe und
mehr von ihm ſage, als im Begriffe gedacht war: nemlich
daß dieſem Begriffe im Verſtande noch ein Gegenſtand
außer dem Verſtande correſpondirend geſetzt ſey, wel-
ches offenbar unmoͤglich iſt durch irgend einen Schluß
herauszubringen. Alſo bleibt nur ein einziges Verfah-
ren fuͤr die Vernunft uͤbrig, zu dieſem Erkenntniſſe zu ge-
langen, da ſie nemlich, als reine Vernunft, von dem
oberſten Princip ihres reinen practiſchen Gebrauchs aus-
gehend, (indem dieſer ohnedem blos auf die Exiſtenz
von Etwas, als Folge der Vernunft, gerichtet iſt,) ihr

Ob-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0258" n="250"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> B. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t. Von der Dialectik</fw><lb/>
man &#x017F;on&#x017F;t fu&#x0364;r &#x017F;ich keinen Begriff hat, anzunehmen, um &#x017F;ich<lb/>
von der Mo&#x0364;glichkeit de&#x017F;&#x017F;en, was man vor Augen &#x017F;ieht,<lb/>
einen Begriff machen zu ko&#x0364;nnen. Durch Metaphy&#x017F;ik<lb/>
aber von der Kenntniß die&#x017F;er Welt zum Begriffe von<lb/>
Gott und dem Bewei&#x017F;e &#x017F;einer Exi&#x017F;tenz <hi rendition="#fr">durch &#x017F;ichere<lb/>
Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e</hi> zu gelangen, i&#x017F;t darum unmo&#x0364;glich, weil wir<lb/>
die&#x017F;e Welt als das vollkommen&#x017F;te mo&#x0364;gliche Ganze, mit-<lb/>
hin, zu die&#x017F;em Behuf, alle mo&#x0364;gliche Welten (um &#x017F;ie<lb/>
mit die&#x017F;er vergleichen zu ko&#x0364;nnen) erkennen, mithin all-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;end &#x017F;eyn mu&#x0364;ßten, um zu &#x017F;agen, daß &#x017F;ie nur durch<lb/>
einen <hi rendition="#fr">Gott</hi> (wie wir uns die&#x017F;en Begriff denken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,)<lb/>
mo&#x0364;glich war. Vollends aber die Exi&#x017F;tenz die&#x017F;es We&#x017F;ens<lb/>
aus bloßen Begriffen zu erkennen, i&#x017F;t &#x017F;chlechterdings un-<lb/>
mo&#x0364;glich, weil ein jeder Exi&#x017F;tential&#x017F;atz, d. i. der, &#x017F;o von<lb/>
einem We&#x017F;en, von dem ich mir einen Begriff mache,<lb/>
&#x017F;agt, daß es exi&#x017F;tire, ein &#x017F;yntheti&#x017F;cher Satz i&#x017F;t, d. i. ein<lb/>
&#x017F;olcher, dadurch ich u&#x0364;ber jenen Begriff hinausgehe und<lb/>
mehr von ihm &#x017F;age, als im Begriffe gedacht war: nemlich<lb/>
daß die&#x017F;em Begriffe <hi rendition="#fr">im Ver&#x017F;tande</hi> noch ein Gegen&#x017F;tand<lb/><hi rendition="#fr">außer dem Ver&#x017F;tande</hi> corre&#x017F;pondirend ge&#x017F;etzt &#x017F;ey, wel-<lb/>
ches offenbar unmo&#x0364;glich i&#x017F;t durch irgend einen Schluß<lb/>
herauszubringen. Al&#x017F;o bleibt nur ein einziges Verfah-<lb/>
ren fu&#x0364;r die Vernunft u&#x0364;brig, zu die&#x017F;em Erkenntni&#x017F;&#x017F;e zu ge-<lb/>
langen, da &#x017F;ie nemlich, als reine Vernunft, von dem<lb/>
ober&#x017F;ten Princip ihres reinen practi&#x017F;chen Gebrauchs aus-<lb/>
gehend, (indem die&#x017F;er ohnedem blos auf die <hi rendition="#fr">Exi&#x017F;tenz</hi><lb/>
von Etwas, als Folge der Vernunft, gerichtet i&#x017F;t,) ihr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ob-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0258] I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik man ſonſt fuͤr ſich keinen Begriff hat, anzunehmen, um ſich von der Moͤglichkeit deſſen, was man vor Augen ſieht, einen Begriff machen zu koͤnnen. Durch Metaphyſik aber von der Kenntniß dieſer Welt zum Begriffe von Gott und dem Beweiſe ſeiner Exiſtenz durch ſichere Schluͤſſe zu gelangen, iſt darum unmoͤglich, weil wir dieſe Welt als das vollkommenſte moͤgliche Ganze, mit- hin, zu dieſem Behuf, alle moͤgliche Welten (um ſie mit dieſer vergleichen zu koͤnnen) erkennen, mithin all- wiſſend ſeyn muͤßten, um zu ſagen, daß ſie nur durch einen Gott (wie wir uns dieſen Begriff denken muͤſſen,) moͤglich war. Vollends aber die Exiſtenz dieſes Weſens aus bloßen Begriffen zu erkennen, iſt ſchlechterdings un- moͤglich, weil ein jeder Exiſtentialſatz, d. i. der, ſo von einem Weſen, von dem ich mir einen Begriff mache, ſagt, daß es exiſtire, ein ſynthetiſcher Satz iſt, d. i. ein ſolcher, dadurch ich uͤber jenen Begriff hinausgehe und mehr von ihm ſage, als im Begriffe gedacht war: nemlich daß dieſem Begriffe im Verſtande noch ein Gegenſtand außer dem Verſtande correſpondirend geſetzt ſey, wel- ches offenbar unmoͤglich iſt durch irgend einen Schluß herauszubringen. Alſo bleibt nur ein einziges Verfah- ren fuͤr die Vernunft uͤbrig, zu dieſem Erkenntniſſe zu ge- langen, da ſie nemlich, als reine Vernunft, von dem oberſten Princip ihres reinen practiſchen Gebrauchs aus- gehend, (indem dieſer ohnedem blos auf die Exiſtenz von Etwas, als Folge der Vernunft, gerichtet iſt,) ihr Ob-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/258
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/258>, abgerufen am 22.11.2024.