In dem höchsten für uns practischen, d. i. durch unsern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu- gend und Glückseligkeit als nothwendig verbunden ge- dacht, so, daß das eine durch reine practische Vernunft nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande- re auch zu ihm gehöre. Nun ist diese Verbin- dung (wie eine jede überhaupt) entweder analytisch, oder synthetisch. Da diese gegebene aber nicht analytisch seyn kann, wie nur eben vorher gezeigt worden, so muß sie synthetisch, und zwar als Ver- knüpfung der Ursache mit der Wirkung gedacht wer- den; weil sie ein practisches Gut, d. i. was durch Hand- lung möglich ist, betrifft. Es muß also entweder die Begierde nach Glückseligkeit die Bewegursache zu Ma- ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die wirkende Ursache der Glückseligkeit seyn. Das erste ist schlechterdings unmöglich; weil (wie in der Analytik bewiesen worden) Maximen, die den Bestimmungs- grund des Willens in dem Verlangen nach seiner Glück- seligkeit setzen, gar nicht moralisch sind, und keine Tu- gend gründen können. Das zweyte ist aber auch un- möglich, weil alle practische Verknüpfung der Ursachen und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Wil-
lens-
I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
I. Die Antinomie der practiſchen Vernunft.
In dem hoͤchſten fuͤr uns practiſchen, d. i. durch unſern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu- gend und Gluͤckſeligkeit als nothwendig verbunden ge- dacht, ſo, daß das eine durch reine practiſche Vernunft nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande- re auch zu ihm gehoͤre. Nun iſt dieſe Verbin- dung (wie eine jede uͤberhaupt) entweder analytiſch, oder ſynthetiſch. Da dieſe gegebene aber nicht analytiſch ſeyn kann, wie nur eben vorher gezeigt worden, ſo muß ſie ſynthetiſch, und zwar als Ver- knuͤpfung der Urſache mit der Wirkung gedacht wer- den; weil ſie ein practiſches Gut, d. i. was durch Hand- lung moͤglich iſt, betrifft. Es muß alſo entweder die Begierde nach Gluͤckſeligkeit die Bewegurſache zu Ma- ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die wirkende Urſache der Gluͤckſeligkeit ſeyn. Das erſte iſt ſchlechterdings unmoͤglich; weil (wie in der Analytik bewieſen worden) Maximen, die den Beſtimmungs- grund des Willens in dem Verlangen nach ſeiner Gluͤck- ſeligkeit ſetzen, gar nicht moraliſch ſind, und keine Tu- gend gruͤnden koͤnnen. Das zweyte iſt aber auch un- moͤglich, weil alle practiſche Verknuͤpfung der Urſachen und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Wil-
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I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
I.
Die Antinomie
der practiſchen Vernunft.
In dem hoͤchſten fuͤr uns practiſchen, d. i. durch
unſern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu-
gend und Gluͤckſeligkeit als nothwendig verbunden ge-
dacht, ſo, daß das eine durch reine practiſche Vernunft
nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande-
re auch zu ihm gehoͤre. Nun iſt dieſe Verbin-
dung (wie eine jede uͤberhaupt) entweder analytiſch,
oder ſynthetiſch. Da dieſe gegebene aber nicht
analytiſch ſeyn kann, wie nur eben vorher gezeigt
worden, ſo muß ſie ſynthetiſch, und zwar als Ver-
knuͤpfung der Urſache mit der Wirkung gedacht wer-
den; weil ſie ein practiſches Gut, d. i. was durch Hand-
lung moͤglich iſt, betrifft. Es muß alſo entweder die
Begierde nach Gluͤckſeligkeit die Bewegurſache zu Ma-
ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die
wirkende Urſache der Gluͤckſeligkeit ſeyn. Das erſte iſt
ſchlechterdings unmoͤglich; weil (wie in der Analytik
bewieſen worden) Maximen, die den Beſtimmungs-
grund des Willens in dem Verlangen nach ſeiner Gluͤck-
ſeligkeit ſetzen, gar nicht moraliſch ſind, und keine Tu-
gend gruͤnden koͤnnen. Das zweyte iſt aber auch un-
moͤglich, weil alle practiſche Verknuͤpfung der Urſachen
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/212>, abgerufen am 16.02.2025.
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